Mittelständler sind findige Nachhaltigkeits-Pioniere
CSR im Mittelstand sei ein dickes Brett zum Bohren, so die gängige Ansicht. Oft sind es aber gerade findige Mittelständler, die mit Nachhaltigkeitsinnovationen neue Wege beschreiten. Dr. Holger Petersen und Prof. Dr. Stefan Schaltegger vom Centre for Sustainability Management (CSM) an der Leuphana Universität belegen dies mit ihrem neuen Buch. UmweltDialog sprach darüber mit dem Ko-Autor Holger Petersen.
04.01.2016
UmweltDialog: Der Mittelstand tut sich schwer mit dem Thema Nachhaltigkeit, wenn es um Einbau von Managementstrukturen geht. Will ihr Buch hier Praktikern helfen oder worum geht es?
Dr. Holger Petersen: Der Aufbau von Managementstrukturen steht weniger im Vordergrund. Wir wollen mit dem Buch nicht an den (vermeintlichen) Schwächen, sondern an den offensichtlichen Stärken vieler Mittelständler ansetzen. Diese Stärken sehen wir in der Innovationsfreude und Freiheitsliebe von Nonkonformisten, der Kunden- und Vertriebsnähe bis in die Geschäftsleitung hinein und einem oft ausgeprägten persönlichen Verantwortungsbewusstsein. Auch der Wunsch, anderen zu beweisen, "dass es doch geht", kann viel bewirken. Hier ansetzend möchten wir praktische Anregungen liefern, die Mittelständler auf die Potenziale einer nachhaltigkeitsorientierten Geschäftsausrichtung neugierig machen. Nach unserer Erfahrung richten manche Mittelständler später auch entsprechende Managementsysteme ein, oft aber erst nachdem die Begeisterung für nachhaltigkeitsbezogene Marktchancen im Kerngeschäft geweckt und mit Leben gefüllt wurde.
Wie wichtig gelebte Leitbilder sind, zeigt aktuell das Beispiel VW – was raten Sie Mittelständlern, um Compliance-Regeln durchzusetzen?
Dr. Petersen: Je nach Branche und Geschäftsausrichtung können verbindlich dokumentierte Compliance-Regeln auch für Mittelständler eine Rolle spielen. Nach allem was wir wissen, scheint dies aber hier nicht der springende Punkt zu sein. Denn wir können davon ausgehen, dass VW schon lange über ein professionelles System ausdifferenzierter, formaler Regelungen verfügt, das an dieser Stelle trotzdem kläglich versagte. Entscheidend ist wohl eher die Frage, ob Angst, Opportunismus und kriminelle Energien den Umgang mit Zielvorgaben der Geschäftsleitung dominieren und ob das Wachstum der Absatzzahlen wie bei VW über alles andere gestellt wird.
Fragwürdig sind so erstens quantitative Wachstumsziele, denen sich auch die Nachhaltigkeit unterordnen muss sowie zweitens die Führungskultur im Unternehmen. Insofern stellen sich die Herausforderungen hier vor allem an das Zielsystem und die Persönlichkeitsentwicklung der Führungskräfte. Leider helfen gut gemeinte Ratschläge hier seltener weiter als persönliche Krisenerfahrung.
Im Buch beschreiben Sie viele Bereiche von Marketing über Design bis hin zu Vertrieb. Kann eine Firma überhaupt in allen Feldern nachhaltig sein?
Dr. Petersen: Die Produktentwicklung vom Design bis zum Vertrieb ist zusammenhängend im Kontext eines Marketings zu sehen, das Umsätze mit nachhaltigem Mehrwert anstrebt. Gerade in kleineren und mittleren Unternehmen kann dieser Prozess eher in einem Guss gelingen als in Großunternehmen mit klaren Abteilungsgrenzen. Abgesehen davon muss eine Firma nicht bereits in allen Feldern vorbildlich nachhaltig sein, um sich für unternehmerische Nachhaltigkeit begeistern und einsetzen zu können. Der Elan des Mittelstands lebt von Ideen und Plänen, die gern auch an der eigenen Unvollkommenheit ansetzen und dabei aus der Fülle schöpfen können. Irgendwo tatsächlich anzufangen ist dann wichtiger, als alles beherrschen zu wollen.
Welche Teilbereiche sind für Sie besonders wichtig und haben Priorität?
Dr. Petersen: Ich freue mich über jedes Unternehmen, das die Lösung ökologischer und sozialer Probleme in sein Kerngeschäft rückt und Entscheidungen über neue Produkte und Geschäftsmodelle mit Nachdruck und Ausdauer daran ausrichtet. Noch mehr freue mich, wenn diese Unternehmen damit auch ökonomisch erfolgreich sind und alle Beteiligten im Unternehmen ihre Arbeit insofern im umfassenden Sinne als bereichernd erleben. Das möchte ich unterstützen. Dabei setze ich auf eine Pluralität der Lösungsvorschläge. Denn mangelnde Nachhaltigkeit resultiert aus dem Überschreiten von Belastungsgrenzen. Belastungsgrenzen werden überschritten, wenn alle immer das Gleiche machen. Prioritäre Teilbereiche im Unternehmen sind dafür nebensächlich, wobei die Ausrichtung auf das Kerngeschäft die Produktentwicklung, das Marketing und den Vertrieb schon in den Fokus rückt, im Gefolge aber auch die Beschaffung und Produktion, das Controlling, Personalwesen und schließlich alle anderen Funktionsbereiche.
Sie unterstützen selbst KMUs im Innovationsverbund Nachhaltiger Mittelstand. Können Sie die Arbeit dort etwas vorstellen?
Dr. Petersen: Den wesentlichen Bezugspunkt bilden regelmäßige Workshops zu einem vereinbarten Thema. Wie in dem Buch "Nachhaltige Unternehmensentwicklung im Mittelstand" setzen wir im Innovationsverbund vor allem darauf, Anregungen, Impulse, manchmal auch Irritationen zu geben. Wir möchten dazu beitragen, dass Teilnehmer fundiert für sich einschätzen können, welche Chancen ein Thema wie "Ökodesign" oder "Dienstleistungskonzepte" für sie bereithält. Hierzu liefern wir zusammen mit externen Referenten eine Übersicht mit pragmatischen Einblicken in aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse. Diese Impulse bilden die Grundlage für eine anschließende längere Arbeitsphase, in der Teilnehmer aus unterschiedlichen Branchen, überwiegend Inhaberinnen und Inhaber von KMU, ihre eigene Situation reflektieren und zusammen Verbesserungen und neue Geschäftsideen entwickeln können. To-do-Listen mit einem "So wird's gemacht" hört man von uns dagegen seltener, das käme gegenüber freiheitsliebenden Unternehmerinnen und Unternehmern auch leicht anmaßend rüber.
Holger Petersen, Stefan Schaltegger:
Nachhaltige Unternehmensentwicklung im Mittelstand
Mit Innovationskraft zukunftsfähig wirtschaften
224 Seiten, oekom verlag, München 2015
ISBN-13: 978-3-86581-776-1
29,95 €