Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Bald jedem zweiten Unternehmen fehlt eine Risikomanagement-Strategie. Das ergab jüngst eine internationale Studie von DNV GL. Das bedeutet jede Menge Aufklärungsbedarf. An der Hochschule Magdeburg-Stendal unterrichtet der Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Erwin Jan Gerd Albers deshalb Risikomanagement als Unterrichtsfach. Wir fragten ihn, was ein gutes Risikomanagement ausmacht.
21.08.2017
Hallo Herr Professor Albers, Sie unterrichten Risikomanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Das hat ja viel mit Sorgen und Vorsorgen zu tun. Kann man sagen, Sie bringen Ihren BWL-Studenten das Fürchten bei?
Prof. Albers: Ganz im Gegenteil. Angst ist eine natürliche Reaktion des Menschen auf das Umweltgeschehen, aber viele Menschen schätzen die Risiken falsch ein und reagieren irrational. Einerseits entsteht Panik, wenn eine relativ kleine Gefahr z.B. durch Haifische oder ganz aktuell durch Terroranschläge droht, andererseits werden die erheblichen Verletzungsgefahren z.B. im Straßenverkehr oder auf einer Baustelle vielfach ignoriert. Wir wollen den Studierenden im Masterstudiengang "Risikomanagement – Management von unternehmerischen Risiken" am Standort Stendal der Hochschule Magdeburg-Stendal vermitteln, die Risiken realistisch einzuschätzen, damit man diese effektiv steuern kann. Im Übrigen sind Risiken nicht nur Gefahren, sondern genauso Chancen unternehmerisch erfolgreich zu sein.
Was gehört zum Rüstzeug eines guten Risikomanagers?
Albers: Ein Fundament aus umfassenden betriebswirtschaftlichen Grundkenntnissen vom Rechnungswesen über Kernfächer wie Finanzierung, Produktion, Personal etc. bis zu interdisziplinären Fächern wie Wirtschaftsrecht oder Wirtschaftsinformatik ist unerlässlich. Letzteres ist übrigens mein Fachgebiet. Nicht ganz unwichtig sind Kenntnisse in der Anwendung mathematisch-statistischer Methoden und die Fähigkeit, durch Simulation die Auswirkungen von Entscheidungen zu ergründen.
Gefühlt kommt es einem so vor, als nehmen Risikomanagement und Compliance-Fragen immer mehr Raum bei der Unternehmenssteuerung ein. Wird Globalisierung immer problematischer, oder haben wir einfach zu komplexe Lieferketten aufgebaut?
Albers: Die Globalisierung und die damit verbundene zunehmende Arbeitsteilung in komplexen Lieferketten führen zu einer stärkeren Anonymisierung der Geschäftsbeziehungen. Je weniger sich die Geschäftspartner persönlich kennen und intuitiv vertrauen können, umso mehr müssen Instrumente eingesetzt werden, die dieses Vertrauen wieder herstellen. Diese Instrumente können vertrauensvolle Beziehungen nicht ersetzen, aber es gilt weiterhin der Leitspruch: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."
Beim Umgang mit Risiken im Unternehmen gilt meist das Prinzip: Aus Schaden wird man klug. Haben Sie Tipps, wie man Risiken smarter managt, damit das Kind nicht erst in den Brunnen fallen muss?
Albers: Schäden wird man im Leben und auch im Unternehmen nie völlig vermeiden können, und kleine Schäden sollte man oft eher tolerieren, als einen riesigen Aufwand zu ihrer Vermeidung zu treiben. Risikosteuerung bedeutet daher, Schadenshöhen und Eintrittswahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Das kann ein Risikomanager nie ganz alleine machen, sondern sie/er ist immer auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in den Fachgebieten angewiesen. Wenn dagegen der Überbringer einer schlechten Nachricht, d.h. eines Risikos, für dieses verantwortlich gemacht wird, dann verwundert nicht, dass die Informationsflüsse stocken.
Risiken muss man unterscheiden zwischen solchen, deren Auftreten wahrscheinlich ist und solchen, die selten, dann aber heftig nachwirken. So sind politische Risiken wie die Brexit-Folgen bei vielen klar auf der Agenda, so langfristige Themen wie der Klimawandel dagegen eher selten. Wie holt man auch solche Themen auf der täglichen Agenda weiter nach oben?
Albers: Bezug nehmend auf meine Antwort auf die erste Frage lautet meine Antwort: Leider sind vielen Leuten die immensen Risiken des Klimawandels nicht bewusst und werden darin noch durch einen Präsidenten bestärkt, der diesen völlig negiert. Während ein Straftäter erst dann verurteilt werden darf, wenn letzte Zweifel an seiner Schuld beseitigt sind (was viele Kleinbürger nicht verstehen), dürfen wir bei persönlichen, unternehmerischen oder gesellschaftlichen Risiken nicht warten, bis diese Realität geworden sind. Aufwendungen für die Abwehr einer drohenden Gefährdung sind keine Verschwendung gewesen, auch wenn das Ereignis nicht eingetreten wäre. Gutes Risikomanagement ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht nur sichere Auswirkungen, sondern eben auch mögliche Folgen angemessen berücksichtigt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!