Compliance im Fußball
Der Fußball befindet sich in der Falle: Seine große Popularität sorgt für hohe Aufmerksamkeit, damit auch für Geld (Sponsoren, Fernsehgelder) und – für zusätzliche Risiken. Wer möchte sich nicht im Glanz des Fußballs sonnen (von Politikern bis Wirtschaftsbossen, nicht zu vergessen die Medien) oder etwas vom finanziellen Kuchen abbekommen? Eitle Selbstdarsteller, windige Geschäftemacher, alle tummeln sich auf diesem Feld und sind manchmal schwer von den seriösen Branchenvertretern zu unterscheiden.
17.06.2014
Da kommt der Ansatz von Compliance doch wie gerufen, um zu den hehren Werten des Sports zurückzukehren bzw. ihnen Geltung zu verschaffen. Nur leider sind auch Compliance-Experten verführbar, wollen Aufträge – z.B. aus dem Fußball – ans Land ziehen und genießen die damit verbundene mediale Resonanz, die sie im außersportlichen Alltag sonst nicht erzielen können. So wichtig es ist, Compliance auch im Sport durchzusetzen, so gefährlich ist es, einfach Erfahrungen aus der Wirtschaft zu übertragen. Der Fußball ist dafür das beste Beispiel.
Es beginnt damit, dass – grob gesprochen – zwei Bereiche zu unterscheiden sind: Der Profi-Sport, in Ligen mit eigener Rechtsform organisiert (die Deutsche Fußball-Liga, „DFL“), und der Amateursport, in Deutschland in gemeinnützigen Vereinen verankert (der Deutsche Fußball-Bund, „DFB“). Zwar gibt es vielfältige Querverbindungen zwischen beiden und der DFB ist mit den Nationalmannschaften und einem Teil seiner Ligen ebenfalls für Profispieler zuständig, aber für diesen Artikel genügt es, auf grundlegende Verschiedenheiten Bezug zu nehmen. Die DFL mit den Bundesligisten ist durch und durch ein wirtschaftlich ausgerichteter „Betrieb“, an den dann auch die Maßstäbe aus der Wirtschaft anzulegen sind, hier gilt es also, Compliance zu verankern. Der DFB und seine Vereine dagegen leben vom ehrenamtlichen Engagement, die demokratisch aufgebauten Strukturen mit Willensbildung von unten nach oben stellen völlig andere Anforderungen. Statt Compliance passt hier der Begriff „Good Governance“, wie ihn auch die Europäische Union im Sport verwendet, besser. Diese Wortwahl symbolisiert, dass zwar die grundsätzlichen Prinzipien (Nachhaltigkeit und Integrität sind im Kern nicht disponibel) gleich sind, auch manche Instrumente übernommen bzw. angepasst werden können, aber die inhaltlichen Ansatzpunkte und vor allem die Vorgehensweise zur Umsetzung ganz andere Herausforderungen zu berücksichtigen haben.
Die notwendige Differenzierung als Bedingung für den Erfolg lässt sich an aktuellen Diskussionen verdeutlichen:
Da ist z.B. der Reformprozess der FIFA, ausgelöst durch eine Vielzahl von Korruptionsvorwürfen rund um die Vergabe der FIFA World Cup-Veranstaltungen 2018 (an Russland) und 2022 (an Katar) im Dezember 2010 sowie die Wiederwahl von FIFA-Präsident Blatter im Juni 2011. Sechs Mitglieder des FIFA-Exekutiv-Komitees wurden seitdem suspendiert oder mussten zurücktreten, und unter Leitung von Prof. Mark Pieth machte sich ein Gremium von Compliance-Experten daran, Struktur und Regelungen der FIFA zu überarbeiten. Zwar waren Fußball-Stakeholder eingebunden, aber der Prozess selber zielte angesichts des zeitlichen Rahmens nicht auf grundlegende Überzeugungsarbeit, sondern ähnelte mehr einer Verordnung von oben. Was für den engeren Einflussbereich der FIFA, d.h. die führenden Funktionäre sowie die Angestellten, durchaus Sinn macht, wird schon der Struktur und den Willensbildungsprozessen der Kontinentalverbände nicht gerecht und geht an der Realität der Mehrzahl der 209 Mitgliedsverbände vorbei.
Wenn dann bei Vorgaben aus der FIFA-Zentrale in Zürich z.B. der nationale Fußballverband der Cook Islands (weniger als 15.000 Einwohner) oder Usbekistan (Platz 168 im Korruptionswahrnehmungsindex CPI) und der DFB (6,8 Millionen Mitglieder) bzw. Deutschland (Platz 12 im CPI) über einen Kamm geschert werden, darf man sich über Widerstände nicht wundern. Eine Verständigung über Prinzipien und die Entwicklung darauf aufbauender Tools für unterschiedliche Ausgangssituationen hätten mehr Zeit benötigt. Aber da saß die FIFA wiederum in der Falle der hohen Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und befürchtete, sich diese Zeit nicht nehmen zu können. Das hat Rückwirkungen in Deutschland. Die FIFA will eine Ethik-Kommission für alle Nationalverbände verpflichtend vorschreiben, der DFB wehrt sich dagegen und wird dafür u.a. von seinem ehemaligen Präsidenten Dr. Theo Zwanziger, jetzt Exekutiv-Komitee-Mitglied der FIFA, öffentlich kritisiert. Als ob eine Ethik-Kommission ein Allheilmittel ist – schließlich hatte die FIFA eine solche seit 2006, ohne dass dies einen Skandal verhindert hätte.
Wenn es um strukturelle Notwendigkeiten geht, sind Bezeichnungen uninteressant. Es kommt nur darauf an, ob die erforderliche Funktion angemessen erfüllt wird. Da ist der DFB mit seiner professionellen Verbandsgerichtsbarkeit so gut aufgestellt wie kaum ein anderer Verband weltweit und kann zusätzliche Verfahren wegen Ethik- bzw. Complianceverstößen ohne weiteres in das vorhandene System integrieren. Es sollte gerade das Ziel jeglicher Reformen im Sport sein, für eine Verschlankung des Verbandswesens zu sorgen statt die Vielzahl der vorhandenen Gremien noch weiter aufzublähen. Das trägt zu Transparenz sowie klaren Verantwortlichkeiten bei und minimiert somit Risiken.
An dieser Debatte wird deutlich, wie schnell der eigentlich notwendige Ansatz – nämlich die Risiken konkret zu analysieren und dann adäquate Maßnahmen zu ergreifen – außer Acht gelassen wird. Manchmal kann man sich gar des Eindrucks nicht erwehren, dass über den Streit zum Thema Compliance ganz andere Sträuße ausgefochten werden, letztlich zum Schaden des Sports. Umso wichtiger, sich die Situation im deutschen Fußball genauer anzuschauen: DFL und DFB haben sich des wohl größten Risikos für ihren Sport, nämlich der Spielmanipulation in Verbindung mit Internetwetten, in dem Projekt „Gemeinsam gegen Spielmanipulation“ beispielhaft angenommen und geben ihre Erfahrungen in einem EU-geförderten Projekt auch an andere Länder weiter. Zum Thema Hospitality, ebenfalls ein beliebtes Compliance-Thema, liegt seit Herbst 2011 eine Handreichung der beiden Organisationen vor. Ansonsten hapert es vor allem bei den Bundesliga-Teams oft noch an einer den Risiken angemessenen, systematischen Compliance.
Insbesondere die Bedeutung von Interessenkonflikten wird leicht unterschätzt. Wobei auch hier wieder die Popularitätsfalle zuschnappt und die Probleme gar nicht im Fußball allein zu verorten sind. Die spektakulärsten Fälle – der Verbleib von Uli Hoeneß als Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG selbst bei laufendem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung sowie die behauptete Verknüpfung von Bandenwerbung für den VfL Wolfsburg mit möglichen Aufträgen im Bereich Telekommunikation – sind weit eher bei den beteiligten Wirtschaftsunternehmen anzusiedeln, statt sie allein dem Sport zuzuschreiben. Offensichtlich reagieren auch Vorstände von Dax-Unternehmen, kaum sind sie im sportlichen Umfeld aktiv, eher emotional aus dem Bauch, statt mit der nötigen professionellen Distanz.
Der DFB seinerseits legt durch eine Stärkung der Basis gerade wesentliche Grundlagen für Good Governance in seinen Vereinen und sonstigen Untergliederungen. Die aktuelle Kampagne, in einem breit angelegten Diskussionsprozess 2012/13 mustergültig entwickelt, stellt die den Fußball prägenden Werte in den Mittelpunkt und leitet davon Folgerungen für das Selbstverständnis im Amateurfußball, für Verhaltensstandards und Vorgehensweisen aber auch z.B. qualitative Anforderungen an die Ehrenamtlichen ab.
Da ist viel in Bewegung gekommen, auch wenn noch längst nicht alles erreicht ist. Aber das sieht in Wirtschaft, Politik und Medien im Hinblick auf Integrität und Compliance nicht anders aus.