Whistleblower-Preis 2015 vergeben
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die deutsche Sektion der internationalen Juristenorganisation IALANA haben den Whistleblower-Preis 2015 zu gleichen Teilen an den ehemaligen US-Drohnenpiloten Brandon Bryant und den Molekularbiologen Prof. Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen (Normandie/Frankreich) sowie den Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis an den NS-Verfolgten Physiker Dr. Léon Gruenbaum (geb. 1934 gest. 2004) vergeben. Die Verleihung der Preise erfolgt Mitte Oktober im Karlsruher Rathaus.
24.09.2015
Die Jury hatte ihre Auswahlentscheidung wie folgt begründet:
Brandon Bryant war in den Jahren 2006 bis 2011 bei der US Air Force als Drohnenpilot im Einsatz. Nach einer Zeit schwerer Gewissenskonflikte gab er aus eigenem Entschluss seinen Dienst auf und schied im Juli 2011 aus den US-Streitkräften aus. Er lehnte und lehnt aus ethischen Gründen den globalen geheimen US-Drohnenkrieg ab. Ihn schrecken insbesondere die damit verbundenen unzähligen zivilen Opfer und auch die schweren psychischen Folgen für die an den Tötungen beteiligten Drohnenpiloten, von denen viele gravierende gesundheitliche Schäden davontragen.
Er wollte dies nicht länger mitverantworten und bedauert heute seine frühere Mitwirkung an diesen extra-legalen Tötungen zutiefst. Brandon Bryant deckte als Insider ab Dezember 2012 in zahlreichen Interviews auf, wie dieser globale Drohnenkrieg geführt wird. Er hat dabei öffentlich – für Deutschland besonders bedeutsam – auch die zentrale Funktion der Relaisstation und des „Air and Space OPs Center (AOC)“ in der US-Air-Base Ramstein (Rheinland-Pfalz) enthüllt, ohne die das gesamte Programm global in diesen Dimensionen nicht durchführbar wäre. Er nahm bei seinen Enthüllungen dienst- und strafrechtliche Verfolgung sowie drohende soziale Isolation in Kauf.
Seine Enthüllungen lassen erkennen: Mit Hilfe der schnellen transatlantischen Glasfaserverbindungen über die Relaisstation in Ramstein wird der Kontakt von den USA zu den Drohnen fast ohne Latenz praktisch in Echtzeit ermöglicht. Die Einrichtungen in Ramstein beschränken sich dabei nicht auf den Datentransfer; vielmehr sind dort bis zu 650 Soldaten und Bildauswerter tätig, die den Kommandeuren bei der Zieldefinition zuarbeiten. Die US-Drohnenangriffe sind nach Auffassung vieler Staaten und der bei weitem meisten Völkerrechtler insbesondere wegen der damit verbundenen und bewusst in Kauf genommenen großen Zahl ziviler Opfer mit Art. 51 und 57 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen nicht vereinbar.
Solche Angriffe sind völkerrechtswidrig, wenn der „Begleitschaden“ vorhersehbar war und wenn er durch die Anwendung praktisch möglicher Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden vermeidbar gewesen wäre oder wenn die mit ihm verbundenen Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.
Professor Dr. Gilles-Eric Séralini hat als Wissenschaftler an der Universität Caen, Frankreich, als erster bei einem zweijährigen Fütterungsversuch mit Ratten die Giftigkeit und die tumorauslösende Wirkung des weltweit am häufigsten verwendeten Herbizids, des Glyphosat-basierten „Roundup“, im Tierversuch festgestellt.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung seines Forschungsberichts im Jahre 2012 in der Zeitschrift Food and Chemical Toxicology (FCT), die im Elsevier-Verlag erschien, ist er in einer Kampagne „interessierter Kreise“ aus der Chemieindustrie sowie von dem von der Industrie mitfinanzierten „British Science Media Centre“ vehement angegriffen worden. Das führte zur Zurückziehung der Veröffentlichung durch den Herausgeber der genannten Zeitschrift wegen „Unschlüssigkeit“ („inconclusiveness“) und damit zur Nichtzitierfähigkeit der darin enthaltenen Daten, was klar gegen internationale Regeln der Publikationsethik verstieß, wie sie das „Committee on Publication Ethics (COPE)“ festgelegt hat. Denn das Zurückziehen von Publikationen und der darin enthaltenen Daten ist danach nur bei schweren Verstößen wie nachgewiesener Fälschung oder Manipulation, 'ehrlichem' Irrtum (honest error) oder bei Plagiat gerechtfertigt.
Prof. Séralini ist es gelungen, seine Studie 2014 in einer anderen Zeitschrift, Environmental Sciences Europe (Springer-Verlag), erneut zu veröffentlichen und somit der wissenschaftlichen Analyse und Nutzung zu erhalten. Sie konnte damit auch für die kürzlich veröffentlichte Neubewertung von Glyphosat als 'wahrscheinlich krebserregend' durch die „International Agency for Research on Cancer (IARC)“ der Weltgesundheitsorganisation WHO herangezogen werden. Mit dieser IARC-Expertise wird nicht nur die tumorauslösende Wirkung, die Prof. Séralini in seinen Studien beobachtet und über die er berichtet hat, bestätigt, sondern auch, dass viele dieser Tumore bösartig sind, was bislang - trotz gegenteiliger Behauptungen - nicht Gegenstand der Untersuchungen von Prof. Séralinis Studien war.
In diesem Jahr wurde erstmals auch ein Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis vergeben, und zwar an Dr. Léon Gruenbaum, einen früher am Kernforschungszentrum Karlsruhe beschäftigten deutsch-französischen Physiker, der als NS-Verfolgter („survivor child“) gegen rassistische und NS-affine Äußerungen dortiger NS-belasteter Leitungspersonen protestiert hatte und im Gefolge dieser Konflikte nicht weiterbeschäftigt wurde. Bei der Würdigung seines Wirkens geht es u.a. auch um das Aufdecken von Fehlverhalten des Ehrensenators der Karlsruher Universität (KIT), des früheren administrativen Geschäftsführers des KFZ Karlsruhe Dr. Rudolf Greifeld, sowie um Gruenbaums Arbeiten zu den Verstrickungen des Forschungszentrums in die Weiterverbreitung von Atomwaffen.
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