Warum der Islam keine gewaltbereite Religion per se ist
Mit "Gewaltfreiheit, Politik und Toleranz im Islam" gibt Jörgen Klußmann gemeinsam mit Muhammad Sameer Murtaza, Holger-C. Rohne und Yahya Wardak bei Springer VS einen Sammelband heraus, der sich mit dem kulturellen und religiösen Erbe des Islam befasst. Das Buch wurde jetzt anlässlich eines interreligiösen Studientages zum Thema „Friedenspotentiale abrahamitischer Religionen – Juden, Christen, Muslime“ der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Stiftung Weltethos der Öffentlichkeit vorgestellt.
08.12.2015
#NotInMyName – mit diesem Hashtag haben Muslime auf der ganzen Welt in den Sozialen Netzwerken auf die Gewaltnacht in Paris reagiert und distanzieren sich damit vom tödlichen Terror des Islamischen Staats (IS). Sie wollen ein Zeichen gegen eine zunehmend pauschale Verurteilung setzen, denn seit Monaten demonstriert die Organisation PEGIDA gegen eine vermeintliche Islamisierung und die deutsche und europäische Einwanderungspolitik. „Die Rechte nutzt dabei die Vorbehalte, die durch die Attentate vom 11. September 2001 gewachsen sind“, warnt der Islamwissenschaftler Jörgen Klußmann in seiner Publikation "Gewaltfreiheit, Politik und Toleranz im Islam". Die aktuellen Entwicklungen in Syrien, im Irak und Nigeria und jetzt Paris würden weiter Öl ins Feuer gießen. Doch der Islam sei keine gewaltbereite Religion per se.
„Rechtspopulisten und Rechtsextreme nutzen den Islam und Muslime gern als Feindbilder – besonders nach dem 11. September 2001 gilt der Islam vielfach als eine gewalttätige Religion“, beschreiben die Herausheber die vorherrschend-einseitige Meinung. Dabei seien die vorhandenen fanatischen Strömungen im Islam wie in allen anderen Religionen auch lediglich Ausdruck eines falschen Glaubensverständnisses. Ohne Zweifel gebe es in den heiligen Schriften – in der Tora, der Bibel oder dem Qur’an – Aussagen, die Gewaltanwendung einräumen. Doch diesen Aussagen stünden ebenso zahlreiche Textpassagen gegenüber, die für Gewaltfreiheit und Frieden eintreten. Auch andere Quellen im Umkreis der heiligen Bücher wie der jüdische Talmud, die muslimische Sunna oder die nicht in den biblischen Kanon übernommenen Schriften – die Apokryphen – könnten Aufschluss über den Stellenwert von gewaltfreiem Reden und Handeln in den abrahamitischen Religionen geben.
Im ersten Teil des Sammelbandes gehen die Autoren anhand der Geschichte des Propheten Mohammed und der verschiedenen Rechtsschulen der Frage nach, wie sich die Vorstellungen von der Gestaltung eines Staates und dem Umgang mit Macht und Gewalt entwickelten. „Der Islam ist von seinen Quellen her weder gewalttätig noch diktatorisch“, so die Herausgeber. Passagen, die von Gewalt sprechen, müssten genau wie in anderen heiligen Schriften in ihrem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext betrachtet werden. Eine einseitige Auslegung aber, wie sie von fanatischer Seite betrieben wird, werde der letzten großen Offenbarungsreligion in keiner Weise gerecht.
Die Beiträge des zweiten Teils befassen sich damit, wie Gewaltlosigkeit zeitgemäß theologisch begründet werden kann und welchen Stellenwert Toleranz und Freiheit in verschiedenen islamischen Kulturen und Traditionen haben. Mit dem Mediationsverfahren „Sulha“ wird zudem ein Beispiel für gewaltfreies Handeln im islamisch-arabischen Raum vorgestellt. Die Autoren behandeln dabei auch, wie sich einige Muslime in der Auseinandersetzung mit dem Westen radikalisierten, wie sich der Islam zur Demokratie verhält und was von muslimischer Seite nötig ist, um den Fanatikern entgegen zu treten. Im dritten Teil werden zwei Persönlichkeiten der islamischen Welt vorgestellt, die beispielhaft für Frieden und Gewaltlosigkeit eingetreten sind: der syrische Gelehrte Jawdat Sa’id und der muslimische Wegbegleiter von Gandhi, Abul Ghaffar Khan.
Die Autoren im Buch beschreiben damit eine im Westen weitgehend unbekannte Seite des Islam. Trotz des Niedergangs der islamischen Rechtsprechung – der Schari'a – und der Verhärtung des Glaubens hat sich die traditionelle Toleranz des Islam anderen Religionen gegenüber erhalten, so das Fazit der Herausgeber: „Moderne islamische Theologen treten für Gewaltlosigkeit ein.“
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