Ocean us: Rettung der Weltmeere in einer Generation
Die neu gegründete Stiftung „Ocean us“ hat es sich zum Ziel gesetzt, die Weltmeere innerhalb einer Generation wieder aufzubauen. Wie genau das gelingen soll und was die Gründerin Linda Neugebauer antreibt, hat sie uns in einem Interview verraten.
08.07.2024
UmweltDialog: Was ist „Ocean us“ und wie unterscheidet sich die Organisation von anderen, die sich für den Schutz der Ozeane einsetzen?
Linda Neugebauer: Ocean us ist die erste global Stiftung mit dem ehrgeizigen Ziel, die Weltmeere innerhalb von einer Generation wiederaufzubauen. Unser Ozean ist für den gesamten Planeten lebensnotwendig und als größte Kohlenstoffsenke der Erde unser wichtigster Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt. Aber der Ozean ist, das zeigt die Wissenschaft, in einem alarmierenden Zustand. Stark bedrohten Arten, halb leer und mit einem sich verändernden Ökosystem durch den zunehmenden Anstieg der Wassertemperatur und die Versauerung. Es reicht jetzt nicht mehr aus, nur das Wenige zu schützen, was noch übrig ist. Wir müssen jetzt viel ehrgeiziger sein und die Vielfalt und den Reichtum des Lebens im Meer wiederaufbauen. Denn nur die biologische Vielfalt kann uns ökologische Stabilität und Sicherheit auf diesem Planeten garantieren.
Damit lösen wir die klassische Meeresschutzorganisation ab, die sich in erster Linie auf den Erhalt von Arten und Ökosystemen konzentriert und einen klaren Fokus auf Politikgestaltung hat. Ocean us steht für eine neue Ära von Organisationen, die wir „Organisationen zur planetarischen Reparatur“ nennen. Dabei geht es nicht primär um den Schutz, sondern den Wiederaufbau zerstörter und geschädigter Ökosysteme. Wir setzen dabei weniger auf Politik und mehr auf die Wissenschaft und die Gesellschaft, denn der Wiederaufbau kann nur gelingen, wenn er von der Wissenschaft geleitet und von der Gesellschaft getragen wird. Mit unserer „Radikalen Hoffnung“ stehen wir von Ocean us für einen neuen Zeitgeist, der dem größtenteils negativen globalen Diskurs über die Klima- und Biodiversitätskrise entgegenwirkt und sich für eine positive Spirale des Lebens einsetzt. Unser Logo, das die Fibonacci-Folge darstellt, symbolisiert den exponentiellen Wiederaufbau der Ozeane, den Ocean us vorantreibt.
Was hat Sie dazu bewogen Ocean us zu gründen und wie ist es Ihnen gelungen, weltweit führende Meereswissenschaftler:innen für Ihr Vorhaben zu gewinnen?
Neugebauer: Schon seit ich denken kann, liebe ich das Meer. Aber mein Lebensweg hat mich erst einmal in die Wirtschaft geführt und ich habe mich in den USA auf Fundraising Management spezialisiert. Seit über 20 Jahren bin ich im Non-Profit-Sektor tätig. Vor etwa fünf Jahren erfuhr ich, wie schlecht es um den Ozean steht. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben und der Moment, um meine Liebe zum Meer mit meiner beruflichen Erfahrung zu verbinden. Aber das Thema Ozean war mir bis dahin völlig unbekannt.
Also sprach ich mit vielen Expertinnen und Experten und wurde immer pessimistischer. Das Problem schien zu groß und die Lösungen nicht greifbar. Irgendwann sah ich meine kleine Tochter an und dachte: „In welcher Welt wird sie aufwachsen?“ Früher hofften Eltern auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Heute hoffen wir, dass es unsere Kinder nicht allzu schlecht haben werden. Das fühlte sich falsch an. Wir Erwachsenen haben die Verantwortung, eine nachhaltige und bessere Welt für unsere Kinder zu schaffen.
Es dauerte etwa drei Jahre, das Grundkonzept von Ocean us zu entwerfen, neben Arbeit und Familie. Ich wollte etwas einzigartiges schaffen, das wirklich etwas bewirken kann. Als ich dann die weltweit führenden Expertinnen und Experten einlud, an der Weiterentwicklung von Ocean us mitzuwirken, bekam ich schnell und überwiegend positive Antworten. Ich denke, das lag vor allem daran, dass Ocean us die Bedeutung der Wissenschaft stärkt und genau die entscheidenden Probleme gezielt angeht, die bisher vernachlässigt wurden – das überzeugt Expertinnen und Experten.
Was genau können wir uns unter „planetarische Reparatur“ und „Gesamtheit der Ozeane“ vorstellen und wie wollen Sie diese Ziele erreichen?
Neugebauer: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind einzigartig in der Geschichte der Menschheit. Unsere natürlichen Systeme, wie die der Ozeane, sind geschädigt und unsere Lebensgrundlagen bedroht. Es reicht nicht mehr aus, kleine Projekte zu starten, die sich auf einzelne Länder oder Regionen konzentrieren. Wir müssen den Planeten als Ganzes sehen, verstehen und gestalten. Unsere Ozeane sind im Grunde ein einzigartiges Wassersystem, der „globale Ozean“. Wir brauchen neue Weltbilder, um wegzukommen vom kleinräumigen Denken. Dies ist eine einmalige Chance in der Menschheitsgeschichte, die globale Koordination und Zusammenarbeit erfordert. Unsere Vision ist die „Gesamtheit des Ozeans“ (ocean completeness), die wir mit einem neuen Fachbegriff belegt haben. Statt Resilienz, die nur die Eigenschaften eines Ökosystems beschreibt, wollen wir einen Zustand der funktionellen Vollständigkeit des Ozeans beschreiben. Das bedeutet, alle Ökosystemfunktionen wieder herzustellen, die unser Leben sichern. Ein resilientes Ökosystem ist nicht unbedingt gut für die biologische Vielfalt. Biodiversität ist aber die einzige Grundlage für ökologische Stabilität und Sicherheit. Auch der Begriff des „intakten“ Ökosystems ist überholt, weil „intactus“ „unberührt“ bedeutet. Der Ozean ist aber nicht mehr unberührt, und er wird auch nicht mehr in einen unberührten Zustand zurückkehren, solange wir Menschen hier leben. Von dieser Utopie müssen wir uns verabschieden.
Sie planen sechs internationale Projekte umzusetzen. Wie haben Sie diese Projekte ausgewählt und warum?
Neugebauer: Die Weltmeere wieder aufzubauen klingt nach einer riesigen Aufgabe. Wie soll das gehen? Laut Wissenschaft gibt es neun Meereskomponenten, die das gesamte Ökosystem Ozean aufrechterhalten, darunter Korallenriffe, Blaue Wälder, Megafauna, Austernriffe und die Tiefsee. Deshalb haben wir sechs globale Projekte ins Leben gerufen, die zusammen alle diese wichtigen Meereskomponenten abdecken. Viele sind derzeit stark geschädigt und brauchen aktive Wiederaufbaumaßnahmen, um sich zu erholen
Ein erstes Projekt nennt sich „Global Coral Restoration“ und hat das Ziel, bis 2030 weltweit neun Millionen Quadratmeter geschädigter Korallenriffe wiederherzustellen, etwa neunmal mehr als das bisher größte Projekt. Können Sie uns mehr über dieses konkrete Projekt erzählen?
Neugebauer: Leider stehen die tropischen Korallenriffe erstmals vor dem funktionellen Aussterben. Denn die Ozeane erwärmen sich, wodurch die Korallen ausbleichen und absterben können, wenn die Temperatur zu schnell zu hoch wird. Die Wissenschaft nennt das „tissue melting“. Das ist fatal, denn jedes vierte Lebewesen im Meer und über 500 Millionen Menschen sind auf gesunde Korallenriffe angewiesen. Die bisherigen Schutz- und Klimaschutzmaßnahmen greifen zu kurz, weil die Erwärmung der Wassertemperaturen nicht vor Meeresschutzgebieten Halt macht. Trotz unverzichtbarer Klimaschutzmaßnahmen wird das Wasser immer wärmer. Die einzige Lösung ist, die natürliche Anpassung der Korallen an einen sich erwärmenden Ozean anzupassen. Dafür müssen wir die Wissenschaft weiter fördern. In diesem Jahr haben wir ein Netzwerk von lokalen Partnern an über 30 Orten der Welt aufgebaut, um in einem global koordinierten Ansatz diese neun Millionen Quadratmeter wieder aufbauen. Hier sind wir vor allem in den Ländern des Pazifischen und Indischen Ozeans, wo die tropischen Korallenriffe hauptsächlich vorkommen.
Sie sind eine sehr erfahrene Fundraising-Expertin und haben als solche auch ambitionierte Finanzierungsziele für Ihre eigene Stiftung: Bis 2030 wollen Sie eine Milliarde Dollar an Investitionen für die Wiederherstellung der Ozeane mobilisieren. Wie soll das gelingen?
Neugebauer: Der Ozean ist alarmierend unterfinanziert, sowohl in der Philanthropie als auch bei öffentlichen und privaten Investitionen. Wenn man im Non-Profit-Sektor nach dem schwierigsten Thema für die Mittelbeschaffung sucht, dann ist es zweifellos der Ozean. Das wollen wir ändern. Unser ehrgeiziges Ziel braucht signifikante Investitionen. Philanthropie allein kann das nicht leisten, deshalb planen wir noch in diesem Jahr den „Ocean Impact Fund“ mit dem Ziel, bis 2030 eine Milliarde Dollar über hybride Finanzierungsmodelle zu mobilisieren. Als „Impact“-orientierte Stiftung konzentrieren wir uns auf das Ergebnis und die Wirkung, die wir erzielen, und arbeiten derzeit an einem Konzept, das unsere Spender:innen und Investor:innen zu Eigentümern des „Impacts“ macht. Damit leisten wir Pionierarbeit für ein neues Konzept, das wir „Philanthropy 5.0“ nennen. Aber auch die breite Öffentlichkeit ist wichtig. Der Ozean muss noch in diesem Jahrzehnt zu einem Trendthema der Philanthropie werden und von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als unser bester Verbündeter im Kampf gegen Klimawandel und Biodiversitätsverlust anerkannt. Deshalb starten wir gemeinsam mit McCann die Kampagne „Last Call for Beauty“, um weltweit über 500 Millionen Menschen für das Thema Korallen und Ozeane zu sensibilisieren und zum Spenden zu motivieren. Jede Spende ist jetzt wichtig, um die erste nachhaltige Generation aufzubauen, deren Grundlage ein gesunder Ozean ist.