Burnout vorbeugen – Balance im beruflichen Alltag
Termindruck, schlechtes Arbeitsklima, emotionaler Stress – immer mehr Menschen leiden unter steigenden Belastungen am Arbeitsplatz. Neun von zehn Personen fühlen sich im Job gestresst. Doch wie lässt sich dieser Entwicklung wirkungsvoll gegensteuern? Gibt es Mittel und Wege, das Ausbrennen im Job zu vermeiden? Und lässt sich das Ganze ohne großen zusätzlichen Zeitaufwand bewerkstelligen? Unternehmensberaterin und Coach Christine Pehl hat einen pragmatischen Weg zu innerer und äußerer Balance im Alltag entwickelt. Ihre Methode gründet auf dem Prinzip, durch achtsame Wahrnehmung ins Gleichgewicht zu kommen.
29.05.2017
Deutschlands Arbeitnehmer brennen aus: 86 Prozent der Beschäftigten leiden unter Stressfaktoren am Arbeitsplatz. Besonders zu schaffen machen den Befragten ständiger Termindruck (38 Prozent), ein schlechtes Arbeitsklima (37 Prozent) und emotionaler Stress (36 Prozent). Überstunden stellen für jeden dritten Arbeitnehmer eine große Belastung dar. Drei von zehn Befragten beklagen eine ständige Erreichbarkeit oder Rufbereitschaften auch nach Feierabend, belegt die Studie „Betriebliches Gesundheitsmanagement 2016", im Auftrag der pronova BKK.
Ablenkungen helfen nicht weiter
„Wir haben nicht gelernt, uns innerlich zu sortieren und gut für uns zu sorgen“, erklärt Christine Pehl. Als CSR-Expertin, Coach und Unternehmensberaterin begegnen ihr die Auswirkungen in vielen Unternehmen. Ausbildung und Beruf dressieren uns darauf, in Kategorien von Leistung zu denken und zu funktionieren. Statt im inneren Kontakt zu sein und wahrzunehmen, welche Stimmen und Gefühle sich zeigen wollen, suchen wir nach Ablenkungen von außerhalb. „Wir verdrängen alles, was sich unangenehm anfühlt und oft ein Weckruf unserer Psyche ist - wir schauen im wahrsten Sinne fern anstatt nach innen“, so Christine Pehl.
Viele bekämpfen ihre Anspannung mit Aktivitäten wie exzessivem Sport, ruhelosem Arbeiten, dem Glas Wein am Abend oder auch der Einnahme von Aufputschmitteln. „Wir wissen oftmals nicht, wie wir unsere inneren Zustände klären und herausfinden, was für uns sinnhaft ist. Das zeigt sich auch in der massiven Zunahme psychischer Erkrankungen wie Depression oder Burnout“, weiß die Beraterin aus ihrer Praxis.
Effektiver statt schneller
„Stress und Zeitmangel sind in jeder Branche allgegenwärtig“, bestätigt Jürgen Bockholdt, CEO der CAREERS LOUNGE. „In meinem täglichen Umgang mit Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen, stelle ich aber fest, dass Persönlichkeiten gelassener sind, wenn sie besser organisiert sind. Sie sind nicht unbedingt schneller, aber effektiver. Zu einem guten Selbstmanagement und der gewünschten Balance gehört neben Struktur, Zielen und Prioritäten auch, bestimmte Themen und Aufgaben zu delegieren. Häufig verbleiben Persönlichkeiten in einer beruflich frustrierenden Situation, weil sie sich nicht noch zusätzlich die Jobsuche aufbürden wollen. Das haben wir erkannt und bieten deshalb mit dem Personal Scouting eine effiziente Methode der beruflichen Neuorientierung. Bei diesem Weg suchen die Personal Scouts für einen Menschen, der sich beruflich verändern will, nach der neuen beruflichen Chance. Das spart erheblich viel Zeit und trägt deutlich zur Klärung – dem inneren Aufräumen - und zur positiven Ausrichtung bei.“
Innere und äußere Klarheit
Zwar ist der Markt überschwemmt mit Ratgebern und Tipps für besseres Zeitmanagement und höhere Produktivität, doch helfen diese Anleitungen häufig nicht dauerhaft, den Stresspegel zu senken. Das von Christine Pehl entwickelte Vorgehen möchte in einer komplexen Welt zur Klärung, Entlastung und Vereinfachung beitragen. In ihren Seminaren stellt die Beraterin den Teilnehmern anfangs die Frage: „Wie können Sie sich innerlich sortieren, um dann im außen klarer zu sein?“ Da vielen die Antwort darauf schwerfällt, hat sie eine einfache Anleitung entwickelt, die für jeden umsetzbar ist. Sie empfiehlt drei Schritte:
1. Schritt: In die Stille gehen
Der erste Schritt besteht darin, jeden Tag eine Zeit der Stille als Termin mit sich selbst einzuplanen. Dazu reichen fünf bis zehn Minuten. Es geht darum, mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Zu Beginn sollte man eine kleine Reise durch den Körper machen: Wie fühlen sich die Füße an? Warm oder kalt? Sind die Schultern angespannt oder entspannt? Gibt es Druck auf der Brust oder ist der Brustraum eher weit? Ist da ein Gefühl, wie zum Beispiel Angst, Traurigkeit oder Ohnmacht, das sich bemerkbar macht? Kommen bestimmte Gedanken wiederkehrend? „Es reichen fünf bis zehn Minuten, um wahrzunehmen, wie es Ihnen geht und was sich in Ihnen zeigt “, so die Erfahrung von Christine Pehl. „Den Teilnehmern in meinen Seminaren tut diese achtsame Wahrnehmung sehr gut –sie bringt innere Zentrierung.“
Allerdings kommt bezüglich der Übertragung in den Alltag schnell die Frage auf, woher Führungskräfte oder Mitarbeiter sich im hektischen Tagesgeschehen noch weitere zehn Minuten Zeit nehmen können. „Ein paar Minuten ist man oft auf Facebook oder anderen digitalen Plattformen“, entgegnet Christine Pehl. „Nehmen Sie sich stille Zeiten und kommen wieder in Kontakt mit sich selbst – hier liegt Ihre Quelle.“
2. Schritt: Was kann ich weglassen?
Im zweiten Schritt empfiehlt Christine Pehl eine „heilsame Reduktion“. Was könnten Sie in Ihrem Leben einfach weglassen? Gerümpel im Keller oder Altlasten im Büroschrank? Unsinnige Gewohnheiten? Langes Fernsehen? Sogenannte „Verpflichtungen“, die vielleicht gar keine sind? „Ziel ist es, freie Räume zu schaffen“, erklärt die Beraterin.
Routinen ans Licht befördern
Wer genauer hinsieht, stößt auf eine Reihe von überflüssigen Dingen, Aufgaben und Gewohnheiten. Im beruflichen Kontext kommen dabei diverse Routinen ans Licht. Es lohnt sich zu hinterfragen, wie ich meine wertvolle Lebenszeit verbringe. Im Alltag der meisten Menschen haben sich sinnlose Verhaltensweisen eingenistet. Bei jedem Ping des Smartphones checken sie Facebook, Twitter oder WhatsApp. Alle halbe Stunde sehen sie in den Posteingang, ob neue E-Mails eingegangen sind. Die Zeit vor dem Computer ist häufig ein großer Zeiträuber: News, Blogs, Wetter…
Kleine Zeiten summieren sich
Christine Pehl erzählt schmunzelnd von einer Führungskraft, die feststellte: „Ich habe mir angewöhnt, jeden Morgen im Büro am Kaffeeautomaten einen Cappuccino zu holen. Wenn ich ehrlich bin, mag ich ihn gar nicht – er schlägt mir sogar auf den Magen. Und dafür verschwende ich 10 Minuten. Das macht an fünf Tagen die Woche 50 Minuten. Also verbringe ich fast eine Stunde pro Woche mit einer Sache, die mir im wahrsten Sinne des Wortes gar nicht bekommt.“
Beim Reduzieren und Entrümpeln bringen wenige Minuten schon sehr viel Entlastung. Es kommt vor allem darauf an, dass Führungskräfte sich bewusst machen, womit sie gerade ihre wertvolle Zeit verbringen. Und sich überlegen, wofür sie diese Zeit lieber investieren möchten. Weniger ist mehr: Weniger Zeit mit unwichtigen Dingen verbringen, um mehr sinnvolle Sachen machen zu können.
3. Schritt: Sinn, Freude und Genuss finden
Diese freien Räume können - in einem dritten Schritt - mit neuen Inhalten gefüllt werden, die für Sie persönlich Sinn stiften oder einfach Freude und Genuss bringen. Hilfreich ist, eine kleine Liste mit Punkten zu erstellen, die einem wirklich, wirklich wichtig sind. Nehmen Sie sich einen Abend Zeit, um nachzuspüren: „Was sind meine Werte? Was macht mir Freude und bringt Genuss?“ Echte Freude bringt eine gute Schwingung, die uns wiederum Kraft zuführt.
Die Genussformel anwenden
Ärger wiegt schwerer als Freude, bei der sogenannten Genussformel beträgt das Verhältnis 3:1. Auf einmal Ärgern sollte dreimal Freuen folgen, um die negativen Folgen auszugleichen. Daher lohnt es sich, die Freuden zu entdecken und zu sammeln. Auch im beruflichen Alltag gibt es begeisternde Situationen und Momente, an denen man sich erfreuen kann – viel zu oft werden sie leider übersehen. Probieren Sie aus, wie schnell das Verhältnis 3:1 erreicht werden kann. Zählen Sie doch einmal mit – und legen Sie sich Ihre „Liste der Freuden“ an.
Zur Person
Christine Pehl war viele Jahre CSR-Referentin des Arzneimittelunternehmens betapharm, das in dieser Zeit als Leuchtturm für CSR (Corporate Social Responsibility) galt und dafür zahlreiche Awards erhalten hat. Eine prägende Erfahrung war die Geschäftsleitung des elterlichen Maschinenbaubetriebs und die Begleitung der Firmenübergabe an die Mitarbeiter. Seit 2010 selbständig, unterstützt sie Organisationen, die sich nachhaltig verantwortungsvoll entwickeln wollen. Sie ist Dozentin an Hochschulen, leitet Seminare, hält Vorträge und teilt ihre Expertise in Buchbeiträgen, u. a. in der Reihe „CSR und Organisationsentwicklung“ des Springer-Gabler-Verlags. Zudem hat Christine Pehl eine körpertherapeutische Ausbildung und coacht Menschen in Berufs- und Lebensfragen.
Ist das Leben hart oder voller Chancen?
Beim Ausprobieren der drei Schritte empfiehlt Christine Pehl auch, die eigene Grundhaltung und die Einstellung zum Beruf zu hinterfragen. „Wenn ich denke, das Leben ist hart, dann lösen diese Gedanken Enge aus - ein klares Anzeichen, dass dies kein lebensbejahender Gedanke ist. Deshalb bringt es viel, solche Denkmuster zu ersetzen: Statt ‚das Leben ist hart‘ wähle ich ‚das Leben bietet mir viele Chancen‘.“ Christine Pehl ist überzeugt: „Wir Menschen sind Schöpfer und Gestalter. Unsere Gedanken und unsere Haltung zeigen sich in den Ereignissen unseres Lebens. Wählen Sie daher bewusst und sorgen Sie gut für sich – Sie sind damit auch eine Bereicherung für Ihr Umfeld.“
Die Seminare von Christine Pehl werden von unterschiedlichen Organisationen und Geschäftsführern gebucht, die sich für das Thema betriebliche Gesundheit engagieren und bisher kein Rezept dafür haben. Denn ihnen sagt Christine Pehl: „Indem Sie sich innerlich sortieren, kommen Sie in Balance in Ihrem beruflichen Alltag. Man kann das genauso erlernen wie gelungene Kundenansprache!"
Der Beitrag ist im Original bei "careers lounge" erschienen.