Wie viel zu groß ist unser ökologischer Fußabdruck?
Die Menschheit lebt über ihren Verhältnissen. Das ist bekannt. Doch wie groß ist unser ökologischer Fußabdruck genau? Und wo ist es schlimmer, wo wird es besser? Nur wer hier die Fakten kennt, kann Maßnahmen sinnvoll steuern. Wir sprachen anlässlich des heutigen „Earth Overshoot Day“ mit Mathis Wackernagel, Gründer und Vorsitzender des Global Footprint Networks.
08.08.2016
Hallo Herr Wackernagel, Sie haben in Ihrem Buch „Footprint“ den ökologischen Fußabdruck der Welt neu vermessen. Was gibt es da Neues, was wir nicht schon wissen (sollten)?
Mathis Wackernagel: Die Welt leidet an einer fundamentalen Wissenslücke. Das ist nicht neu. Aber je länger wir warten, diese Lücke zu füllen, desto enormer sind die wirtschaftlichen Risiken. Zwar gibt es viele Meinungen zu diesem Thema, aber die decken sich kaum: Auf der einen Seite ist es klar, dass unsere Natur und damit auch die Atmosphäre begrenzt ist. Aber auf der anderen Seite werden die Wirtschaftspolitik und die Wirtschaftsstrategien so gelegt, als wären Ressourcen oder Klima kein wesentlicher Faktor. Wer hat Recht? Wirkliches Wissen bedeutet Konsens.
Die Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, braucht um ihren Konsum zu decken von der Natur viermal mehr als die Schweizer Ökosysteme erneuern können. Hat das wirtschaftliche Konsequenzen? Einige sagen absolut – andere sehen das als unbedeutend an. Da keine klare, realistische, gemeinsame Antwort zu haben ist, höchst riskant. Denn schnell kann die Schweiz oder kein anderes Land seine Ressourcenabhängigkeit neuen Gegebenheiten anpassen. Das braucht Vorausblick. Unsere Footprint-Buchhaltung liefert dazu quantitative Einsichten. Zum Beispiel zeigen wir, dass 71 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern lebt, die ein ökologisches Defizit haben (also mehr Footprint als Biokapazität) und gleichzeitig weniger als der Weltdurchschnitt verdienen. Das bringt diese Menschen in eine schwierige Lage, da sie sich finanziell nicht einfach aus der Ressourcenknappheit herauskaufen können.
Was besagt der ökologische Fußabdruck und was kann er nicht leisten?
Wackernagel: Er ist eine grobe Buchhaltung, der die Wirtschaft auf die Fläche abbildet, die notwendig ist, um sie materiell zu versorgen. Also, wir rechnen alle Bedürfnisse nach Natur zusammen, die um Fläche im Wettbewerb stehen: Essen, Fasern, Holz, CO2-Absorption, Flächen für Städte. Das gibt uns eine Abschätzung, wie viel wir brauchen, im Vergleich dazu, was die Natur erneuern kann. Innerhalb des Budgets der Natur zu leben, ist eine grundlegende, notwendige Bedingung für die Nachhaltigkeit, aber nicht hinreichend. Daher braucht es auch noch andere Messinstrumente zur Qualität der Naturnutzung und auch zur Qualität des menschlichen Lebens. Dazu sagt der Footprint nichts.
Ist das nicht einfach nur „ökologische Buchhaltung“? Wir alle wissen doch, dass wir auf „zu großem Fuß“ leben. Nur ändern tut sich wenig, oder?
Wackernagel: Wie auch finanzielle Buchhaltung: Sollten wir nicht genauer wissen, wo der Schuh drückt? Wären Sie mit einem Kontoauszug ihrer Bank zufrieden, der nur sagt: Sie haben Schulden. Wie viel zu groß ist unser Footprint? Wie groß soll er sein? Was sind die Konsequenzen eines zu großen und eines zu kleinen Footprints?
Bleiben wir beim Thema Bedarf und Verbrauch! Sie stellen in Ihrem Buch kluge Fragen, beispielsweise: Wie viel Biokapazität braucht ein gutes Leben?
Wackernagel: Das ist die grundsätzliche Frage, die im Zentrum der akademischen Forschung stehen sollte. Was wir zeigen können ist, dass heute sehr wenige Länder auch nur nah an beiden Nachhaltigkeitsbedingungen lebt: hohe Lebensqualität und genügend kleiner Footprint. Wenn wir nur die Sustainable Development Goals der UN verfolgen, so wie das Jeffrey Sachs gemessen hat, dann sind die Länder, die den Zielen am nächsten sind, solche, für die es drei Erden bräuchte, lebten alle Menschen wie die.
Läuft die ganz Debatte um den ökologischen Fußabdruck nicht auf Maßhalten, Einschränkung und damit auch „Bevormundung“ hinaus? Wie Erfolg versprechend ist ein dirigistischer Ansatz?
Wackernagel: Dirigistische Ansätze sind zum Scheitern verurteilt. Die physische Buchhaltung ist ebenso maßhalterisch oder bevormundend wie eine finanzielle Buchhaltung. Unser Instrument ist beschreibend. Es kann Risiko abschätzen. Damit können wir informierte Entscheidungen treffen. Auch sagt uns Lessing: Kein Mensch muss müssen. Aber wir leben mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen.
Heute jährt sich wieder der „Earth Overshoot Day“, also der Tag, an dem die Menschheit die natürlichen Ressourcen eines ganzen Jahres erschöpft hat. Vor zwanzig Jahren lag dieser Tag noch Ende November, aber Jahr für Jahr rückt er weiter vor. Gibt es eigentlich irgendwo auf der Welt Tendenzen, dass sich dieser Trend, und sei es nur regional, umkehrt?
Wackernagel: Dieses Jahr liegt der Tag am 8. August. Es gibt noch einiges zu tun. Einige Länder sind aktiver. Deren größte Anstrengungen richten sich auf den CO2-Footprint. China will den Trend umkehren und spricht von „Ecological Civilization.“ Deutschland setzt sich schon länger für die Energiewende ein. Schottland will bis 2020 seinen CO2-Footprint auf 58 Prozent von 1990 herunterfahren und scheint das auch zu erreichen. Die Welt hinkt weit hinterher.
Jorgen Randers, Autor der Neuauflage der Grenzen des Wachstums, sagte mir in einem Gespräch, dass er sich damit tröstet, dass die schlimmsten Verluste im Bereich der Biodiversität heute bereits vollzogen seien. Wie sehen Sie die Zukunft? Wie wird es weitergehen?
Wackernagel: Die Zukunft findet schon heute statt … Länder mit niedrigem Einkommen und wenigen Ressourcen, besonders noch bei wachsender Bevölkerung, sind schon heute unter enormem Druck. Viele Leute dort sehen wenige Perspektiven, ziehen weg – in Städte oder ins Ausland – und werden mit schwierigsten Umständen konfrontiert. Daher muss Entwicklung auf Ressourcensicherheit aufbauen. Sonst bauen wir Kartenhäuser. Ohne unseren Ressourcenhunger radikal und schnell umzulenken, werden wir nicht nur einiges an Biodiversität verlieren, sondern auch schon für heute lebende Generationen die Lebensgrundlagen enorm schwächen. Wirtschaften mit der Natur und nicht gegen sie, sehe ich als einzigen Weg. Unsere Wirtschaftsstrategen sehen das aber, implizit, diametral anders. Damit beschleunigen wir den unwirtschaftlichen Raubbau. Das bedroht nicht nur Elefanten und Nashörner. Ich bin kein Schwarzmaler. Ich weiß, dass Wirtschaften ohne Raubbau möglich ist. Schwarzmalen ist, den Raubbau zu tolerieren oder gar voranzutreiben.
Dekarbonisierung der Industrie gilt für viele als einziger echter Ausweg. Zugleich sehen wir, dass die Pariser Klimaabkommen von vielen, nicht zuletzt der EU, eher verwässert als forciert werden. Welche Rolle räumen Sie globalen Rahmenvereinbarungen ein?
Wackernagel: Paris ist ein Quantensprung. Universell zu akzeptieren, dass 2 Grad die Obergrenze sind, übersetzt sich in ein klares CO2-Budget: weniger als 20 Jahre der heutigen Emissionen. Rechnen Sie selbst: 450 ppm CO2e ist wahrscheinlich schon zu hoch für 2 Grad (nach IPCC). Wir sind schon über 405 ppm CO2 (und höher wenn wir die anderen Treibhausgase einrechnen). Wir erhöhen mit heutigen Emissionen die CO2-Konzentration um 2.1 ppm pro Jahr. Wie viel CO2-Budget da bleibt, kann jeder Primarschüler ausrechnen – nämlich etwa 20 Jahre, maximal!
Wenn wir uns Paris verwässern lassen, dann nur, weil viele zu faul sind, auch nur ein wenig zu rechnen. Ich sehe diese Rechnung hier kaum vorgelegt. Kaum eine Umweltgruppe, ein Umweltministerium, Wissenschaftler, Journalist rechnet vor. Wir verstecken uns hinter dem abstrakten "2 Grad", statt das Ziel in CO2 zu übersetzen. Ohne Rechnung lässt sich kaum Druck machen, um auch jeder und jedem klar zu machen, dass unsere Politik klimainkompatibel ist. Und wir sollten auch zeigen, dass Klimakompatibilität nicht netto kostet, sondern die viel bessere Option ist. Aus direktem Eigeninteresse. Denn eine Wirtschaft, die sich nicht auf Ressourcenknappheit und Klimaveränderung vorbereitet, wird es viel schwerer haben. „There is no business case in waiting.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Mathis Wackernagel & Bert Beyers
Footprint. Die Welt neu vermessen
Hamburg 2016: CEP Europäische Verlagsanstalt
252 Seiten, broschiert
€ [D] 19,90
ISBN 978-3-86393-074-5