Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung
Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen wie Globalisierung, Klimawandel und Finanzkrise wird vermehrt auch grundsätzliche Kritik an der Wertschöpfung von Unternehmen laut. Um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in verantwortungsvolles Unternehmenshandeln zurückzugewinnen, sind nachhaltige Geschäftsmodelle unabdingbar. Wir haben darüber mit dem Governance-Fachmann Rudolf X. Ruter gesprochen.
26.05.2016
Hallo Herr Ruter, Sie fordern in Ihrem Buch „Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung“ von Managern Tugenden ein. Welche sind das?
Rudolf X. Ruter: Tugenden sind erworbene Haltungen, die ihre eigene Sinnhaftigkeit auch in Konfliktsituationen durchhalten. Diese Tugenden helfen bei der praktischen Bewältigung des unternehmerischen Alltags und beim ‚störungsfreien’ und nachhaltigen Betrieb eines Unternehmens. Neben Tapferkeit/Mut, Mäßigung/Besonnenheit, Klugheit/Weisheit, Gerechtigkeit/Haftung, Glaube/Vertrauen, Hoffnung/Zukunft und Liebe/Respekt allem voran – und gleichsam als oberste Tugend - für einen ehrbaren Manager gilt mein Lieblings-Grundsatz „Grundsatz der Selbstverständlichkeit“. Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Das heißt, es gibt Dinge, die man einfach (nicht) tut. Zum Beispiel wird ein ehrbarer Manager einer Entscheidung nie seine Stimme geben in einer Situation, die er nicht versteht. Ein ehrbarer Manager macht den Mund auf und ist bereit, die Konsequenzen zu tragen, wenn er eine Entscheidung nicht mittragen kann. Jeder Mensch – auch der Manager - braucht Moral und Anstand. Wie der Fisch das Wasser zum leben. Jeder Mensch selbst hat Moral und Anstand und sucht es auch stets bei seinem Gegenüber. Der eine vielleicht weniger als der andere. Und der andere vielleicht dafür etwas mehr.
Der Alltag ist aber eher von VW- und anderen Skandalen geprägt: Sind Sie ein einsamer Rufer im Wald oder geht trotz allem der Trend Richtung unternehmerische Verantwortung?
Ruter: Die Tagesaktualitäten und immer neueren Details aus den Häusern Volkswagen, Deutsche Bank, DFB/FiFa (um nur drei konkrete Namen zu nennen) lassen uns an den Weisheiten des englischen Jubilars und Dramatiker William Shakespeare (1564 – 1616) zweifeln „Keine Zeit ist so erbärmlich, dass man nicht wieder ehrlich werden könnte“. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass Ehrbarkeit in der deutschen Wirtschaft nach wie vor weit verbreitet ist. Immer mehr und insbesondere jüngere Führungskräfte bekennen sich zu einer klaren Sinn- und Werte-Orientierung und verabschieden sich von Arroganz, Hochmut, Geiz, Genusssucht, Zorn, Völlerei, Neid und Veränderungsträgheit.
Eine transparente, verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung gewinnt zunehmend einen immer höheren gesellschaftlichen Stellenwert. Die Anzahl der deutschen ehrbaren Manager wächst kontinuierlich. Insbesondere traditionsreiche Familienunternehmen gehen hier mit guten Beispiel seit Jahrhunderten vorne an. Der Unternehmer Robert Bosch (1861-1942) verstand unternehmerische Verantwortung schon 1921 nicht als Zweck, sondern als Bedingung wirtschaftlichen Handelns: «Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn.»
Ein großer Fokus liegt bei Ihnen auf Vorständen und Aufsichtsräten. Ist der „Tone from the top“ immer der richtige Weg?
Ruter: Vor allem Aufsichtsräte und Vorstände sollten als Hüter der Corporate Governance eines Unternehmens stets ein Vorbild im Vorleben von Tugenden einer ehrbaren Führungskraft sein. Die gesellschaftliche Aufgabe von Unternehmen besteht darin, Wertschöpfungsprozesse im Sinne eines individuellen und gemeinsamen verantwortlichen Handelns zu organisieren. Neben Regeln und Normen für Manager können Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung hierbei helfen im Sinne einer Chancenverbesserung für ein erfolgreiches Management.
Nachhaltige Unternehmensführung ist ein langfristig ausgerichtetes, werte-basiertes und gegenüber Mensch und Umwelt Verantwortung forderndes, gelebtes Konzept!
Der Tone of the Top ist entscheidend. Hier fragt sich der Top-Manager „Welches Vorbild will ich geben?“ Welche Leitplanken gibt es zur Chancenverbesserung für ein persönliches und nachhaltiges Erfolgsmanagement einer Führungskraft? Im Vordergrund stehen das eigene Verhalten und die eigene Haltung. Die Führungskraft gibt konkrete Hinweise für das wirksame Einbinden und der Sicherstellung einer nachhaltigen Unternehmensführung und gibt Antworten auf folgende Fragen: Welches Vorbild will ich geben? Welche Werte will ich leben? Welche Sinn- und Werte-Orientierung benötigt mein Unternehmen um erfolgreich zu sein?
Was verstehen Sie unter Störfall-Management?
Ruter: Ein wichtiger Grundsatz nachhaltiger Unternehmensführung lautet: Aktiviere Selbsterneuerungskräfte nach Störfällen. Dieses „Aktivieren“ bedarf eines intensiven Managementprozesses. „Störfälle“ – das Wort weckt Assoziationen zu Castortransporten, den Unfällen von Tschernobyl und Fukushima. Neben dem Hintergrund der Atomindustrie haben diese Beispiele gemein, dass sie eine Ausnahmesituation darstellen. In diesem Sinne beschreibt der Begriff „Störfall“ hier eine Situation, in der ein normaler, geregelter Geschäftsablauf wesentlich beeinträchtigt ist. Diese Störung kann unterschiedlich stark sein: Es kann sich um eine vorübergehende Leistungseinschränkung des übrigen erfolgreichen betrieblichen Wertschöpfungsprozesses handeln; oder dieser Prozess ist sogar als ganzer bedroht: dann befindet sich das Unternehmen in einer Krise. Fortgeschrittene Krisensituationen schließlich sind dadurch gekennzeichnet, dass einerseits die Handlungsfähigkeit der Unternehmensführung außer Kraft gesetzt ist. Andererseits haben wichtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits den Glauben an den Fortbestand des Unternehmens verloren und versuchen, ihre Interessen für die „Zeit danach“ zu sichern. An diesem Spannungsverhältnis skizziert sich ein erster Lösungsansatz: die Unternehmensführung muss mittels Ad-hoc-Maßnahmen ihren Handlungsspielraum vergrößern und durch Integration der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Umgestaltungsprozess deren Motivation fordern und fördern.
Das Wort „Selbsterneuerungskraft“ benennt, wo der Ursprung der Kräfte zu verorten ist, nämlich im Unternehmen. Hier sind mehr oder weniger gravierende Fehler gemacht worden, doch hier liegen auch die Potenziale der Rückkehr zu einer nachhaltigen Wertschöpfung mit Hilfe eines aktiven Krisenmanagements.
Dabei spielt die ethische Orientierung in jeder Phase des Krisenmanagements eine Schlüsselrolle. Gefragt sind Tugenden, die letztlich in einem bestimmten Selbst- und Weltverhältnis wurzeln. Am Beginn steht die Demut und Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber; es geht um die Fähigkeit, sich eigene Fehler einzugestehen und diese anzugehen.
Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung
Herausgegeben von Prof. Dr. Edeltraud Günther und Rudolf X. Ruter
Berlin 2015: Erich Schmidt Verlag
ISBN 978-3-503-16315-1
EUR (D) 39,95
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