Wo beginnt CSR? Wo endet CSR?
Corporate Social Responsibility (CSR) ist zu einer festen Größe im Business Jargon geworden. Mit manchem Gesprächsteilnehmer muss man zwar auch jetzt noch die Diskussion führen, was CSR eigentlich ist und warum es wichtig ist. Die meisten wissen aber heute um den Wert. Das führt im Gegenteil dazu, dass CSR mit zahlreichen Erwartungshaltungen konfrontiert wird. Daher verlagert sich die Diskussion heute immer stärker in Richtung Begriffseingrenzung und Regeln. Wo fängt CSR an? Wo endet CSR?
17.09.2014
Wer über Ethik und Moral im Geschäftsleben, über Umweltthemen, Menschenrechte oder Arbeitsnormen diskutiert, der kommt nicht an den Begriffen CSR und Nachhaltigkeit vorbei. Das führt durchaus zu Übertreibungen: Erst kürzlich hat sich Robert Engelman treffend über den inflationären Gebrauch des Begriffes Nachhaltigkeit beklagt und spricht hier vom ‘Sustainababble’. Auch der renommierte Harvard-Professor Michael Porter kritisiert, dass der Begriff CSR indifferent genutzt wird, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Sowohl Engelman als auch Porter haben Recht: Wir erleben eine inflationäre Benutzung von Wörtern wie Nachhaltigkeit oder CSR in unterschiedlichsten und zuweilen auch unsinnigsten Zusammenhängen. Aber ist das eigentlich eine Schwäche?
In der Anfangsphase der „CSR-Bewegung“ – wenn man diesen Begriff einmal so salopp nutzen darf – war diese fehlende Präzision vielleicht sogar die größte Stärke: Die Erwartungshaltungen reichten dabei von kritischen Stakeholdern, die darin einen Hebel zur Durchsetzung quasi-gesetzlicher Auflagen sahen, bis hin zu Firmen, die einfach nur ihr philanthropisches Engagement umbenannten, ohne auch nur im Entferntesten an den damit verbundenen Management-Ansatz zu denken. CSR wird damit zu einer flexiblen Projektionsfläche je nach Interessenlage. Das kann in der Tat zur Beliebigkeit führen, also zum erwähnten Sustainababble, es kann aber genauso ein Ansatz sein, sich positiv mit dem Thema zu beschäftigen.
Wegweisende Modelle
Für lange Zeit stand dabei die Frage im Vordergrund: Was ist CSR eigentlich? Drei Definitionen möchte ich hervorheben, wie sie nichts an Gültigkeit verloren haben: Da ist zum einen Archie Carrols Vier-Stufen-Pyramide, bei der erstmals in vier Dimensionen unternehmerische Verantwortung unterschieden und damit das Tor zu Systematisierung und Strukturierung aufgestoßen wurde. Carrol unterschied dazu vier Verantwortungsbereiche: Ökonomie, Gesetzestreue, Ethik und Philanthropie.
Der zweite wesentliche Impuls stammt von John Elkington mit seiner Triple-Bottom-Line, bei der Umwelt und soziale Verantwortung zu gleichwertigen Zielen neben dem rein wirtschaftlichen Erfolg erhoben werden. Dabei wendet Elkington das unter Wirtschaftswissenschaftlern populäre Allgemeine Gleichgewichtsmodell an: Alle drei Säulen sollten dazu ein Gleichgewicht anstreben. Die einseitige Bevorzugung eines Bereiches geht zu Lasten der anderen. Einseitige Profitmaximierung unter Missachtung von Umwelt und Arbeitsstandards führt langfristig zu Misserfolgen. Belege für diese Aussage liefern Medien tagtäglich.
Als dritter Impulsgeber ist Michael Porter zu nennen. Der Harvard-Professor gilt als einer der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler unserer Tage. Sein „Creating Shared Value“ (CSV) Ansatz ist in den Augen einiger sogar eine noch bessere Bezeichnung als das Kürzel CSR. Porters maßgeblicher Beitrag ist der Nachweis, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ihr Umfeld voneinander abhängen. „Tatsache ist, dass kein Unternehmen in einer scheiternden Gesellschaft überleben kann“, sagt der CSV-Experte und Nestlé-Berater Marc Pfitzer. „Schon allein der egoistische Überlebenswille eines Unternehmens spricht dafür, sich seines Umfeldes anzunehmen.“
Wie reif ist Ihr CSR-Ansatz?
Heutzutage muss man immer seltener CSR als grundsätzlich notwendige Aktivität begründen. Viel wichtiger wird die Frage: Wie sehen die CSR-Aktivitäten aus? Daniel Zirnig schreibt: „So geht es heute im Management weniger darum, ob CSR-Aktivitäten erfolgen sollen, sondern vielmehr darum, wie diese durchzuführen sind.“ Und daran schließt sich die Frage an: Wie kann man das erkennbare unterschiedliche Niveau der Aktivitäten unterscheiden?
Der Österreicher Andreas Schneider hat mit seinem Reifegrad-Modell dazu einen sehr durchdachten Beitrag geleistet. Darin skizziert er in einer Abstufung von CSR 0.0 bis hin zu CSR 3.0 unterschiedliche Niveaus von unternehmerischer Verantwortung. Das ist ein sinnvolles Instrument, um die zahllosen CSR-Aktivitäten, die von bescheiden bis phänomenal reichen, zu differenzieren.
Grundannahme: Je höher und qualitativer die Einbeziehung von CSR im Unternehmen ist, desto höher ist der Nutzen für Gesellschaft, Umwelt und das Unternehmen selbst. Am Ende des Tages geht es also um eine gemeinsame Wertschöpfung. Wobei „Werte“ mehr bedeuten als nur Umsatz. Und „gemeinsam“ mehr bedeutet als nur die unmittelbaren Stakeholder. CSR ist nicht die hohe Kunst des Scheck-Ausstellens, sondern der Wertschöpfung.
Wo liegen die Grenzen von CSR?
Noch viel interessanter als die reine Bewertung der CSR-Aktivitäten ist die Frage der Grenzziehung: Was muss passieren, damit eine Aktivität in ein höheres Level upgraded? Und auch im Umkehrschluss: Welche Fehler werden gemacht, um ein Downgrade auszulösen? Die erste Schwelle ist leicht gezogen: In dem Moment, wo aus zufälligen Aktionen ein Konzept oder ein Plan wird, welchen man bewusst steuert und managt, spricht man von Corporate Social Responsibility.
Damit einhergehend ist die Vorstellung, dass unternehmerische Verantwortung stets mehr ist als das, was Gesetze bereits vorschreiben. Die Grenzmarke ist klar erkennbar
„beyond legal compliance“ und dieser Schritt wird freiwillig getan. Freiwillig über die Grenzen des Nötigen hinausgehen definieren daher auch die meisten öffentlichen Organisationen als Wesensmerkmal von CSR: Etwa die ISO 26000, der UN Global Compact oder auch die EU-Kommission. Schneider sagt dazu: „CSR liegt damit im Ermessen des Unternehmers bzw. Unternehmens und nicht im Ermessen des Gesetzgebers, was wiederum eine gesetzliche Verpflichtung zu CSR in ein Paradoxon führt.“
Doch genau diese Formen von Verpflichtung erleben wir derzeit an vielen Stellen. Sie haben unterschiedliche Ausprägungen, ob EU Reportingpflicht, eine 2 Prozent Steuer in Indien etc. Die Maßnahmen mögen richtig und wohl begründet sein, aber eigentlich stoßen wir damit an die Grenzen von CSR. In dem Moment nämlich, wo Handlungen nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sind; in dem Moment, wo es nicht mehr „beyond legal compliance“ ist, sondern „within legal compliance“, endet CSR. Dann sprechen wir von Compliance.
Ob das immer so geschickt ist, bleibt zu diskutieren. So hat Michael Porter unlängst auf einer Konferenz in Indien betont: „(Voluntarism) is the only way to create impact. Meeting the needs and meeting those needs at a profit is crucial.” Es ist sicher richtig, dass gesetzliche Verpflichtungen nicht dazu anregen, sich kreativ und individuell weitergehende Gedanken zu machen. Auf der anderen Seite kann eine gesetzliche Vorschrift eine sinnvolle Grenze sein, oberhalb dessen CSR sich immer wieder neu erfinden und neu ansetzen kann. Wenn also 2 Prozent-Angaben in Indien gesetzlich vorgeschrieben sind, ist das kein CSR. Oberhalb von 2 Prozent beginnt CSR allerdings von Neuem.
CSR 0.0 und 1.0 – responsiv und ungeliebt
Aber der Reihe nach! Nutzen wir Schneiders Reifegrad-Modell, um die CSR Abstufungen auszuleuchten. CSR 0.0 beschreibt die einfachste Stufe. Gesellschaftliche Aktivitäten sind vorhanden, aber diese sind weder systematisch, geplant oder sonst wie überlegt. Es werden die Gesetze eingehalten und ansonsten fokussiert man sich auf den wirtschaftlichen Erfolg. Gesellschaftliches Engagement erfolgt, wenn überhaupt, impulsiv und zufällig. Das kann eine Spende nach einer Naturkatastrophe oder auf Bitten eines Vereines sein. CSR 0.0 kann man daher auch als „kosmetische CSR“ bezeichnen.
Wenn solche Aktivitäten geplanter werden, etwa in dem man diesen Verein langfristig fördert, wird daraus CSR 1.0. Dieses beschreibt etwa philanthropisches Engagement wie Spenden, Sponsoring, aber auch bürgerschaftliches Engagement (Corporate Citizenship) fällt darunter. Stets gemeinsam ist allem: Das hat eigentlich nichts mit dem Kerngeschäft zu tun und hat auch keine Auswirkungen darauf. CSR ist „nice to have“. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist es ein reiner Kostenfaktor. Handeln erfolgt aus der ethischen Motivation heraus, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen. Und oft genug geschieht es, weil man Schäden verursacht und nun ein schlechtes Gewissen hat und nun das eigene Image verbessern will. Michael Porter spricht deshalb auch von „responsiver CSR“. Es ist ein eher retrospektives Verständnis von unternehmerischer Verantwortung.
CSR 2.0 – heutzutage Best-in-Class
Einen deutlichen Schritt weiter geht CSR 2.0, denn es spielt sich auch im Kerngeschäft ab. Es ist Teil des Business Cases. CSR nimmt Einfluss auf Unternehmensstrategie, die Geschäftsfelder und Produkte und die Frage, wie und womit Geld verdient wird. Das reicht von Produktionsprozessen bis zur Produktverantwortung und Lieferketten. CSR ist Teil des Markenversprechens. Möglich wird dies durch ein systematisches Planen und Managen von unternehmerischer Verantwortung. Dialogbereitschaft und Qualitätsanspruch stehen dabei im Vordergrund. CSR 2.0 hat das Ziel, das Unternehmen holistisch zu erfassen. Häufig setzen Instrumente dazu an Elkingtons Drei-Säulen-Modell und den damit verbundenen Gleichgewichtsmodellen an. „CSR 2.0 ist eine aktive, reflektierte und strategische CSR“, so Scheider. „Wenn CSR auf diese Weise in die ‚DNA‘ eines Unternehmens eingepflanzt wird, gewinnt ein Unternehmen an gesellschaftlicher Relevanz und Akzeptanz, an Stabilität und Effektivität, kurz: an Wettbewerbsfähigkeit.“
Was dabei CSR 2.0 von den vorherigen Stufen unterscheidet ist, dass hier ein komplexes und anspruchsvolles Managementsystem zu Grunde gelegt wird. Was gehört alles dazu? Wie das Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut ist, ist stets eine individuelle betriebliche Lösung. Unverzichtbare Bausteine sind aber Stakeholder-Management, Supply Chain Management, Umweltschutz und Arbeitsschutz sowie Compliance und Nachhaltigkeitsreporting.
Um zu vermeiden, dass jeder Akteur seine eigenen Regeln macht und um sich Wiederholungen zu ersparen, neigen Akteure ab dem Reifegrad von CSR 2.0 dazu, eigene Standards zu schaffen. Solche Initiativen, ob nun Branchenzusammenschlüsse oder sektorübergreifende Partnerschaften, schaffen quasi-staatliche Selbstregulierung, sogenannte Soft laws. Bekanntestes Beispiel hierfür ist der UN Global Compact mit seiner freiwilligen, dann aber verbindlichen Selbstverpflichtung zur Einhaltung von zehn Prinzipien.
Solche Management- und Regelungsprozesse führen zugleich aber auch zu einem höheren bürokratischen Aufwand. Es gibt – gefühlt – jeden Tag mehr Guidelines, Befragungen, Audits, Zertifikate und Assesments etc., die von den CSR-Verantwortlichen beantwortet werden müssen. CSR Management wird zur bürokratischen Mühle. Michael Porter sagte dazu gegenüber dem englischen Guardian nicht zu unrecht: „In the CSR formulation, there's a 'check the box'. You have to have a recycling program, you have to do carbon inventory, you have to save water, you have to save packaging. There's a … generic set of sustainability [checkboxes] that everybody has to do. When companies are dealing with those, that's not where the excitement comes. That's not where they really 'get it.'"
CSR 3.0 – Ein kontroverser Gedanke
Bezieht sich die unternehmerische Verantwortung bei CSR 1.0 auf die Vergangenheit, bei 2.0 auf die Gegenwart, so liegt sie bei 3.0 in der Zukunft. CSR 3.0 beschreibt also eine mögliche, in dem Fall wünschenswerte, Zukunft: Es geht um eine nachhaltige Veränderung der Rahmenbedingungen. Es geht um ein neues Verständnis von Ökonomie und Wertschöpfung. Es geht auch um ein neues Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung und Teilhabe. Wir reden davon, dass das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft neu definiert und neu gedacht werden muss.
Das bedeutet dann etwa ganz konkret, dass Unternehmen bei der Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung nicht nur mit Pflichten belegt werden, sondern auch mit Rechten zu deren Umsetzung ausgestattet werden. Das heißt nicht mehr einfach nur Regulierung von Unternehmen, sondern Regulierung durch Unternehmen. Firmen werden nach den Worten von Schneider zu proaktiven politischen Gestaltern: „CSR 3.0 nimmt sich gesellschaftlicher Themen an, die auch in einem erweiterten und nicht unmittelbaren Sinne die Unternehmenstätigkeit beeinflussen (z. B. Menschenrechte; Bildung im und außerhalb des Unternehmens).“
Der Gedanke, der CSR 3.0 zu Grunde liegt, klingt akademisch betrachtet plausibel: Statt gesellschaftliche Entwicklung alleine durch Politiker zu lenken, wird sie durch einen verantwortlichen Kreis von Akteuren gelenkt. Im Alltag bedeutet ein solcher Ansatz einen unglaublichen Konfliktstoff: Wenn Unternehmen – selbst wenn dies im Verbund mit anderen Stakeholdern geschieht – anfangen, staatliche Aufgaben wie etwa Bildungspolitik, Gesundheitspolitik oder Einwanderungspolitik mitzubestimmen, dann kann man erahnen, was für eine Debatte entbrennen wird. CSR 3.0 thematisiert also Inhalte, die hochaktuell, komplex und oftmals auch kontrovers sind.
Große Herausforderungen verlangen große Anstrengungen
Der politische Sprengstoff einer Debatte um gesellschaftliche Veränderung und Neuvermachtung ist offensichtlich. Warum diesen Diskurs also beginnen?
- Das im 19. Jahrhundert erwachsene Modell des (National-)Staats als Ordnungskraft gesellschaftlicher Governance hat weder die politische Durchsetzungskraft noch die finanziellen Mittel, um den Herausforderungen Herr zu werden – ganz konkret ist angesichts der offensichtlichen Krise des Multilateralismus ein Warten auf weltweite politische Vereinbarungen zum Klimaschutz unverantwortlich.
- Wir brauchen einen nachhaltigen Kurswechsel. Alles Andere ist selbstzerstörerisch. Politik kann das Problem nicht alleine lösen. Geld kann das Problem übrigens auch nicht alleine lösen. Eine Lösung liegt in einer global denkenden, lokal vernetzen CSR: Unternehmen gestalten im unvoreingenommenen Dialog mit ihren Anspruchsgruppen zukunftsfähige, bindende Regeln des Wirtschaftens, bei deren Umsetzung jeder Stakeholder seine zugewiesenen Aufgaben und auch das Mandat zur Durchsetzung hat.
Und warum sollen sie das tun? Weil Marc Pfitzer Recht hat: Kein Unternehmen kann in einer gescheiterten Gesellschaft auf Dauer profitorientiert arbeiten. Unternehmerische Verantwortung ist eine Frage der Vernunft und des Überlebensinstinkts.
Was sind Themen? Klimaschutz und Energiewende, Ernährung und Verbraucherpolitik, Artenschutz, Umweltschutz in all seinen Facetten, demografischer Wandel, Millenniums- und Entwicklungsziele. Die Grenzen an Ressourcen und Biodiversität dieses Planeten erlauben praktisch keinen Aufschub. Wir brauchen eine Debatte zu CSR 3.0. Jetzt.