Von gemeinsamer Verschiedenheit lernen
Die Begegnung mit Menschen aus fremden Kulturen ist zu einem normalen Bestandteil unseres Alltags geworden. Das verläuft oft nicht ohne Spannung und Missverständnisse. In unserer globalisierten Welt müssen wir deshalb lernen, uns nicht nur über die vermeintlichen Differenzen zum anderen zu definieren, sondern den respektvollen Umgang miteinander zu pflegen und das Fremde als Chance für unsere Gesellschaft und den Einzelnen zu achten. Wir sprachen darüber mit Ilka Horstmeier. Sie ist Mitglied des Vorstands der BMW AG und dort zuständig für Personal und Sozialwesen.
18.11.2021
Guten Tag Frau Horstmeier, wie kommt ein Automobilkonzern auf die Idee, sich um die internationale Verbreitung interkulturellen Lernens zu bemühen?
Ilka Horstmeier: Für uns ist das ganz selbstverständlich, weil wir ein Unternehmen sind, das heute in 140 Märkten aktiv ist, das 120.000 Mitarbeiter aus 110 Nationen hat und das mit vielen Partnern und Lieferanten zusammenarbeitet. Das Thema kulturelle Verständigung und Interkulturalität ist Teil unseres Geschäftserfolgs: Wir müssen es schaffen, innerhalb des Unternehmens diese Unterschiedlichkeit zusammenzubringen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Allein im Werk München arbeiten 50 Nationen Hand in Hand an einem Produktionsband, und da müssen sie genau mit dieser kulturellen Unterschiedlichkeit gut umgehen können. Das ist auch der Grund, warum wir vor zehn Jahren gemeinsam mit United Nations Alliance for Civilization den Intercultural Innovation Award ins Leben gerufen haben, da das Thema so wichtig für uns als Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft ist, dass wir über diesen Award einen Beitrag leisten wollen.
Was bedeutet interkulturelle Kompetenz für Sie persönlich?
Horstmeier: Als Studentin habe ich für eine Studentenorganisation namens AIESEC gearbeitet. Die hatte genau das zum Hauptthema und hat mein Verständnis von Interkulturalität geprägt: Nämlich dass das, was im 2. Weltkrieg passiert ist und wie es passiert ist und warum es passiert ist, nie wieder passieren darf. Dass eine Menschengruppe so stigmatisiert wird, darf sich nicht wiederholen. Ich glaube, dass viele Konflikte in der Welt dadurch entstehen, dass man versucht, bestimmten Kulturen, Menschen etwas zuzuschreiben, was vielleicht gar nicht da ist. Und umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass wir gerade jungen Menschen die Welt nahe bringen. Wir sehen vieles immer sehr aus einer deutschen Brille und haben immer die Idee, dass die Welt so sein muss wie wir. Aber zu verstehen, wie andere denken und warum sie so denken ist das Allerwichtigste.
Der französische Parteienforscher Jan Rovny findet, dass sich die Gesellschaften Europas wie Nordamerika in zwei Lagern sammeln: Auf der einen Seite diejenigen, die in der eigenen Nation und Kultur einen Schutz vor den Schattenseiten der Globalisierung suchen, und auf der anderen Seite die sogenannten „Transnationalisten“, die von der Globalisierung beruflich wie privat profitieren. Inwieweit spiegelt sich dieser Konflikt auch im „Intercultural Innovation Award“ und dessen Preisträgern wider?
Horstmeier: Ich bin der festen Überzeugung, dass das weltweite Zusammenarbeiten, egal auf welcher Ebene – ob auf staatlicher Ebene, betrieblicher Ebene oder mit Nichtregierungsorganisationen – weitergehen wird. Es braucht die Zusammenarbeit in einem globalen Kontext. Dazu ist die Welt viel zu vernetzt, und das kann Corona auch nicht zurückdrehen. Das heißt, wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die eher offener sind und Menschen, die vielleicht Angst davor haben. Und umso wichtiger ist es, an dem Thema Interkulturalität weiter zu arbeiten und das gegenseitige Verständnis für unterschiedliche Interessen, für unterschiedliche kulturelle Hintergründe zu schaffen. Und das tun insbesondere die Projekte, die wir mit dem Intercultural Innovation Award fördern: Wir haben bisher 61 Organisationen in 116 Ländern unterstützt, und wenn man das in Impact übersetzt, dann sind es wahrscheinlich ungefähr fünf Millionen Menschen, die durch diese Organisation positiv beeinflusst wurden. Ich glaube, dass das in Zukunft umso wichtiger wird, je mehr auch die Angst oder die Sorge von bestimmten Menschen da ist, dass die Internationalisierung und Vernetzung der Welt weiter wächst. Da ist der Award ein ganz wichtiger Hebel, und deshalb werden wir die Zusammenarbeit auch fortsetzen.
Die Corona-Pandemie zeigte die Anfälligkeiten und Schwächen unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften. Schon sprechen viele von Post-Globalisierung und der Rückkehr zum Kleineren. Ich will das gar nicht ökonomisch diskutieren, aber schlagen sich solche Szenarien auch auf das Thema interkulturelle Kompetenz durch? Flapsig formuliert: Brauchen wir das noch für die Zukunft?
Horstmeier: Ich glaube, umso mehr, weil sich gerade vieles in die virtuelle Welt verlagert! Wir konnten in den letzten zwei Jahren nicht mehr persönlich nach China reisen und mussten vieles nur noch virtuell machen. Dabei zeigt sich, dass ein Fehlen von gegenseitigem Verständnis das Zusammenarbeiten in der virtuellen Welt nochmals viel schwieriger macht. Wir sind deshalb sehr froh und dankbar, dass wir bei BMW vorher viel gereist sind und gute persönliche Beziehungen mit unseren Partnern weltweit aufgebaut haben. Gerade diese robusten persönlichen Beziehungen haben uns während der Corona-Pandemie sehr geholfen. Auch mit Blick auf die Zukunft: Wir werden künftig stärker in einer virtuellen Welt arbeiten, weil es vielleicht Reiseeinschränkungen weiter geben wird, weil das Reisen nicht mehr so attraktiv ist, natürlich auch unter Umweltgesichtspunkten.
Wenn künftig viel mehr online stattfindet, wird es an persönlichen Begegnungen fehlen. Wie kann man dann interkulturelle Kompetenz lernen und einüben?
Horstmeier: Es wird nicht nur mit Trainings gehen, da bin ich der festen Überzeugung. Sie brauchen schon noch den persönlichen Kontakt, sie brauchen vielleicht auch mal Fallstricke und den einen oder anderen Fettnapf, die jeder von uns irgendwann in der interkulturellen Zusammenarbeit erlebt. Nur so lernt man. BMW wird deshalb kein Unternehmen sein, in dem in Zukunft niemand mehr verreisen wird. Genauso wenig werden alle im Homeoffice verschwinden, weil uns nämlich persönliche Kontakte wichtig sind. Am Ende des Tages werden Geschäftsbeziehungen von Menschen gemacht. Es geht darum, gemeinsame Interessen zu sondieren. Es geht darum, auch die Person kennenzulernen. Das können Sie nicht ausschließlich virtuell machen. Aber es wird in Zukunft immer öfter in einem hybriden Format sein, und deswegen muss die Zeit, die man dann vor Ort verbringt, noch intensiver genutzt werden, um genau dieses Beziehungsnetzwerk aufzubauen.
Wenn junge Menschen heutzutage bei BMW anfangen, dann müssen sie viele Fähigkeiten mitbringen. Welche davon sollten sie besonders im Blick behalten?
Horstmeier: Die wichtigsten Fähigkeiten sind Neugier und Wertschätzung für den anderen. Das gilt im Unternehmen genauso wie mit Partnern anderer Kulturen. Man muss offen auf andere Menschen zugehen können und versuchen zu begreifen, wie tickt der andere, warum tickt er so, wie er tickt, und wie können wir daraus gemeinsam das Beste fürs Unternehmen machen? Wie können wir unser Wissen und die unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam zusammenbringen? Wir brauchen die Multiperspektivität, um die Komplexität unseres Geschäfts gut verbinden zu können. Die jungen Menschen von morgen müssen deshalb wissbegierig sein, und sie müssen Wissen haben, weil Wissen immer die beste Basis ist. Keiner kann heute die Komplexität alleine erledigen. Dazu gehört auch das Thema Flexibilität, weil wir immer wieder neu agieren müssen in einem Umfeld, das sehr dynamisch ist.
Ganz konkret zeigt sich interkulturelle Kompetenz in der Teamarbeit. Ich habe gelesen, dass Sie bereits seit 1995 bei BMW arbeiten. Da haben Sie eine Menge erlebt. Inwieweit hat unser heutiges Thema Interkulturalität Teamwork bei BMW verändert?
Horstmeier: Natürlich hat sich in 27 Jahren, die ich bei BMW bin, eine ganze Menge verändert: Wir sind viel internationaler geworden, und wir sind enorm gewachsen. Die Themen Diverse Workforce, Komplexität der Aufgabenstellung und der Dynamik haben sich massiv verändert – das sieht man auch an den äußeren Rahmenbedingungen. Jeden Tag passiert auf der Welt etwas, auf das wir reagieren müssen. Und dazu brauchen wir natürlich eine ganz andere Art von Teamarbeit. Ich nenne Ihnen ein ganz kleines Beispiel während der Hochphase der Covid-Pandemie. Wir hätten unsere Fabriken nach dem Lockdown nicht wieder hochfahren können, wenn wir nicht Masken gehabt hätten. Und die waren in dieser Zeit natürlich extrem rar. Deshalb haben wir es innerhalb von sechs Wochen geschafft, eine eigene Maskenproduktion aufzubauen. Und wie haben wir das gemacht? Wir haben nicht gefragt, wer der hierarchisch Höchste ist, der das lösen kann, sondern wir haben uns die Leute geholt, die die Fachkompetenzen hatten, genau dieses Problem innerhalb von sechs Wochen zu lösen. Das hat nichts mit flachen Hierarchien zu tun, sondern es hat etwas damit zu tun, dass wir die Menschen kompetenzbasiert einsetzen, die Teams so zusammenstellen, dass wir Aufgaben – auch unter Hinzunahme von agilen Arbeitsmethoden – sehr schnell lösen können.
Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Intercultural Innovation Award
Seit nunmehr zehn Jahren pflegt die Allianz der Zivilisationen eine enge Partnerschaft mit der BMW Group. Gemeinsam wurde der Intercultural Innovation Award ins Leben gerufen. Ziel der Initiative ist es, innovative Grassroots-Projekte, die den Dialog und das interkulturelle Verständnis fördern, aktiv zu unterstützen. Das Besondere am Preis ist, dass die Preisträger nicht nur Geld, sondern vor allem Unterstützung in Form von Coaching, Workshops und Vernetzung erhalten. Die Verleihung des diesjährigen interkulturellen Innovationspreises findet am heutigen 18. November im Rahmen der Tolerance and Inclusivity Week der Expo in Dubai statt. Der Preis richtet sich diesmal an Projekte, die insbesondere die Gleichstellung der Geschlechter fördern und sich für die Rechte der Frauen einsetzen, Extremismus, Hass und Vorurteile bekämpfen und Kunst, Kultur und Sport als Motor für den sozialen Wandel nutzen.