Fraunhofer-Bewertungsinstrument für biologische Vielfalt
Der Verlust von Arten und ihrer Vielfalt durch die menschliche Beanspruchung von Lebensräumen ist in den letzten Jahren zu einem der zentralen Themen umweltpolitischen Handelns geworden. Das Jahr 2010 stand als „Internationales Jahr der biologischen Vielfalt“ ganz im Zeichen des Artenschutzes. Die Vereinten Nationen erklärten infolge das gegenwärtige Jahrzehnt zur „UN-Dekade Biologische Vielfalt 2011-2020“. Mit der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt bekannte sich die Bundesregierung bereits 2007 offiziell zu der Problematik und setze Ziele zum Schutz der Artenvielfalt. Die Strategie gilt auf diesem Gebiet als eine der anspruchsvollsten weltweit und erhielt insbesondere internationale Anerkennung, weil sie erstmals versuchte, den Zustand der biologischen Vielfalt in Deutschland mithilfe eines Indikatorensets quantitativ zu beschreiben.
02.04.2014
Was auf nationaler Ebene im Ansatz zu gelingen scheint, ist für Unternehmen derzeit noch nicht handhabbar. Der Einfluss der Produktionstätigkeit auf die Artenvielfalt kann nicht adäquat dargestellt werden. In vielen Nachhaltigkeitsberichten wird lediglich die Flächeninanspruchnahme herangezogen. Es ist daher notwendig, auch Akteuren aus Wirtschaft und der öffentlichen Hand Instrumente zur Verfügung zu stellen, mit denen sie die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die biologische Vielfalt messen und managen können.
Mit der Entwicklung eines solchen Bewertungsinstruments beschäftigt sich zurzeit die Abteilung „Ganzheitliche Bilanzierung“ des Fraunhofer Instituts für Bauphysik (IBP). Arbeitsschwerpunkt der Abteilung ist die Analyse von Produkten unter ökologischen, ökonomischen, sozialen und technischen Gesichtspunkten zur Entscheidungsunterstützung über den gesamten Lebensweg. Das neue Projekt soll den Grundstein legen für eine handhabbare und gleichermaßen richtungssichere Abbildung von Wirkungen auf die biologische Vielfalt in Form eines Indikators. Den methodischen Rahmen bildet dabei die Ökobilanzierung nach ISO 14040/44.
Der Begriff "biologische Vielfalt" umfasst nicht nur Artenvielfalt, er bezeichnet sowohl die Vielfalt an Lebensräumen als auch genetische Vielfalt. Der Ansatz des Fraunhofer IBP beruht auf dem aktuellen Stand der Forschung über die Auswirkungen der Landnutzung auf die Artenvielfalt. Grundsätzlich ist zur Beschreibung dieser Zusammenhänge ein interdisziplinärer Ansatz nötig, bei dem gleichermaßen regionale biologische und geographische Gegebenheiten berücksichtigt werden.
In die Entwicklung des Indikators sollen sowohl qualitative, als auch quantitative Faktoren einfließen. Die biologische Vielfalt wird als normatives Konstrukt unserer Gesellschaft akzeptiert und daher einerseits mithilfe qualitativer Parameter abgebildet. Andererseits soll der Zustand der Artenvielfalt im Sinne eines Indikators, der sich für eine Ökobilanz nutzen lässt, quantitativ beschrieben werden. Die besondere Herausforderung des Projekts liegt darin die qualitativen und quantitativen Bestandteile angemessen zu integrieren.
Das Projektteam des Fraunhofer IBP bestimmt zunächst wesentliche Parameter, die eine Landschaft „biodivers“ machen. Beispielsweise können Landschaften mit hoher Strukturvielfalt in vielen Fällen eine hohe Artenvielfalt aufweisen. Insbesondere Übergangszonen zwischen unterschiedlichen Landschaftselementen (Flussauen, Waldränder etc.) beherbergen oft spezialisierte Arten, die auf beide Lebensräume angewiesen sind. Im nächsten Schritt entwickeln die Forscher ein Berechnungsmodell, das solche Zusammenhänge abbildet.
Innerhalb dieser regionalspezifischen Berechnungsmodelle werden Referenzzustände definiert. Durch den Eingriff des Menschen – den Rohstoffabbau, Transporte, Produktionsprozesse, Nutzung von Produkten, sowie durch Entsorgungsprozesse – wird der Zustand jedoch verändert. Das angestrebte Ergebnis ist ein dimensionsloser Indikator, der die Differenz zwischen den beiden Zuständen beziffert und somit den Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die Biodiversität quantitativ darstellt.
Mittelfristig soll der geplante Indikator in Ökobilanzen angewandt werden, auch die Integration in Zertifizierungs- oder Managementsysteme ist denkbar. Zunächst geht es jedoch darum eine funktions- und konsensfähige Methode zu entwickeln.
„Eine enge Vernetzung mit der Praxis ist bei der Entwicklung einer anwendbaren Bewertungsmethode für biologische Vielfalt unabdingbar“, weiß Projektleiter Jan Paul Lindner. Darum wird die Praxistauglichkeit des Indikators durch einen projektbegleitenden Austauschprozess mit Unternehmensvertretern aus unterschiedlichen Branchen sichergestellt. Die Methode wird im Rahmen von Fallstudien erprobt und verfeinert.
Das Projekt wird durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefördert. Das Konsortium wird vom Fraunhofer IBP angeführt und besteht des Weiteren aus Wissenschaftlern und Unternehmen aus dem Bereich des Umweltconsultings.