„Die Kompensation von CO2-Emissionen reicht nicht aus, um der Dringlichkeit der Klimakrise zu begegnen“
Externe Faktoren können Interface nicht von dem eingeschlagen Nachhaltigkeitskurs abbringen. Das sagt Liz Minné, Head of Global Sustainability Strategy des Unternehmens. Warum der Hersteller modularer Bodenbeläge seine Klimastrategie nachgeschärft hat und welche Ziele er damit verfolgt, erklärt sie uns in einem Gespräch mit UmweltDialog.
25.06.2024
UmweltDialog: Die Nachhaltigkeitsdebatte in den USA hat sich in den vergangenen Monaten gewandelt. Gerade einmal vor vier Jahren verhalf Larry Fink von BlackRock in einem offenen Brief an seine Investoren dem Terminus „ESG“ zum Durchbruch. Jetzt vermeidet er den Begriff und sagt, ESG sei „weaponized“. Interface selbst gehört zu den nachhaltigsten Herstellern modularer Bodenbeläge weltweit. Bekommen Sie den ESG-Gegenwind aus Politik und Kapitalmärkten zu spüren?
Liz Minné: Interface setzt sich seit 30 Jahren für Nachhaltigkeit ein und startete 1994 mit einer radikalen Umstrukturierung des Unternehmens. Obwohl das ESG-Konzept relativ neu ist und seine Popularität je nach politischem Klima steigen oder fallen kann, konzentrieren wir uns weiterhin darauf, positive Effekte für all unsere Stakeholder zu erzielen. Dazu zählen unsere Mitarbeitenden, die Gemeinden, in denen wir tätig sind, unsere Kundinnen und Kunden und Partnerinnen und Partner sowie unser Planet als Ganzes. Als zielorientiertes Unternehmen ist es Teil unserer DNA, auf Kurs zu bleiben. Sich verändernde externe Faktoren – von denen wir in den letzten drei Jahrzehnten viele erlebt haben – können uns nichts anhaben, weil Nachhaltigkeit so tief in unserer Geschäftstätigkeit und Entscheidungsfindung verwurzelt ist.
Letztes Jahr haben Sie Ihr 50-jähriges Unternehmensjubiläum gefeiert. Vor 30 Jahren starteten Sie mit Ihrer Nachhaltigkeitsreise und haben konsequent die negativen Umweltwirkungen Ihrer Geschäftstätigkeit reduziert. Dafür erhielten Sie in den USA wiederholt Preise. Was waren die wichtigsten Meilensteine innerhalb Ihres Nachhaltigkeitsengagements?
Minné: Wie bereits erwähnt, jährt sich 2024 zum dreißigsten Mal der Moment, in dem unser Gründer Ray Anderson seine Vision von Wirtschaft und Nachhaltigkeit in die Tat umsetzte. Seit 1994 haben wir unglaubliche Fortschritte bei der Reduzierung unserer Umweltauswirkungen gemacht und beeindruckende Meilensteine erreicht wie etwa 2020, als wir die weltweit erste cradle-to-gate Teppichfliese entwickelt und auf den Markt gebracht haben. Oder beispielsweise 2022: da haben wir 100 Prozent unserer Teppichfliesenproduktion in EMEA auf unsere CO2-negative Rückenkonstruktionslinie CQuest umgestellt.
Das hat Interface in Sachen Nachhaltigkeit erreicht. Liz Minné erklärt:
- 1995 starteten wir unser Rücknahmeprogramm ReEntry, um Produkte zur Wiederverwendung und zum Recycling zurückzunehmen und Bodenbeläge von Deponien fernzuhalten.
- 1996 stellten wir unsere ersten Nachhaltigkeitsergebnisse vor, darunter unser Treibhausgasinventar, 1997 veröffentlichten wir unseren ersten öffentlichen globalen Nachhaltigkeitsbericht.
- Im Jahr 2000 brachten wir Entropy auf den Markt, unser erstes von der Biomimicry inspiriertes Teppichfliesenprodukt, sowie i2, unseren Design-Ansatz zur Reduzierung von Kosten und Abfall.
- Im Jahr 2006 führten wir TacTiles ein, unser modulares, klebstofffreies Verlegesystem für Bodenbeläge.
- Im Jahr 2010 entwickelten wir gemeinsam mit dem Garnlieferanten Aquafil unser erstes Produkt aus 100 Prozent recyceltem Nylon.
- Im Jahr 2019 verkündeten wir den Erfolg unserer Mission Zero, unserer Verpflichtung, keine negativen Auswirkungen auf den Planeten zu haben.
- Im Jahr 2016 starteten wir Climate Take Back, mit dem Ziel, die globale Erwärmung umzukehren und bis 2040 CO2-negativ zu werden.
- Im Jahr 2020 haben wir die weltweit erste cradle-to-gate Teppichfliese entwickelt und auf den Markt gebracht. Diese Produktlinie werden wir weiter ausbauen.
- Im Jahr 2020 wurden unsere Mission Zero und Climate Take Back im Rahmen des Global Climate Action Awards der Vereinten Nationen ausgezeichnet.
- Im Jahr 2021 waren wir der erste Bodenbelagshersteller mit einem von Dritten validierten Ziel der Science Based Targets initiative (SBTi).
- Im Jahr 2021 wurden unsere CO2-neutralen Rückenkonstruktionen und Teppichfliesen im Rahmen des Fortune Change the World Award Programms ausgezeichnet.
- Im Jahr 2022 haben wir 100 Prozent unserer Teppichfliesenproduktion in EMEA auf unsere CO2-negative Rückenkonstruktionslinie CQuest umgestellt.
- Wir sind das einzige Unternehmen, das es seit der Einführung der GlobeScan SustainAbility Leaders Umfrage im Jahr 1997 jährlich geschafft hat, als führend bei der Integration von Nachhaltigkeit in die Geschäftsstrategie anerkannt zu werden.
Jetzt haben Sie Ihre aktualisierte Klimastrategie veröffentlicht. Warum haben Sie diese noch einmal verschärft?
Minné: Unser Planet befindet sich an einem Wendepunkt. Absolute Emissionsreduktionen sind entscheidend für die Lösung der Klimakrise. Deshalb konzentrieren wir uns jetzt auf direkte Projekte zur Kohlenstoffreduzierung und -speicherung, um den globalen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten und die im Pariser Abkommen geforderten Reduktionen zu erreichen.
Unser Ziel ist es, bis 2040 ein CO2-negatives Unternehmen zu werden. Wir richten unsere Bemühungen darauf aus, in unserem gesamten Unternehmen und in unseren Produkten mehr Kohlenstoff zu speichern, als wir emittieren. Darüber hinaus konzentrieren wir uns auf die Vermeidung und Reduzierung von Emissionen bei der Herstellung unserer Produkte, in unseren Geschäftsprozessen und in unserer Lieferkette. Durch diese Anstrengungen werden wir in der Lage sein, den CO2-Fußabdruck unserer Produkte zu reduzieren und unseren Kunden dabei zu helfen, ihre eigenen Scope-3-Reduktionsziele zu erreichen.
Für uns ist dies ein notwendiger Schritt, um unsere ehrgeizigen Klimaziele schneller zu erreichen.
Was sind die zentralen Ziele Ihres Emissionsreduktionsplans und bis wann wollen Sie diese umgesetzt haben?
Minné: Unsere ehrgeizigen ökologischen Nachhaltigkeitsziele, die keine Kompensation zulassen, erreichen wir durch die Konzentration auf innovative Projekte zur direkten Kohlenstoffreduzierung und -speicherung. Wir haben uns folgende Klimaziele gesetzt:
- Bis 2030 wollen wir die von der Science Based Targets initiative (SBTi) validierten Ziele erreichen, um unsere absoluten Scope-1- und Scope-2-Treibhausgasemissionen zu halbieren, die absoluten Scope-3-Emissionen aus eingekauften Waren und Dienstleistungen zu halbieren und die Emissionen aus Geschäftsreisen und dem Pendeln unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 30 Prozent zu reduzieren, jeweils ausgehend vom Basisjahr 2019.
- Bis 2040 wollen wir ein CO2-negatives Unternehmen werden.
Sie sagen, dass Sie gänzlich auf CO2-Kompensation verzichten wollen. Das ist eine große Herausforderung. Bitte erklären Sie uns, wie das trotzdem funktioniert.
Minné: Die CO2-negative Teppichfliese hat für uns alles verändert – wir haben bewiesen, dass es möglich ist, mehr Kohlenstoff zu speichern, als zu emittieren. Wir glauben, dass wir dies in unserem gesamten Produktportfolio erreichen können, von der Teppichfliese bis hin zu elastischen Bodenbelägen. Deshalb fordern wir uns und andere heraus, im gesamten Unternehmen ohne Kompensation CO2-negativ zu werden.
Die Investitionen, die vorher in Kompensationsmaßnahmen geflossen sind, sollen ab 2025 in Innovationsprojekte fließen, die auf die Klimaziele einzahlen. Was sind das für Initiativen?
Minné: Seit Beginn unserer Nachhaltigkeitsreise haben wir im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie in Innovation und F&E investiert. Jetzt konzentrieren wir uns noch stärker auf Initiativen, die uns dabei helfen, in unserem gesamten Unternehmen mehr Kohlenstoff zu vermeiden, zu reduzieren und zu speichern, um unsere ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Dabei wollen wir auch andere Unternehmen inspirieren, es uns gleich zu tun.
Wir werden frühere Kompensationsinvestitionen umwidmen, um Innovationsprojekte zu beschleunigen, die sowohl intern als auch in unserer gesamten Beschaffungskette zu direkten Kohlenstoffreduktionen und -speicherungen führen. Beispiele für laufende und zukünftige Initiativen sind:
- Neugestaltung der Produktentwicklung und -herstellung, um die Reduzierung und Speicherung von Kohlenstoff zu fördern.
- Reduzierung des CO2-Fußabdrucks unserer Produkte durch Innovationen bei Produktion und Rohstoffen sowie durch Erhöhung des Recycling-anteils.
- Verstärkter Einsatz von biobasierten Materialien in allen Produktkategorien.
- Erkundung von Möglichkeiten und Partnerschaften in unserer Beschaffungskette, um Scope-3-Emissionen in Zukunft zu reduzieren.
- Identifizierung und Förderung der kommerziellen Einführung von Kreislaufmodellen in allen Produktkategorien.
Sie haben Ihre Klimaziele von der Science Based Targets initiative (SBTi) validieren lassen. Die steht nun wieder in der Kritik. Der Vorwurf des Greenwashings steht im Raum, da der Vorstand der SBTi die Vorgaben für CO2-Ziele von Unternehmen durch die Möglichkeit von Offsetting lockern möchte. Wie gehen Sie damit um?
Minné: Wir können nicht sagen, was andere Unternehmen tun oder inwieweit Kompensationsmaßnahmen in ihrer Strategie eine Rolle spielen. Das Wichtigste für uns ist, dass wir uns weiterhin auf die Maßnahmen und Innovationen konzentrieren, die wir benötigen, um unsere Klimaziele für 2030 und 2040 zu erreichen. Letztendlich glauben wir, dass die Kompensation von CO2-Emissionen nicht ausreicht, um der Dringlichkeit der Klimakrise zu begegnen, und dass unsere Investitionen besser in Projekte fließen sollten, die eine direkte Reduzierung oder Speicherung von CO2 ermöglichen. Dies wird uns helfen, unsere Klimaziele schneller zu erreichen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Über Liz Minné
Liz Minné, Ph.D., ist Head of Global Sustainability Strategy bei Interface, dem globalen Unternehmen für Bodenbeläge und Pionier im Bereich Nachhaltigkeit. Liz Minné und ihr Team sind verantwortlich für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens, einschließlich des wissenschaftlich fundierten Ziels von Interface, bis 2040 kohlenstofffrei zu sein. Darüber hinaus ist sie zuständig für die weltweite Kommunikation der Umweltkennzahlen an Investoren, Kunden und andere Stakeholder. Vor ihrem Wechsel zu Interface war Liz Minné für den Hersteller und Servicedienstleister von Aufzugsanlagen TK Elevator tätig, wo sie die Umweltberichterstattung für TKE North America leitete. Liz hat an der Georgia Tech in Umwelttechnik promoviert und lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in Atlanta.