Nutzen und Grenzen von Nachhaltigkeitsratings und -berichten
Voller Stolz verkündete die Volkswagen AG in einer Pressemitteilung am 11.09.2015: „Volkswagen ist der nachhaltigste Automobilkonzern der Welt“. Im angesehenen Dow Jones Sustainability World (DJSI) Index war Volkswagen erneut als nachhaltigster Automobilhersteller gelistet, wobei nachhaltig im Sinne ethischer Unternehmensführung, ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung verstanden wird. Die DJSI-Index-Familie ist für Investoren der weltweit wichtigste Gradmesser für diese Einschätzung von Großunternehmen.
28.06.2016
Im Ranking zum DJSI World erreichte Volkswagen die Spitzenposition mit 91 von 100 möglichen Punkten, in den Feldern Verhaltensgrundsätze, Compliance und Antikorruption sogar 100 von 100 Punkten. Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Prof. Dr. Martin Winterkorn hierzu: „Diese Auszeichnung ist ein großer Erfolg der ganzen Mannschaft. Sie belegt, dass der Volkswagen Konzern auf dem besten Weg ist (…)“.
Volkswagen auf dem besten Weg …? Bereits neun Tage später musste derselbe Vorstandsvorsitzende eingestehen, dass US-Behörden festgestellt hatten, bei Abgastests an VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren wären Manipulationen festgestellt worden. Drei Tage später trat Martin Winterkorn als Vorstandsvorsitzender zurück. Am 29.09.2015 wurde Volkswagen aus der DJSI-Index-Familie gestrichen und der Titel „nachhaltigster Automobilhersteller der Welt“ aberkannt.
Welche Aussagekraft haben Nachhaltigkeitsrankings und -berichte?
Wie konnte VW im DJSI die Maximalpunktzahl in den Themengebieten Compliance, Verhaltensgrundsätze und Antikorruption vergeben erhalten? Es scheint, als hätten die zuständigen Analysten der Ratinggesellschaft RobecoSAM wesentliche Informationen übersehen, als sie ihre Bewertungen abgaben. Und auch den Wirtschaftsprüfern von PricewaterhouseCoopers, die den 156-seitigen Nachhaltigkeitsbericht 2014 testiert haben, waren die Manipulationsvorwürfe wohl nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Nachhaltigkeitsrankings und -berichte überhaupt in der Lage sind, eine Aussage über die unternehmerische Verantwortung eines Unternehmens zu geben. Oder transportieren sie lediglich einen schönen Schein, in dem kritische Aspekte der Geschäftstätigkeit ausgespart werden?
Grundlage des Problems sind asymmetrisch verteilte Informationen zwischen dem Unternehmen (Volkswagen) und dem Prüfer (PricewaterhouseCoopers bzw. RobecoSAM). Volkswagen verfügt über interne Informationen und kann entscheiden, welche dieser Informationen in welcher Form weitergegeben werden. Das Bestreben, kritische Aspekte der Geschäftstätigkeit politisch weichzuspülen besteht nach eigenen Erfahrungen insbesondere bei börsennotierten Unternehmen.
Anreize schaffen, wahrheitsgemäß zu berichten
Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Schlechte Unternehmensnachrichten senken den Aktienkurs. Das Unternehmen hat einen Informationsvorsprung. In den Wirtschaftswissenschaften ist dies unter den Phänomenen „Moralisches Risiko“ (moral hazard) bzw. „Adverse Selektion“ (adverse selection) bekannt. Schlechte Risiken werden verborgen bzw. zu guten Risiken umdeklariert. Der Prüfer kann dies glauben oder Anreize schaffen, damit die Wahrheit gesagt wird.
Anreizmechanismen in der Versicherungswirtschaft sind hierzu: Langzeit- und Signaling-Verträge sowie Monitoring-Maßnahmen. Diese führen dazu, dass unmoralisches Verhalten sanktioniert wird, indem der Preis der Verträge angepasst bzw. gekündigt wird.
Im Fall von Nachhaltigkeitsratings und -berichten bestehen Sanktionsmechanismen darin, dass die Reputation leidet, wenn ein Unternehmen die Unwahrheit gesagt hat. Dem gegenüber steht die (eher geringe) Wahrscheinlichkeit, dass diese überhaupt ans Tageslicht gelangen. Die Unternehmen haben insofern keinen Anreiz, zu kritischen Aspekten der Geschäftstätigkeit die Wahrheit zu sagen. Dies auch, da die Prüfer nicht die Möglichkeit haben, Schadenersatzforderungen zu stellen.
Aussagen bleiben oft interpretierbar
Die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens zum DJSI erfolgt nach eigenen Erfahrungen anhand eines Fragebogens, in dem zu diversen Themenfeldern Fragen gestellt werden. Die Unternehmen haben dabei einen Anreiz, sich möglichst gut darzustellen, um eine hohe Punktzahl zu erreichen. Die Punktzahl steigt, wenn die Antworten mit Dokumenten belegt werden können. Kaum überprüfbar ist jedoch, wie Arbeitsanweisungen oder Leitlinien im Unternehmen gelebt werden. In ähnlicher Weise geben auch die Nachhaltigkeits-Reportingstandards der GRI G4 lediglich eine Richtschnur. So lassen sich die Aussagen in einem Nachhaltigkeitsbericht den Kriterien der GRI G4 bzw. der ISO 26000 zuordnen, sehr oft sind die Aussagen jedoch qualitativer Natur und bleiben damit interpretierbar.
In allen Fällen bleiben die Sanktionsmöglichkeiten des Prüfers begrenzt und der Anreiz des Unternehmens, die Nachhaltigkeitsleistung geschönt darzustellen, bleibt hoch. Im Fall Volkswagen stellt sich beim Lesen des Nachhaltigkeitsberichts die Frage, wer 156 DIN-A4-Seiten hieb- und stichfest prüfen soll, insbesondere wenn die formulierten Ziele vage bleiben, z.B. „Compliance-Kultur weiter vertiefen und Kenntnisse der relevanten Compliance-Werte und –Grundsätze in der Belegschaft verbessern“ (Nachhaltigkeitsbericht Volkswagen AG 2014, S. 135). Zwischen den Zeilen gelesen bedeutet dieser Satz: die Compliance-Kultur ist bei VW kaum bekannt; beleg- und sanktionierbar ist dieser Satz allerdings nicht. Die ans Licht gekommenen Manipulationspraktiken bei Volkswagen bestätigen letztlich die Interpretation. Gelogen hat Volkswagen damit nicht.
Nachhaltigkeitsberichte und -ratings dürfen nicht als Werbeveranstaltungen verstanden werden.
Letztlich leidet unter solchen Beispielen die Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsberichten und Nachhaltigkeitsratings – an sich zu Unrecht. So gibt es durchaus Ansatzpunkte, ähnlich zu Versicherungsverträgen Anreize zu schaffen, damit Unternehmen die asymmetrisch verteilten Informationen in Nachhaltigkeitsratings und–berichten nicht zu ihrem Vorteil nutzen. Im Versicherungsbereich wird dem z.B. dadurch begegnet, dass nur versichert ist, was vorher deklariert wurde (Signaling). Langzeitverträge tragen dazu bei, dass sich die Versicherten moralisch verhalten. Übertragen auf Nachhaltigkeitsberichte und –ratings bedeutet dies:
- Der Prüfer testiert nur nachweislich belegbare und messbare Aussagen; liegen qualitative oder dahin nicht belegbare Aussagen vor, dass dies tatsächlich auch umgesetzt wird, so werden diese vom Testat ausgenommen bzw. als Beurteilung wird der Wert „Null“ vergeben.
- Zu einem Signaling trägt bei, wenn bei Nachhaltigkeitsratings eine aussagefähige Zusammenfassung öffentlich (und nicht nur gegen Entgelt) verfügbar gemacht wird.
- Nachhaltigkeitsberichte sind keine Werbeveranstaltung; eine Konzentration auf ein schlankes, dafür aber belastbares (quantitatives) Berichtsformat reicht aus.
- Unternehmen sollten die GRI-Konformität ihres Nachhaltigkeitsberichts nicht selbst einschätzen dürfen, denn das führt erfahrungsgemäß zu „zu guten“ Bewertungen. Eine GRI-Konformitätserklärung sollte nur ein externer Prüfer vornehmen können.
- Bei unrichtigen Angaben in nennenswertem Ausmaß (in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Nutzen, den ein Unternehmen hierdurch erzielt) sollten die Unternehmen gegenüber dem Prüfer in einem nennenswerten Umfang schadenersatzpflichtig werden.
- Im Fall von Falschaussagen sollte ein Ausschluss aus allen Nachhaltigkeitsindizes bzw. ein Entziehen des GRI-Testats nicht für das Laufende sondern für fünf Jahre erfolgen.
Nachhaltigkeitsberichte und -ratings sind wertvolle Anhaltspunkte zur Einschätzung einer ethischen Unternehmensführung. Beide sollten jedoch unter ökonomischen Gesichtspunkten und nicht als Werbeveranstaltungen verstanden werden. Aus der Versicherungswirtschaft adapierte Lösungsansätze zur Reduzierung von Moral Hazard und Adverse Selection können helfen, den Nutzen und die Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsberichten und –ratings langfristig zu erhalten.
Im Original ist der Beitrag im UmweltDialog-Magazin "CSR-Reporting - Pflicht oder Chance?" erschienen.