Landdegradierung zwingt 700 Millionen Menschen zur Migration
Die durch menschliche Aktivitäten verursachte Verschlechterung der Ökosysteme, u.a. des Bodens, untergräbt das Wohlergehen von zwei Fünfteln der Menschheit, treibt das Artensterben voran und verstärkt den Klimawandel. Das stellt der Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES zu Landdegradierung und -wiederherstellung fest.
04.04.2018
Der Bericht, der in drei Jahren erstellt wurde, fasst das beste verfügbare Wissen für politische Entscheidungsträger zusammen und stützt sich auf mehr als 3.000 wissenschaftliche, staatliche, indigene und lokale Wissensquellen. Über 100 internationale Experten skizzieren Kosten und Gefahren, die Landdegradierung weltweit verursacht, und benennen Handlungsmöglichkeiten. Sie wurde von über 200 externen Gutachtern umfassend begutachtet. Die Vertreter der Mitgliedsstaaten der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) hatten den Bericht wurde vergangenen Samstag auf der sechsten Sitzung des IPBES-Plenums in Medellín, Kolumbien, offiziell angenommen.
"Landdegradierung" definieren die Autoren als die vielen vom Menschen verursachten Prozesse, die den Rückgang oder Verlust der biologischen Vielfalt, der Ökosystemfunktionen oder der Ökosystemleistungen in allen terrestrischen und damit verbundenen aquatischen Ökosystemen bewirken. "Degradiertes Land" wird hier definiert als der Zustand des Ökosystems einschließlich des Bodens, der aus dem anhaltenden Rückgang oder Verlust der biologischen Vielfalt und der Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen resultiert, die sich nicht ohne Hilfe innerhalb von Jahrzehnten vollständig erholen können.
Ernste Gefahr für das menschliche Wohlbefinden
Sir Robert Watson, Vorsitzender von IPBES, sagte: "Von den vielen wertvollen Botschaften des Berichts zählt folgende zu den wichtigsten: Die Umsetzung der richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Landdegradierung kann das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verändern, aber dies wird umso schwieriger und kostspieliger werden, je länger wir damit warten."
Die rasche Expansion und nicht nachhaltige Bewirtschaftung von Acker- und Weideland ist der weltweit größte direkte Treiber der Landdegradierung und verursacht einen erheblichen Verlust an Biodiversität und Ökosystemleistungen - Ernährungssicherheit, Wasseraufbereitung, Energieversorgung und andere für den Menschen wichtige Beiträge der Natur. Dies hat in vielen Teilen der Welt ein "kritisches" Niveau erreicht, heißt es in dem Bericht.
Auch wenn es oft nicht so scheint, betrifft Landdegradierung auch unser Leben in Deutschland. Ein Großteil unserer Lebensmittel wird an anderen Stellen der Erde produziert, wir hängen also auch von der Produktivität der Ökosysteme anderswo ab. Und wir bekommen die Folgen zu spüren, etwa den Klimawandel, der global stattfindet. "Wir in Deutschland sind durch globale Handelsketten und Konsumverhalten mitverantwortlich, und wenn wir eine nachhaltige Gesellschaft erreichen wollen, was wir in den UN-Nachhaltigkeitszielen festgelegt haben, müssen wir uns damit beschäftigen und u.a. Lösungen finden, wie diese Umweltkosten internalisiert werden können", meint Prof. Aletta Bonn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ und Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Sie hat als Leitautorin im Kapitel 7, in dem es um Alternativen für die Zukunft und Handlungsoptionen geht. Im NeFo-Interview erklärt sie, warum der Bericht uns in Deutschland interessieren sollte.
Vorhersagen bis 2050
"In etwas mehr als drei Jahrzehnten werden schätzungsweise 4 Milliarden Menschen in Trockengebieten leben", sagte Prof. Robert Scholes (Südafrika), der die Studie zusammen mit Dr. Luca Montanarella (Italien) geleitet hat. "Bis dahin ist es wahrscheinlich, dass die Landdegradierung zusammen mit den damit verbundenen Problemen des Klimawandels 50 - 700 Millionen Menschen zur Migration gezwungen haben wird. Die sinkende Produktivität der Böden macht die Gesellschaften auch anfälliger für soziale Instabilität - insbesondere in Trockengebieten. Hier machten die Experten einige Jahre mit extrem geringen Niederschlägen für eine Zunahme gewaltsamer Konflikte von bis zu 45 Prozent verantwortlich."
Dr. Montanarella fügte hinzu: "Bis 2050 wird die Kombination von Landdegradierung und Klimawandel die weltweiten Ernteerträge um durchschnittlich 10 Prozent und in einigen Regionen um bis zu 50 Prozent reduzieren. In Zukunft werden die meisten Schäden in Mittel- und Südamerika, in Afrika südlich der Sahara und in Asien auftreten - jenen Gebieten mit den meisten noch verbliebenen für die Landwirtschaft geeigneten Flächen ."
Die Landdegradierung und -wiederherstellung stellt auch eine der wesentlichen Herausforderungen für die wichtigsten internationalen Entwicklungsziele das, einschließlich der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und der AICHI-Ziele für die biologische Vielfalt (CBD). "Der größte Wert des Berichts besteht sicherlich darin, den Entscheidungsträgern in Regierung, Wirtschaft, Wissenschaft und sogar auf der Ebene der lokalen Gemeinschaften endlich Nachweise zu liefern", sagte Dr. Anne Larigauderie, Geschäftsführerin von IPBES. "Mit besseren Informationen, unterstützt durch den Konsens der weltweit führenden Experten, können wir alle bessere Entscheidungen für effektiveres Handeln treffen."
Möglichkeiten für Sanierung und Wiederherstellung
Der Bericht stellt fest, dass es in jedem Ökosystem erfolgreiche Beispiele für die Wiederherstellung von Land gibt, und dass viele bewährte Praktiken und Techniken, sowohl traditionelle als auch moderne, eine Verschlechterung vermeiden oder umkehren können. In den Anbauflächen sind dies zum Beispiel die Verringerung des Bodenverlustes und die Verbesserung der Bodengesundheit, der Einsatz von salztoleranten Kulturen, Agrarumweltmaßnahmen sowie integrierter Kultur-, Vieh- und Forstwirtschaft.
Auf Weideflächen mit traditioneller Beweidung haben sich die Aufrechterhaltung geeigneter Brandregime und die Wiedereinführung oder Entwicklung lokaler Tierhaltungspraktiken und -einrichtungen bewährt.
Erfolgreiche Maßnahmen in Feuchtgebieten umfassen die Eindämmung von Verschmutzungsquellen, die Bewirtschaftung als Teil der Landschaft und die Wiedervernässung von zuvor entwässerten Feuchtgebieten.
In städtischen Gebieten werden die Raumplanung, die Wiederbepflanzung mit einheimischen Arten, die Entwicklung einer "grünen Infrastruktur" wie Parks und Flussläufe, die Sanierung von kontaminierten und versiegelten Böden (z.B. unter Asphalt), die Abwasserbehandlung und die Sanierung von Flusskanälen als zentrale Handlungsoptionen identifiziert.