Biodiversität

Die stille Revolution der Biodiversität

Die weltweite Landwirtschaft sieht sich von einem massiven Insektensterben bedroht, das für die Biodiversität und die Bestäubung der Felder zunehmend zum Problem wird. Nach Zahlen des NABU verzeichneten manche Orte Deutschlands zwischen 1989 und 2014 einen Rückgang der Biomasse an Fluginsekten um bis zu 80 Prozent. Biologische und ganzheitliche Lösungsansätze aus dem Baumwollanbau zeigen auf, wie dieser Trend umgekehrt werden kann.

12.11.2021

Die stille Revolution der Biodiversität

Von Gary Adams, Präsident des U.S. Cotton Trust Protocol

Während das Insektensterben weltweit immer mehr zum Problem wird, vollzieht sich auf vielen US-Baumwollfarmen die stille Revolution der Biodiversität. Neue und umweltverträglichere Landwirtschaftsmethoden fördern das Zusammenspiel von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen über und unter der Erde. Die biodiverse Entwicklung manifestiert sich in Whole-Farm-Praktiken, von denen Umwelt und Landwirtschaft gleichermaßen profitieren.

Gastautor Gary Adams, Präsident des U.S. Cotton Trust Protocol, erklärt, wie die Landwirtschaft Biodiversität fördern kann.zoom
Gastautor Gary Adams, Präsident des U.S. Cotton Trust Protocol, erklärt, wie die Landwirtschaft Biodiversität fördern kann.

Der gesamtbetriebliche Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass Biodiversität und Baumwollanbau integriert und nicht als sich gegenseitig ausschließende oder konkurrierende Bereiche betrachtet werden. Im Fokus des vernetzten Vorgehens stehen nicht nur Effizienz- und Synergievorteile, sondern auch ein bislang unbekannter und daher spekulativer Mehrwert. Sledge Taylor, ein Baumwollanbauer in Mississippi, drückt es so aus: „Die biologischen Abläufe hinter der Landwirtschaft und Biodiversität sind hochkomplex. Viele Dinge verstehen wir noch gar nicht, wissen aber, dass mehr biologische Vielfalt beim Baumwollanbau nachhaltiger und für uns daher wertschöpfender ist.“ In diesem Zusammenhang wurde das U.S. Cotton Trust Protocol ins Leben gerufen, das Anbaubetriebe unter anderem im Hinblick auf eine ökologische und ressourcenschonende Ackerwirtschaft prüft. Auf diese Weise können Akteure der gesamten Wertschöpfungskette für Textilien auf verifizierbare Daten bezüglich der Nachhaltigkeit ihrer Produkte zurückgreifen.

Durch das Anlegen von Feldkorridoren und Pufferzonen am Rand von Baumwollfeldern, die mit einheimischen Pflanzen verwildern dürfen, entstehen natürliche Lebensräume und Nahrungsquellen. Diese bieten nicht nur für Bienen, Schmetterlinge und kleine Vögel wie Wachteln, sondern auch für größere Arten wie Rehe und Hirsche einen enormen Mehrwert. Die Einrichtung von Feldrändern mit mehrjährigen Gräsern bietet einen günstigen Lebensraum für Bienen und andere Bestäuberarten und verbessert den Lebensraum für angrenzende Baumwollgebiete. Hiervon profitiert wiederum der Anbau. Für solche Pufferzonen nutzen Landwirte meistens ohnehin weniger ertragreiches oder schwieriger zu bearbeitendes Land, um sich auf die für den Baumwollanbau am besten geeigneten Flächen konzentrieren zu können.

Minimale Bearbeitung der natürlichen Bodenstruktur

Neben der Stilllegung von Flächen zur Förderung natürlicher Lebensräume setzen die US-Baumwollfarmer zunehmend auf die Minimal- und Direktsaat sowie auf den Einsatz von Deckfrüchten. Diese ökologischen Maßnahmen fördern die Artenvielfalt und Bodengesundheit erheblich. Minimal- und Direktsaatsysteme verbessern die Bodenstruktur, indem sie die Böden intakt lassen. Ein Verzicht auf die Umwälzung des Bodens verbessert auch seine Kohlenstoffspeicherung, wodurch Landwirte die Auswirkungen der Treibhausgase durch den Baumwollanbau senken. In Kombination mit der minimalen und pfluglosen Bodenbearbeitung trägt der Einsatz von Deckfrüchten ebenfalls zur Bindung von bis zu zweimal so viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre bei.

Außerdem kann durch den Einsatz von Bodendecker-Pflanzen der Ressourcenaufwand reduziert werden. Zum Beispiel verringern Bodendecker die Verdunstung des Bodens, indem sie Schatten spenden, was nicht nur weniger künstliche Bewässerung, sondern auch weniger Bodenerosion bedeutet. „Wir sehen den Unterschied in der Sommerhitze zwischen Flächen mit und ohne Bodendecker. Flächen mit Bodendeckern sind deutlich kühler und speichern mehr Feuchtigkeit“, so ein Baumwollfarmer aus Louisiana.

Auch bei der Auflockerung des Bodens können Bodendecker wie Radieschen nützlich sein. Nicht zuletzt dadurch, dass sie reichlich Schatten und Nahrung für Regenwürmer bieten, welche den Boden auf natürliche Weise lockern und belüften. Dies wiederum ermöglicht eine bessere Wasseraufnahme und weniger Abfluss. Arten wie die Haarwicke liefern wichtige Nährstoffe für die Baumwollernte der folgenden Saison, und die Frühjahrsblüher sind ein Segen für Bestäuber, die sich überall dort vermehren, wo Deckfrüchte routinemäßig eingesetzt werden. Deckfrüchte bilden auch eine natürliche Barriere für schädliche Insekten, Unkraut und Krankheiten. Außerdem reduzieren sie den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln.

Baumwolle hängt an einem Ast.

Weniger Pestizide durch Spot-Applikation

Der gesamtbetriebliche Ansatz beschränkt die Menge an Pestiziden auf ein Minimum. US-Baumwollfarmer haben dabei nicht nur gelernt, wie Deckfrüchte bei der Schädlingsbekämpfung helfen, sondern auch, dass Baumwollpflanzen bestimmte Schädlinge über eine gewisse Zeit tolerieren. Die Landwirte verwalten sorgfältig, wann und wie sie ihre Pflanzen vor Schädlingen schützen müssen. Sie identifizieren und verfolgen das Vorkommen von Schädlingen, die ihre Pflanzen befallen, und konzentrieren sich auf die Vorbeugung. Hierbei setzen die Landwirte Pestizide nur als letztes Mittel ein.

Mithilfe des NDVI (Normalized Difference Vegetation Index) können Landwirte genau diejenigen Bereiche identifizieren, in denen ein Eingreifen erforderlich ist und um die speziellen Bedürfnisse der Pflanzen auf diesen Flächen zu verstehen. Anstatt ein ganzes Feld mit einem Pestizid zu besprühen, wird nur der betroffene, durch den NDVI identifizierte Bereich in einer sehr lokalen Anwendung behandelt. „Wir sprechen von ein paar Dutzend Gramm pro 4.000 Quadratmeter“, erklärt Marshall Hardwick, Landwirt aus Louisiana. Die Beschränkung des Pestizideinsatzes auf das absolut notwendige Minimum hat den Vorteil, dass diese sogenannte lokale Spot-Applikation nur minimale Auswirkungen auf die Biodiversität des Betriebs mit sich bringt und somit dazu beiträgt, diese zu erhalten. Das Konzept ist auch wirtschaftlich sinnvoll, da wenige Liter Pestizid tausende Dollar kosten können.

Die Bedürfnisse jedes Landwirts sind unterschiedlich. Mehr Biodiversität auf US-amerikanischen Baumwollfarmen kann deshalb nur im Dialog entstehen. Eine einheitliche Patentlösung ist nicht zielführend. Organisationen wie Quail Forever und Pheasant Forever arbeiten Hand in Hand mit den Landwirten, um ihnen zu helfen, maßgeschneiderte Programme für ihre jeweiligen Ansprüche zu entwickeln. Oft ist es einfach, die Landwirte über die Vorteile aufzuklären und ihnen zu versichern, dass die Verbesserung der Artenvielfalt keine zusätzlichen Kosten für ihren Betrieb bedeutet. So können Landwirte finanzielle Unterstützung erhalten, um Land stillzulegen und die Artenvielfalt auf ihren Farmen durch eine Reihe von Naturschutzprogrammen des Natural Resources Conservation Service und der Farm Service Agency des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten zu erhöhen. Auf diese Weise entwickeln sich Investitionen in die Artenvielfalt zu einer Win-Win-Situation für alle.

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In vielerlei Hinsicht ertragreich

Der Ertrag einer biodiversen Landwirtschaft ist enorm. Dr. Mark McConnell, Dozent für Hochlandvögel an der Mississippi State University, berichtet von einem Beispiel, in dem die Anlage von zusätzlichen vier Prozent an Habitat-Feldrändern zu einem Anstieg der wilden Wachtelpopulation um 23 Prozent führte. Landwirte, die Artenvielfalt fördern, berichten, dass sich eine Fülle an wilden Tieren niederlässt. Nicht nur Bienen und Schmetterlinge, auch Kaninchen und Rehe, Truthähne und Wachteln und viele andere Tierarten kehren zurück. Dazu gehören Schwarzbären, Panther, Kojoten und Rotluchse. Die Menschen vor Ort haben auch Kanadagänse gesichtet, die so weit südlich normalerweise nicht vorkommen.

Der Aspekt der Artenvielfalt als zusätzlicher Ertrag der Landwirtschaft motiviert immer mehr US-Baumwollbauern auch im Hinblick auf kommende Generationen einen gesamtbetrieblichen Ansatz zu verfolgen. Daraus ergeben sich viele wirtschaftliche Vorteile, denn während durch die Reduzierung von Bewässerung oder Pestiziden wertvolle Ressourcen und finanzielle Mittel gespart werden, steigt gleichzeitig die Produktivität. Schließlich führen die Biodiversitätsmaßnahmen langfristig zu einer verbesserten Bodengesundheit und diese zu mehr Erträgen.

Quelle: UD
 

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