Rückschritt bei Inklusion am Arbeitsmarkt: Unternehmen im Fokus
Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung hat sich verschlechtert: Die Arbeitslosenquote ist gestiegen und immer weniger Unternehmen erfüllen die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsquote. Trotz Fachkräftemangel bleiben viele Stellen unbesetzt. Eine erhöhte Ausgleichsabgabe, die 2025 für das vorige Jahr fällig wird, soll zur Verbesserung beitragen, um die Chancengleichheit unabhängig von konjunkturellen Schwankungen zu gewährleisten.
07.01.2025
Die Phase der Erholung nach dem erheblichen Rückschlag durch die Corona-Pandemie war nur von kurzer Dauer: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen hat sich erneut verschlechtert. Sowohl die Zahl der Arbeitslosen als auch die Arbeitslosenquote sind im letzten Jahr angestiegen. Besonders alarmierend ist, dass immer mehr Unternehmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, nicht nachkommen. Der Anteil der Firmen, die die festgelegte Fünf-Prozent-Quote vollständig einhalten, ist auf ein historisches Tief gesunken. Das aktuelle Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes verdeutlicht erneut: Die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zeigt – auch 15 Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention, die das Recht auf gleichwertige Teilhabe festschreibt – keine Fortschritte.
Arbeitnehmer:innen mit Behinderung: Von Wirtschaftskrise eingeholt
Die düstere Vorhersage hat sich bewahrheitet: Der wirtschaftliche Rückgang hat erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere auf die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderung. Im vergangenen Jahr stieg die Arbeitslosenquote auf nunmehr elf Prozent. Auch die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist gestiegen – sie beträgt im Durchschnitt des Jahres 165.725. Im Vergleich zu 2022 stellt dies zwar lediglich einen Anstieg von etwas über einem Prozent dar, dennoch setzt sich der negative Trend im laufenden Jahr fort: Im Oktober dieses Jahres beläuft sich die Anzahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung auf 177.280, was im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr einen Anstieg von sieben Prozent bedeutet. „Zwar spüren alle Arbeitnehmer:innen in Deutschland die Folgen der Wirtschaftskrise – für Menschen mit Behinderung gehen sie aber mit einem deutlichen Rückschritt in Sachen Chancengerechtigkeit einher“, warnt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch.
Einstellungswiderstand verstärkt sich – Beschäftigungsquote sinkt weiter
Firmen mit 20 und mehr Beschäftigten sind gesetzlich verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Stellen für Menschen mit Behinderungen bereitzustellen. Aktuell betrifft dies etwa 179.000 Unternehmen, wobei die Zahl im Vergleich zu den Vorjahren ansteigt. Tatsächlich hat sich die Anzahl der Arbeitsplätze für Beschäftigte mit Behinderungen erhöht. Dennoch ist die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsquote auf 4,4 Prozent gesunken. Weniger als 39 Prozent der betroffenen Firmen erreichen die geforderte Fünf-Prozent-Quote vollständig – der niedrigste Stand seit Einführung des ersten Inklusionsbarometers. Zudem beschäftigt nach wie vor mehr als jedes vierte Unternehmen keinerlei Menschen mit Behinderung. Besonders in der Privatwirtschaft ist die Einstellungsquote mit vier Prozent deutlich unter dem geforderten Wert.
Christina Marx hat dafür kein Verständnis: „Eine schlechte Konjunktur greift als Erklärung nicht weit genug – schließlich klagt die Wirtschaft zunehmend über den Fachkräfte- wie auch den Arbeitskräftemangel allgemein. Unternehmen besetzen die Arbeitsplätze aber nicht mit den vielen gut qualifizierten Arbeitnehmer:innen mit Behinderung.“
Politik nimmt Unternehmen stärker in die Pflicht: Höhere Ausgleichsabgabe
Wer trotz der Verpflichtung zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung keine oder nur unzureichende Einstellungen vornimmt, ist verpflichtet, die sogenannte Ausgleichsabgabe zu entrichten. Mit dem Gesetz zur Stärkung eines inklusiven Arbeitsmarktes wurde diese Abgabe zum 1. Januar 2024 erheblich angehoben. Diese wird immer rückwirkend gezahlt und ist daher 2025 fällig. „Wir erhoffen uns von der schärferen Sanktionierung, dass sie sich positiv auf die Beschäftigungszahl von Menschen mit Behinderung auswirkt“, kommentiert die Sprecherin der Sozialorganisation. „Ein Nichterfüllen der Beschäftigungspflicht ist kein Kavaliersdelikt – denn es geht um nichts Geringeres als das Recht auf Teilhabe am Arbeitsmarkt. Chancengleichheit muss losgelöst von konjunkturellen Entwicklungen Bestand haben.“