Biodiversität

Zukunft des Weddellmeers ungewiss

Ein artenreiches Refugium in Gefahr? Das Weddellmeer, bekannt für seine einzigartige Artenvielfalt und als potenzieller Rückzugsort für kälteliebende Organismen im Klimawandel, steht im Fokus eines neuen Forschungsprojekts. Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) leitet ein internationales Konsortium, das im Rahmen des EU-Projekts WOBEC mögliche Veränderungen dieses sensiblen Ökosystems langfristig beobachten und dokumentieren will.

24.06.2024

Zukunft des Weddellmeers ungewiss zoom
Pinguine betrachten eine Meereisboje, die AWI-Meereisphysiker auf dem Eis errichtet haben. Das Gerät misst unter anderem den Schneezuwachs auf dem Eis.

Das Weddellmeer, als größtes Randmeer des Südlichen Ozeans in der Antarktis, beherbergt eine Vielzahl von Leben. Hier finden Kaiserpinguine und Robben ihren Nachwuchs, während Krillschwärme unter den Eisschollen Mikroalgen abweiden, um Fische, Wale und Seevögel anzulocken. Am Meeresboden brüten Millionen von Eisfischen, und Unterwassergärten aus Glasschwämmen, Nesseltieren und Seescheiden weisen stellenweise einen ähnlich hohen Artenreichtum wie tropische Riffe auf.

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Um dieses einzigartige Ökosystem angesichts des Klimawandels besser zu verstehen und zu schützen, haben sich elf Institutionen aus acht Ländern im Projekt Weddell Sea Observatory of Biodiversity and Ecosystem Change (WOBEC) zusammengeschlossen. In den kommenden drei Jahren werden sie den aktuellen Zustand der Artengemeinschaft im Weddellmeer erfassen und so eine wichtige Referenz für zukünftige Beobachtungen schaffen. Dieses Vorhaben wird von der Europäischen Union im Rahmen des BiodivMon-Programms mit 1,9 Millionen Euro gefördert und vom Alfred-Wegener-Institut koordiniert.

Ziel des Projekts

„Im Weddellmeer existiert ein weitestgehend unberührter und damit besonders schützenswerter Naturraum. Dieser hat nicht nur einen hohen ästhetischen Wert, sondern beherbergt einzigartige Lebensvielfalt. Diese biologische Vielfalt ermöglicht auch wichtige Ökosystem-Dienstleistungen, etwa das Speichern von Kohlenstoff in der Tiefsee durch absinkende Eisalgen und Planktonreste“, erklärt Dr. Hauke Flores, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut und Koordinator des EU-Projekts. „Aber der Klimawandel ist längst auch in der Südpolarregion angekommen: In den letzten Jahren haben wir einen unerwartet drastischen Rückgang des Meereises beobachtet. Wir wissen nicht, ob und wie sich die dortigen Bewohner an die veränderten Umweltbedingungen anpassen werden. Um das beurteilen zu können, müssen wir zunächst den Ist-Zustand des Ökosystems besser kennen und dringend anfangen, systematisch Daten zu erheben.“

Im Zentrum des Projekts WOBEC steht die Erforschung möglicher langfristiger Veränderungen der Artenvielfalt im östlichen Weddellmeer. Obwohl Nationen wie Deutschland, Norwegen und Südafrika seit Jahrzehnten in dieser Region forschen, fehlen bisher systematische Studien des gesamten Ökosystems. Hauke Flores betont, dass es östlich und westlich des WOBEC-Studiengebiets über tausende Kilometer keine Langzeitbeobachtungen der marinen Artenvielfalt gebe.

Um diese Lücke zu schließen, ist für 2026 eine Expedition mit dem Eisbrecher Polarstern geplant, die unter der Leitung der Universität Rostock bis ins südliche Weddellmeer vordringen wird. Neben der Erkundung des Maud-Rise-Seebergs sollen dabei auch frühere Untersuchungen der Artengemeinschaften am Meeresboden westlich der Neumayer-Station III fortgesetzt werden.

Das deutsche Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer
Das deutsche Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer

WOBEC geht über die reine Datenerhebung hinaus. Die Forschenden werden ihre Archive durchforsten und bisher unveröffentlichte oder schwer zugängliche Ergebnisse in öffentlichen Datenbanken für die Allgemeinheit zugänglich machen. „Auf der Grundlage historischer wie aktueller Daten wollen wir eine Strategie für langfristige Umweltbeobachtungen im Weddellmeer mithilfe von autonomen Observatorien, Satellitenfernerkundung und schiffsbasierten Messungen erarbeiten“,, erklärt Hauke Flores. Dieser Prozess soll unter Einbeziehung von Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft und Naturschutz sowie in enger Zusammenarbeit mit der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) erfolgen.

Forschende fordern Einrichtung von Schutzgebieten

Die Bemühungen um den Schutz des Weddellmeers sind nicht neu. Die EU und andere CCAMLR-Mitglieder setzen sich seit langem für die Einrichtung eines Schutzgebiets ein. Mit der Expertise des AWI wurde bereits 2016 ein Schutzkonzept bei der CCAMLR eingereicht, das zwei Regionen im westlichen und östlichen Weddellmeer umfasst, die teilweise auch im Studiengebiet von WOBEC liegen. „Das vorgeschlagene Meeresschutzgebiet umfasst aktuell zwei Regionen im westlichen und im östlichen Weddellmeer, die zum Teil im Studiengebiet von WOBEC liegen“, erklärt Dr. Katharina Teschke, Meeresökologin und Leiterin des Schutzgebiet-Projekts am AWI. Das geplante Meeresschutzgebiet verfolgt einen Ansatz, der das gesamte Ökosystem in den Blick nimmt und auf dem Vorsorgeprinzip beruht. „Es geht darum, eine bislang unberührte Meeresregion als Refugium für kälteliebende Arten zu erhalten, wo sie sich bei anhaltender Erwärmung der Erde ungestört an die veränderten Umweltbedingungen anpassen können“, sagt Katharina Teschke.

„Bislang scheiterte der Antrag für das vorgeschlagene Meeresschutzgebiet an der geforderten Einstimmigkeit, und die derzeitige geopolitische Lage erschwert die Verhandlungen von CCAMLR. Hoffnung macht jedoch die Verabschiedung des Abkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt in Gebieten jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit (BBNJ Treaty) im vergangenen Jahr“, so Katharina Teschke. „Es ist ein positives Signal, das vielleicht hilft, den Prozess der Ausweisung eines Schutzgebiets im Weddellmeer unter CCAMLR zu stimulieren. WOBEC bietet die Chance, auf wissenschaftlicher Basis bereits jetzt eine Strategie für die Erfassung der Biodiversität und ihrer zukünftigen Veränderungen im Bereich des Meeresschutzgebietes zu entwickeln.“

Quelle: UD/fo
 

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