Flüchtlingshilfe: HHL-Studentin startet Projekt in Istanbul
Während ihres Auslandsterms an der Sabancı-Universität in Istanbul hat Julia Mayer, Master-in-Management-Studentin der HHL Leipzig Graduate School of Management, das „Weihnachts- und Neujahrs-Spenden-Projekt“ initiiert. Es wird heute von Studierenden der privaten türkischen Universität weitergeführt.
07.04.2016
Wie viele ihrer ausländischen Kommilitonen auch, hat sich Julia Mayer als Austauschstudentin in Istanbul neue Kleidung gekauft. Was jedoch mit den Sachen machen, die sie nun nicht mehr braucht? „Wegschmeißen ist zu schade“, war sich die gebürtige Augsburgerin sicher. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Kleidung an Bedürftige weiterzugeben, fand sie keine Initiative an ihrer Austauschuni, der Sabancı-Universität, an der sie Ende 2015 für drei Monate studierte. „So habe ich mich entschlossen, selber etwas auf die Beine zu stellen“, so die 24-jährige Master-in-Management-Studentin der HHL Leipzig Graduate School of Management.
Aufgrund der Sprachbarrieren und der Unkenntnisse über den sozialen Sektorin Istanbul war ein Projektpartner unerlässlich. Auch deshalb, da es in der Millionenmetropole am Bosporus keine offizielle Flüchtlingsunterkunft gibt. „Gleichwohl gibt es in Istanbul sehr viele Migranten, die sich größtenteils durch einfache Tätigkeiten oder Services wie beispielsweise Plastiksammeln oder den Verkauf von Wasserflaschen ein paar Lira dazuzuverdienen“, erzählt die Studentin. Nicht nur Sach- sondern auch bereits kleine Geldspenden können den Asylsuchenden weiterhelfen. „Fast jeder Austauschstudent, den ich getroffen habe, hat eine großzügige Erasmus-Förderung bekommen“, erzählt Julia Mayer. „Da habe ich gesagt, eigentlich wäre es nur fair, wenn man einen Teil seines Erasmus-Geldes dafür spendet. Oder wenn man unmittelbar vor Rückkehr in sein Heimatland die restlichen Lira weitergibt.“
60 Geschenkpakete für syrische Flüchtlinge in Istanbul
Mit Unterstützung der Abteilung Internationale Beziehungen der Sabancı-Universität und einer Flüchtlingsorganisation vor Ort hat Julia Mayer Ende 2015 das „Weihnachts- und Neujahrs-Spenden-Projekt“ auf die Beine gestellt. Hierfür hat sie alle in- wie ausländischen Studierenden an der privaten türkischen Universität angesprochen. Auch manche Professoren hätten sich beteiligt oder innerhalb ihrer Kurse Werbung für die Initiative gemacht.
Die Sammelsktion lief bis zum 21. Dezember 2015. Dann haben Julia Mayer und ihr Team Geschenkpakete gepackt. Bewusst habe sie sich für die Form des Präsents entschieden. „Denn jeder packt gern Geschenke aus“, so die HHL-Studentin. „Letztlich hatten wir gut 60 Geschenkpakete für Frauen, Männer, Kinder oder Familien beisammen.“ Inhalt eines Frauen- bzw. Männer-Geschenkpakets war eine Hose, ein T-Shirt, ein Pullover, neue Socken und Unterwäsche sowie Toilettenartikel.
„Da wird man demütig“
Die Übergabe der Geschenkpakete an die mehrheitlich syrischen Flüchtlinge wird Julia Mayer nicht so schnell vergessen. „Es war sehr ergreifend, weil die Flüchtlinge, die aktuell in Istanbul leben, sehr schwere Zeiten durchmachen.“ Aufgrund der gestiegenen Zahl würden die Migranten nicht immer herzlich von der türkischen Bevölkerung willkommen geheißen. „Vor dem Hintergrund, dass jetzt jemand kommt, der sie nicht beschimpft oder nicht verjagen will sondern etwas mitbringt, waren die Asylanten sehr zögerlich. Als sie gemerkt haben, dass dies keine Falle ist, wollten sie plötzlich nicht nur ein Geschenkpaket, sonderngleich mehrere haben.“
Julia Mayer berichtet: „Wenn man die Augen sieht, die auf einmal leuchten und funkeln, weil sie sich freuen, dass etwas Gutes passiert, das sie gar nicht erwartet haben, habe ich mich für sie sehr gefreut.“ Auch die Kartons, in denen die Geschenkpakete zum Ausgabeort befördert wurden, waren bei den Flüchtlingen begehrt. Der Grund: Die Asylsuchenden leben in Istanbul häufig unter der Brücke oder in Parks. Hier haben sie häufig keine Matratze oder Decken. „Sie wollten die Kartons haben, um sich dann später darauf zu setzen oder legen zu können“, erzählt Julia Mayer. Die HHL-Studentin stellte einen großen Kontrast fest zu der „heilen Welt, wie wir sie in Leipzig erleben.“ „Da wird man demütig“, so Julia Mayer.
Auf die Sicherheitslage in Istanbul angesprochen, erzählt die Studentin: „Während der Wahlen und des Nationalfeiertags im letzten Herbst war ich sehr vorsichtig und habe Menschenansammlungen und öffentliche Verkehrsmitteln gemieden. Kadiköy auf der asiatischen Seite der Stadt, wo ich gelebt habe, ist ein sehr friedliches, liberales und offenes Viertel. Dort musste man sich eigentlich nicht einschränken.“
Das von Julia Mayer gestartete Flüchtlingsprojekt wird heute von Studierenden der Sabancı-Universität weitergeführt.
„Migration bietet Chancen für Deutschland“
Zur aktuellen Flüchtlingskrise in Europa sagt die Management-Studentin: „Über die aktuelle Situation bin ich sehr traurig. Wenn ich Meinungen aus dem rechten politischen Spektrum höre, so frage ich mich, wie diese Leute reagieren würden, wenn man sie einmal in Syrien aussetzen würde. Ob sie dann ihre Meinungen ändern würden? Meine Hoffnung ist, dass man vielleicht durch eine gute Kommunikation mit den deutschen Bürgern die Angst abbauen kann. Und das man die Erwartungen klären kann, was passiert und was das auch für eine Chance sein könnte.“ Dass die Migration auch Chancen bietet, ist sich Julia Mayer sicher. Sei es, dass man im interkulturellen Austausch stets etwas lernen könne, auch über sich selbst. Oder dass Flüchtlinge im Kontext der Demografiefrage gerade für Deutschland große Vorteile bieten. Julia Mayer ist sich sicher, dass dies kein kurzfristiges Projekt sei, das von heute auf morgen funktioniere, denn „gut Ding will Weile haben“, so die HHL-Studentin.