Ist das Umweltrecht gerecht? Theorie und Praxis
Die Rechtsphilosophie kennt viele Theorien und Konzepte zur Umweltgerechtigkeit, doch finden sie auch Niederschlag in der konkreten Rechtspraxis? Sind Umweltvölker-, Europa- und Verfassungsrecht (höherrangiges Recht) und das nationale Recht der Luftreinhaltung (einfaches Recht) so ausgestaltet, dass Umweltgüter und Umweltlasten gerecht verteilt werden? Diesen Fragen gingen das Öko-Institut und die TU Dresden in einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes nach.
29.09.2015
„Wir konnten viele Grundsätze oder Prinzipien im höherrangigen Recht finden, in denen theoretische Gerechtigkeitskonzepte verwirklicht werden: Diese Vorgaben sind für das nationale Recht der Luftreinhaltung jedoch bis auf wenige Ausnahmen nicht zwingend. Auch im nationalen (einfachen) Recht der Luftreinhaltung können viele Regelungen als Umsetzung von Gerechtigkeitskonzepten interpretiert werden. Allerdings konnten wir auch einige Lücken in der Gesetzgebung feststellen“, fasst Andreas Hermann vom Öko-Institut zusammen.
Werden die Verursachergruppen von bestimmten Luftschadstoffen gleich behandelt?
Die Studie stellt fest, dass die Emittenten der Luftschadstoffe Ammoniak, Feinstaub und Stickstoffoxid nicht entsprechend ihrem Verursachungsanteil herangezogen werden. So haben Behörden im Landwirtschaftsbereich weniger rechtliche Möglichkeiten, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor diesen Schadstoffen zu schützen, als im Industrie- und dem Kraftfahrzeugverkehrsbereich.
„Ein Grund dafür liegt zum Beispiel darin, dass Acker- und Grünflächen nicht als Anlagen im Sinne des Immissionsschutzes gelten, obwohl sie sehr stark genutzt und belastet werden. In der Folge müssen Landwirte keine Vorsorge- und Schutzpflichten für emittierte Luftschadstoffe einhalten, die von Acker- und Grünflächen ausgehen und für Tierhaltungsanlagen gelten sie erst ab einer großen Tieranzahl“, erklärt Hermann.
„Das genannte Beispiel widerspricht dem sogenannten Konzept der verhältnismäßigen Gleichheit, da wir hier eine Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Emittentengruppen feststellen konnten“, erklärt Prof. Dr. Schulte von der TU Dresden.
Darüber hinaus konstatiert die Studie, dass zahlreiche Vorschriften zum Gesundheitsschutz und der Gesundheitsvorsorge zu einer verhältnismäßigen Gleichheit zwischen den Bewohnern von stark und weniger stark belasteten Gebieten beitragen. Allerdings kommt es gerade bei Stickoxiden, Feinstaub und Ammoniak in Ballungsgebieten zur Überschreitung der Grenzwerte zum Gesundheitsschutz. Dazu müssen alle Verursacher entsprechend ihres Anteils herangezogen werden. Für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Schadstoffbelastungen sollten die Behörden zudem die Möglichkeit erhalten, die Einhaltung von Luftqualitätszielen bereits unterhalb der Schwelle von gesundheitsschädlichen Beeinträchtigungen zu erzwingen. Dies würde dazu beitragen das Gesamtniveau der Schadstoffbelastung zu senken und in der Folge auch die Grenzwertüberschreitungen in hoch belasteten Zonen reduzieren.
Befähigungsgerechtigkeit: Freie Entfaltung von Fähigkeiten möglich?
Auch das Konzept der Befähigungsgerechtigkeit wird im praktischen Recht teilweise verwirklicht. So wird die Befähigungsgerechtigkeit im Recht der Luftreinhaltung und den dort enthaltenen Informations-, Beteiligungs- und Klagerechten verwirklicht. Es gibt Privatpersonen und Umweltvereinigungen das Recht, gegen eine Genehmigung zur Neuerrichtung oder Änderung von Anlagen, zum Beispiel einem Kraftwerk, zu klagen. Damit können die Anwohner zum Beispiel die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten zum Schutz ihrer Gesundheit überprüfen lassen.
Allerdings räumt ihnen das derzeitige Recht lediglich einen Zeitraum von sechs Wochen ein, um die Genehmigungsunterlagen einzusehen und ihre Einwendungen schriftlich bei der zuständigen Behörde einzureichen. „Viel zu kurz“, so Silvia Schütte vom Öko-Institut, „bei komplexen Anlagen ist es insbesondere Privatpersonen kaum möglich, anhand der Genehmigungsunterlagen beurteilen zu können, ob und wie sie von der Anlage betroffen sind.“
Ausgleich zwischen heutigen und zukünftigen Generationen
Nach dem Konzept der intergenerationellen Gerechtigkeit hat die heutige Generation dafür Sorge zu tragen, dass auch zukünftige Generationen über genug lebensnotwendige Ressourcen und eine saubere Umwelt verfügen. Seinen Niederschlag findet dieses Gerechtigkeitskonzept im Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip, die sowohl im Umweltvölker- und Europarecht, als auch im nationalen Recht verankert sind. Praktische Bezugspunkte zur theoretischen Generationengerechtigkeit finden sich beispielsweise auch in den Nachsorgepflichten der Anlagenbetreiber und der kontinuierlichen Anpassung der TA Luft.
Allerdings fehlt es im Recht der Luftreinhaltung an rechtsverbindlichen, operativen Bestimmungen, um Umweltqualitätsziele einzuhalten und damit die intergenerationelle Gerechtigkeit zu verwirklichen. Die heutige Belastung der Umwelt mit nicht abbaubaren Schadstoffen wie Arsen, Kadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen aus Industrie- und Kraftfahrzeugemissionen aber auch mit Ammoniak-Immissionen aus der Landwirtschaft widersprechen dem Konzept der intergenerationellen Gerechtigkeit. Sie schädigen und gefährden den Erhalt der Ökosysteme für nachfolgende Generationen.