Der 360-Grad-Ansatz zum Schutz des Regenwaldes
Das Jahr 2019 wurde überschattet von den verheerenden Waldbränden im Amazonas, die von den Medien umfassend dokumentiert wurden. Schuld an den Bränden war unter anderem die Umwelt- und Klimapolitik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Dieser lockerte Waldschutzgesetze, die zu massiven Brandrodungen großer Agrarunternehmen führten.
21.01.2020
Von Henriette Walz, Rainforest Alliance
Aber auch Armut und klimabedingte Ernteausfälle trugen ihren Teil zur Katastrophe bei – denn durch sie sahen sich lokale Erzeugerinnen und Erzeuger gezwungen, Bäume zu fällen, um ihre Anbauflächen zu vergrößern. Dennoch, das Phänomen der gewaltsamen Rodung von Regenwald ist nicht neu: Alleine im brasilianischen Teil des Regenwaldes wurden laut dem Nationalinstitut für Weltraumforschung (INPE) seit 1998 etwa 464.400 Quadratkilometer Regenwald zerstört. Als Vergleich: Deutschland hat eine Größe von knapp 370.000 Quadratkilometer.
Die Ursachen der Entwaldung sind vielfältig und stark verflochten, was die Arbeit zum Schutz des Regenwaldes sehr komplex macht. Trotzdem ist sein Schutz sehr wichtig, denn sein Verlust hat bedeutende Auswirkungen auf Mensch und Natur. Um dieser Vielfalt an Ursachen Rechnung zu tragen, hat die Rainforest Alliance einen 360-Grad-Ansatz zur Eindämmung der Regenwaldzerstörung entwickelt. Dieser setzt sich insbesondere aus drei Komponenten zusammen: dem Aufbau einer nachhaltigeren Landwirtschaft durch die Stärkung lokaler Farmerinnen und Farmer, der Etablierung einer ethischeren Lieferkette und die politische Einflussnahme.
Lokale Erzeugerinnen und Erzeuger als Mittelpunkt einer nachhaltigeren Wirtschaft
Die wirksamste Strategie zum Schutz der Wälder vor illegalem Holzeinschlag und Brandrodung besteht darin, eine nachhaltigere Landwirtschaft in Zusammenarbeit mit den dort lebenden Gemeinden aufzubauen. Im Rahmen des Ansatzes bietet die Rainforest Alliance Schulungen an, in denen den Farmerinnen und Farmern vermittelt wird, wie sie auf den bereits vorhandenen Anbauflächen höhere Erträge erwirtschaften können. Der Fokus ihrer Arbeit liegt dabei darauf, bestehende Farmen unter strengen Agrar- und Arbeitsrichtlinien wirtschaftlich nachhaltiger auszubauen. Das trägt dazu bei, die umliegenden Wälder, Landschaften und Gewässer zu schonen. Weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Bauern sind Schulungen zu Finanzen und Unternehmensführung sowie der Kontakt zu Händlern, die sich für Rohstoffe aus verantwortungsbewusstem Anbau interessieren.
Durch die Umsetzung dieser Strategie haben die Gemeinden bereits enorme Fortschritte erzielen können. Eine Gemeinde im Biosphärenreservat Maya erreicht beispielsweise in dem von ihr bewirtschaftetem Waldgebiet inzwischen eine positive Wiederaufforstungsrate. Und auch die Partnergemeinden im peruanischen Amazonasgebiet haben einen Wirtschaftszweig für nachhaltiges Holz, Ökotourismus und Paranüsse geschaffen, der sich gegen illegale Rodung einsetzt. In Ghana sollen gemeinsam mit 36 Gemeinschaften aus Kakaofarmerinnen und -farmern 58.600 einheimischen Baumsetzlinge in zerstörten Gebieten gepflanzt werden. Auch in Süd- und Zentralmexiko haben Gemeinden auf dieser Grundlage aufstrebende Holz- und Möbelunternehmen mit nachhaltiger Ausrichtung gegründet.
Aufbau ethischer Lieferketten
Ein weiterer wichtiger Aspekt des 360-Grad-Ansatzes ist es, eine ethische Lieferkette zu etablieren. In den letzten Jahren haben Hunderte von Unternehmen öffentlich versprochen, die unkontrollierte Abholzung innerhalb ihrer Lieferketten bis 2020 zu stoppen. Obwohl in diesem Bereich bereits erhebliche Fortschritte erzielt wurden, gibt es aber trotzdem noch Verbesserungsbedarf. Klare Richtlinien, Überwachungsinstrumente und Benchmarks sind in einem eigens entwickelten „Accountability Framework“ festgehalten und können Unternehmen als Fahrplan für mehr Nachhaltigkeit dienen.
Gemeinsam mit anderen Maßnahmen ist auch Zertifizierung ein wirksames Instrument, um Lieferketten positiv weiterzuentwickeln. Denn Programme zur Zertifizierung der Nachhaltigkeit durch Drittanbieter sind weitaus wirksamer und aussagekräftiger als unternehmenseigene Verifizierungsprogramme, die weniger Transparenz bieten. Ein weiterer Pluspunkt von Zertifizierungen ist, dass diese häufig Schulungen für Farmerinnen und Farmer beinhalten. Solche Schulungen beschäftigen sich beispielsweise mit Techniken der Markt- und Agrarwirtschaft und sorgen für eine effizientere Nutzung der vorhandenen Anbaufläche.
Einfluss der Politik
Ebenso wichtig wie die Stärkung der Farmerinnen und Farmer sowie der Aufbau einer ethischen Lieferkette in einem 360-Grad-Ansatz ist die Einflussnahme auf die Politik. Ziel muss es dabei sein, international Regierungen zu unterstützen und ermutigen, Rechtsvorschriften zu entwickeln, die sich dem Schutz der Regenwälder und der Wahrung der Menschenrechte verpflichten. So arbeitet die Rainforest Alliance weltweit an Strategien für mehr Nachhaltigkeit und beraten Unternehmen sowie Regierungen bei ihrer Umsetzung. Derzeit bemüht sich die Organisation beispielsweise darum, dass der von der Europäischen Union entworfene Aktionsplan gegen eine fortlaufende Entwaldung auch politische, technische und finanzielle Unterstützung beinhaltet, damit die gesetzten Ziele effektiv erreicht werden können.
Zur Autorin
Henriette Walz ist seit 2015 in verschiedenen Projekten bei der Rainforest Alliance tätig. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der Zertifizierungsabteilung entwickelt sie Standards und Schulungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Die Berlinerin studierte Umweltmanagement im Master und hat einen Doktor in Biologie.