Messen & Konferenzen

"Wir haben so lange nichts getan, dass dem Klima mit Trippelschritten nicht gedient ist“

Was können wir von den anstehenden Klimakonferenzen erwarten? Wie wird der Klimawandel hierzulande aussehen? Welche Rolle spielt die Energiewende? Wir sprachen darüber mit Prof. Mojib Latif.

11.06.2015

Die Energie- und Klimapolitik der EU stößt auf geteiltes Echo. Das zeigen auch die Ergebnisse des EU-Klimagipfels in Brüssel im Oktober 2014. Ist Europa in der internationalen Klimapolitik noch Motor oder eher Bremse?

Prof. Mojib Latif: Europa spielt weder in der einen noch in der anderen Richtung eine herausgehobene Rolle. Bei den jüngsten Verhandlungen ist ziemlich deutlich geworden, dass es starke nationale Interessen gibt. Großbritannien beispielsweise scheint sich ganz der Atomkraft verschrieben zu haben und torpediert deshalb alle Effizienzziele. Und dann ist da noch Polen als das Kohleland schlechthin. Der jetzige Kompromiss sieht mindestens 40 Prozent weniger CO2 sowie 27 Prozent Anteil erneuerbarer Energien und genauso viel mehr an Energieeffizienz vor.

Was aber viele nicht wissen ist, dass immer noch der Europäische Rat, das Gremium der Regierungschefs, mit der Thematik befasst ist. Selbst, wenn die EU-Kommission irgendetwas beschließt, kann das im Europäischen Rat immer noch gekippt werden, weil dort das Einstimmigkeitsgebot gilt. Dort können Länder wie Polen oder auch Großbritannien jedes Klimaziel blockieren. Deswegen finde ich den EU-Kompromiss etwas faul.

Vieles wird derzeit mit Blick auf die UN-Klimakonferenz Ende 2015 in Paris diskutiert. Dazu eine Frage an den Realisten Professor Latif und an den Utopisten Professor Latif. Was glauben Sie, wird in Paris erreicht, und was wünschen Sie sich, was Paris erreichen soll?

Latif: Dort werden zwar Ziele vereinbart werden, aber ob die am Ende dann wirklich zum Klimaschutz taugen, wage ich zu bezweifeln. Im Prinzip ist ja die Situation ähnlich wie 2009 in Kopenhagen, und dort ist man grandios gescheitert. Diese Blöße wird man sich jetzt nicht mehr geben. In Paris wird es ein Abschluss-Dokument geben, aber das wird so viele Hintertüren haben, dass es uns letzten Endes nicht groß weiterbringen wird. Ich erinnere nur an den Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm 2007. Damals hieß es in der Erklärung „Wir erwägen ernsthaft, den Ausstoß von Treibhausgaben bis zur Mitte des Jahrhunderts zu halbieren.“

Wer der deutschen Sprache mächtig ist, der weiß, dass man sich da praktisch auf nichts verständigt hat. Ich nehme an, so wird das jetzt Ende 2015 auch in Paris laufen. Die Politik wird das als Durchbruch feiern, aber ich bin ein Mann der Zahlen, und ich sehe nur das, was tatsächlich passiert: Seitdem sich die Weltpolitik seit Beginn der 1990er mit dem Thema Klimawandel beschäftigt ist der CO2-Ausstoß um über 60 Prozent gestiegen. Das spricht eine ganz eigene Sprache. Anspruch und Wirklichkeit klaffen doch ziemlich weit auseinander. Der Utopist glaubt, dass letzten Endes die technologische Entwicklung bei den erneuerbaren Energien so schnell vorangehen wird, dass sich diese ganzen Konferenzen irgendwann von alleine erledigen.

Prof. Dr. Mojib Latif ist Leiter des Forschungsbereichs Ozeanzirkulation und Klimadynamik am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er ist in Deutschland einer der meist gefragten Klimaexperten.
Prof. Dr. Mojib Latif ist Leiter des Forschungsbereichs Ozeanzirkulation und Klimadynamik am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er ist in Deutschland einer der meist gefragten Klimaexperten.

Wie beurteilen Sie die Verhandlungspositionen der USA und Chinas? Manche sagen, von dort kommt Bewegung, andere sind reservierter.

Latif: Die Frage ist, wie man Bewegung definiert. Weder die USA noch China werden kategorisch ablehnen, ihren Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Die Frage ist nur, wie stark, und ich gehe davon aus, dass das Jeder selbst bestimmen will. Das ist die Bewegung. Außerdem wird es jede Menge Zahlenspiele geben: Die USA werden wahrscheinlich das Basisjahr anders definieren als wir in Europa. Statt 1990 werden sie auf 2005 als Basisjahr drängen. Das macht für sie die Reduzierungen einfacher. Ich will nicht sagen, dass der UN-Gipfel in Paris keine Bewegung bringen wird, aber das gegenwärtige Schneckentempo bei den Klimaverhandlungen entspricht überhaupt nicht der Dramatik des Klimawandels. Wir haben so lange nichts getan, dass dem Klima mit Trippelschritten nicht mehr gedient ist.

Welchen Einfluss nehmen da eigentlich Wissenschaftler auf die politischen Verhandlungen? Werden sie gehört?

Latif: Ja natürlich. Dafür gibt es ja die Berichte des Weltkimarates IPCC. Da steht alles drin und das wird auch nicht bestritten. Aber Politik ist, wie man so schön sagt, die Kunst des Machbaren. Leider hat das, was bisher ausgehandelt wurde in keinster Weise ausgereicht, den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden.

Wird es so etwas wie einen Kyoto-Folgeprozess geben?

Latif: Ja, ich glaube schon. Es wird irgendein Nachfolgeabkommen in Paris geben, aber, wie gesagt, mit vielen Ausnahmen, was einfach der Tatsache geschuldet ist, dass man unbedingt ein Abkommen braucht, weil noch einen Flop kann sich die Weltpolitik nicht leisten. Das Abkommen soll dann 2020 in Kraft treten, aber es wird vermutlich löchrig wie ein Schweizer Käse sein.

Klimawandel scheint Konsens und doch gibt es immer wieder Streit unter Wissenschaftlern. Ist das nur ein Medienhype oder gibt es hier wirklich noch grundlegende Debatten?

Latif: Das ist eine reine Mediengeschichte. In der Wissenschaft gibt es diesen Disput in keiner Weise.

Aber nicht nur außenstehende Klimaskeptiker sorgen für Misstöne. Auch innerhalb der eigentlich überzeugten UN Organisation IPCC gibt es rund um den UN-Klimabericht immer wieder Streit. Können Sie uns das erklären?

Latif: Es gibt drei Berichte des IPCC. Der erste Teil sind die wissenschaftlichen Grundlagen. Dort arbeite ich mit. Hier gibt es keinen Disput. Im zweiten Teil geht um die Auswirkungen. Gerade die biologischen Folgen sind höchst umstritten, weil es dazu auch nicht viele Daten gibt. Der dritte Teil behandelt Anpassungs- und Vermeidungsstrategien. Das ist sehr politisch und kontrovers, wie Sie sich vorstellen können. Was ist die beste Strategie? Da gibt es viele Möglichkeiten. Die einen sagen: Wir brauchen „Carbon Capture Storage“, also die CO2-Abscheidung und -Lagerung. Die anderen sagen: Es geht auch ausschließlich über die erneuerbaren Energien. Da gibt es Disput. Das will ich gerne einräumen. Aber dabei handelt es sich um eine ökonomische Diskussion. Im Prinzip ist heute der Weg ausschließlich über die erneuerbaren Energien immer noch möglich, wenn wir das Klima auf einem halbwegs akzeptablem Niveau stabilisieren möchten.

Immer wieder warnen Klimaforscher vor sogenannten Kipppunkten, also Situationen, wo wir irreparable Schäden in Kauf nehmen. Auf welche Kipppunkte haben Sie persönlich ein besonderes Augenmerk?

Latif: Ich weiß aus meiner täglichen Arbeit, dass es solche Kipppunkte gibt. Aber ob und wann sie eintreten, das kann ich nicht sagen. Ich stehe mehr auf dem Standpunkt, dass wir das System eigentlich gar nicht so gut verstehen, als dass wir jetzt diese Kipppunkte wirklich identifizieren oder gar die Schwellenwerte formulieren können, bei denen sie eintreten. Das System ist nämlich viel zu komplex. Deswegen führen wir ein gigantisches Experiment mit unserem Planeten durch und warten ab, was passiert. Unwissenheit ist aber der beste Grund, diesen Weg nicht zu weit zu gehen. Mir macht das, was ich nicht weiß, mehr Angst als das, was ich weiß. Übrigens: das Ozonloch hat kein Wissenschaftler vorhergesagt.

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In jedem Fall kann man aber sagen, dass wir eine globale Erwärmung erleben. Ob 2, 4 oder gar 6 Grad Erwärmung: Auf was müssen wir uns in Deutschland gefasst machen?

Latif: Wenn man die Entwicklung der Emissionen der letzten Jahrzehnte hochrechnet, dann sind wir auf einem Kurs von mindestens 3, wahrscheinlich sogar 4 oder 5 Grad Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts. Was bedeutet das? Unser Wetter wird extremer werden, d.h. auf der einen Seite lange Trockenheit, auf der anderen Seite sintflutartige Niederschläge. Der Meeresspiegel wird steigen. An unseren Küsten könnte das durchaus ein Meter sein. Auch danach, also jenseits des nächsten Jahrhunderts, geht es natürlich weiter. Vielleicht sogar noch für Jahrtausende.

Das Klima ist sehr träge. Außerdem haben wir es mit der Versauerung der Weltmeere zu tun. CO2 landet zum Teil immer im Meer. Das kann man nicht vermeiden. H2O und CO2 ergibt H2CO3, d.h. Kohlensäure, und deswegen versauern die Weltmeere. Wenn das so weiter geht, dann tickt hier eine Zeitbombe in den Ozeanen mit katastrophalen Folgen für die Meeresökosysteme.

Von der Wirtschaft und der Forschung erwartet man jetzt vor allem Innovationen. Was wird gebraucht? Wo würden Sie Schwerpunkte setzen?

Latif: Wir müssen zeigen, dass die erneuerbaren Energien durchaus einsatzfähig sind und dass man dadurch in Wohlstand leben kann, wenn man auf die konventionellen Energien verzichtet. Wenn man das in Deutschland wirklich hinbekommt, hätte das so eine große Signalwirkung auf den Rest der Welt, dass man dann tatsächlich eine Dynamik erreichen könnte, die schließlich die Klimaverhandlungen überflüssig machen würde. Alle würden sehen: Ja, man kann mit Sonne und Wind viel besser und zu geringeren Kosten wirtschaften. Das sind Rohstoffe, die nichts kosten.

Wo gibt es das sonst? Auf diesem Weg hat Deutschland auch schon viel erreicht. Erneuerbaren Energien werden nicht mehr belächelt, sondern haben einen Anteil von ca. 30 Prozent an der Stromerzeugung. Das hätte noch vor zwanzig Jahren kein Mensch geglaubt und galt als Utopie. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Nur so stimuliert man Innovation.

Sehen Sie, dass wir die Energiewende und die lokale Erzeugung in naher Zukunft noch als echten Wettbewerbs- und Standortvorteil erleben werden?

Latif: Ja, ich denke um das Jahr 2020. Ich habe dabei auch die weltpolitische Lage – die Ukraine-Krise, der Konflikt im Nahen Osten – im Blick. Wir geben in Deutschland heute schon ca. 100 Milliarden Euro für Energieimporte aus, und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kosten sinken werden. Sie werden langfristig steigen. Erneuerbare Energien machen aber nur Sinn, wenn sie dezentral zum Einsatz kommen.

Große Stromautobahnen von den riesigen Windparks in der Nordsee zum Verbraucher in Bayern sind unvernünftig. Nur, wenn wir es hinbekommen, überall kleinere, standortangepasste Energieeinheiten zu haben, wird die Energiewende so gelingen, dass sie auch ökonomisch von Vorteil ist. Und das erfordert vor allem auch den Umbau der Stromnetze und die weitere Entwicklung von Speichern.

Weiterer wichtiger Punkt ist aber auch die Reduktion des CO2-Ausstoßes in der Industrie, im privaten Haushalt oder in anderen Bereichen. Da kursieren ja immer wieder so Begriffe wie „Low Carbon“ oder gar „Zero Carbon Industry“. Geht das überhaupt?

Latif: Nein, kurzfristig nicht. Aber langfristig! Man müsste bis 2050 den weltweiten Kohlendioxid-Ausstoß um mindestens 50 Prozent verringern. Und dann praktisch auf Null kommen bis zum Jahr 2100. Wenn wir so einen langen Zeithorizont von noch 85 Jahren betrachten, dann würde es mich wundern, wenn man das nicht hinbekäme.

Vor zehn Jahren haben Sie bereits in einem Gastbeitrag im Global Compact Jahrbuch über die verrinnende Zeit beim Thema Klimawandel geschrieben. Seitdem ist der CO2 Ausstoß Jahr um Jahr gestiegen. Warum kriegen wir Menschen eigentlich keinen Kurswechsel hin?

Latif: Das liegt einfach daran, dass die Bedrohung nicht empfunden wird. Wir haben es hier mit einem langfristigen Problem zu tun, dessen Auswirkungen in der Zukunft liegen. Es gibt eine zeitliche Entkopplung von Ursache und Wirkung. Wir haben aber auch eine räumliche Entkopplung: Wenn etwa der Meeresspiegel steigt, dann bauen wir in Deutschland halt die Deiche etwas höher. Die wahren Folgen tragen hauptsächlich die Menschen in den Tropen, darunter Bangladesch und die Inseln im Indischen Ozean. Das ist die räumliche Entkopplung. Es wohnt uns Menschen inne, dass wir nur auf das reagieren, was unmittelbar vor unserer Haustür passiert. Der Klimawandel entwickelt sich schleichend, und hier sehen wir Menschen nicht die Notwendigkeit, schnell zu handeln.

Dennoch ich hoffe, dass sich am Ende die Sichtweise des Utopisten Professor Latif durchsetzt.

Latif: Ja, das hoffe ich auch. Das ist aber eigentlich für mich gar keine Utopie. Ich glaube fest daran.

Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!

Im Original ist der Text im Jahrbuch "Global Compact Deutschland 2014" erschienen.

Quelle: UmweltDialog
 

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