Die Zukunft des Kabeljaus verstehen
Die Fischerei legt Fangmengen des beliebten Speisefischs ein Jahr im Voraus fest. Langfristige Einflüsse wie veränderte Wassertemperaturen werden dabei bisher nicht berücksichtigt. In einem internationalen Projekt haben Forscher vom Helmholtz-Zentrum Hereon jetzt ein Rechenmodell entwickelt, das die Zukunft des Kabeljaus erstmals ganze zehn Jahre im Voraus abschätzen kann.
26.07.2021
Die Zukunft der Kabeljau-Bestände in der Nordsee und in der Barentssee lässt sich künftig möglicherweise deutlich besser vorhersagen als bisher. Das ist das Ergebnis eines internationalen Forschungsprojektes unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums Hereon. Dem Team ist es erstmals gelungen, die Entwicklung der Bestände für zehn Jahre im Voraus vorherzusagen und dabei sowohl die Veränderungen durch den Klimawandel als auch die Fischerei zu berücksichtigen. Traditionell geben Fischereiexperten für etwa ein Jahr im Voraus Fangempfehlungen, auf deren Grundlage die Fischereiquoten international verhandelt und festgesetzt werden. Dazu wird zunächst die Größe der aktuellen Kabeljau-Bestände abgeschätzt und anschließend berechnet, wie viel Kabeljau im kommenden Jahr gefangen werden kann, um die Bestände optimal zu nutzen und nicht zu gefährden. Die klimatischen Veränderungen von Wassertemperatur, Zirkulation und Vermischung, die einen entscheidenden Einfluss auf die Vermehrung des Kabeljaus haben, gehen in diese Vorhersage nicht ein, so dass sich die Entwicklung der Bestände nur kurzfristig vorhersagen lässt.
Warme Nordsee macht Stress
Wie die Experten um die Klima-Modellierer Vimal Koul und Corinna Schrum vom Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung jetzt im Fachmagazin „Nature Communications Earth and Environment“ schreiben, haben sie in ihren Berechnungen erstmals die Temperatur berücksichtigt. Für die Nordsee sagt die Klimavorhersage weiterhin Temperaturen auf hohem Niveau voraus, so dass sich die Kabeljau-Bestände kaum erholen oder frühere Größen erreichen werden. Insofern ist von gleichbleibend geringen Fangmengen auszugehen. Besser sieht es für die Barentssee aus: Hier lassen sich Bestände nachhaltig bewirtschaften.
Für die Forscher bestand die Herausforderung darin, dass Klimamodelle nicht ausrechnen konnten, wie viel Fisch es künftig in den Meeren gibt. Sie lieferten lediglich Informationen über die zu erwartenden Temperaturen. „Wir mussten also zunächst ein Modell entwickeln, das die Temperatur zu den Fischmengen in Beziehung setzt“, sagt Erstautor der Studie Vimal Koul. Berücksichtigt wurde dabei unter anderem die Meerestemperatur im Nordatlantik. Anschließend konnten die Forscher ihr Vorhersagemodell laufen lassen. Das Modell startet mit den heutigen Bedingungen – den aktuellen Temperaturen und dem aktuellen Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre - und kann dann berechnen, wie sich die Situation mit steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen verhält. Die künftigen Temperaturen, die es berechnet, werden dann in die zu erwartenden Fischmengen und Bestandsgrößen übersetzt. Um zu prüfen, wie zuverlässig das Modell arbeitet, wurde es zunächst mit realen Fischdaten von den 1960er-Jahren bis heute verglichen. Wie sich zeigte, war es in der Lage, für die Zehnjahreszeiträume seit den frühen 1960ern die Fischbestände korrekt abzuschätzen. Insofern können die Forscher um Vimal Koul davon ausgehen, dass auch der aktuelle Blick in die kommenden zehn Jahre stimmig ist.
Intensität der Fischerei berücksichtigt
Interessant an der Studie ist auch, dass das Team aus Forschenden der Klimamodellierung, Fischereibiologie und Ozeanographie vier verschiedene Fischerei-Szenarien berücksichtigt. Damit konnten die Forscher bestimmen, wie es den Kabeljau-Beständen gehen wird, wenn sie unterschiedlich stark befischt werden – von intensiv bis nachhaltig. Insofern sind die Ergebnisse der aktuellen Studie sehr praxisnah. „Die Zehnjahresschätzungen werden der Fischereiwirtschaft künftig dabei helfen, die Fangmengen besser zu planen – damit die Kabeljaubestände trotz veränderten Klimas nachhaltig und schonend befischt werden“, sagt Koul. Auch könnte die neue Zehnjahresvorhersage Fischereiunternehmen bei der Strategieplanung helfen, indem es eine sichere Grundlage für Investitionen in neue Schiffe oder Verarbeitungsanlagen schafft.