Biodiversität

Hamburger Gespräche für Naturschutz: Natur frei Haus?

„Warum bekommen wir das dramatische Artensterben nicht in den Griff? Warum lassen wir es zu, dass über Jahrmillionen entwickeltes genetisches Potential - ein unschätzbarer Reichtum der Natur - in kürzester Zeit unwiderruflich verloren geht?“ Diese von Dr. Michael Otto formulierten Fragen standen im Mittelpunkt der 6. Hamburger Gespräche für Naturschutz, zu denen die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz in das Hotel Hafen Hamburg eingeladen hatte. Experten diskutierten über den riskanten Umgang mit dem Marktfaktor Natur.

11.11.2009

Dr. Michael Otto, Foto: Michael Otto Stiftung
Dr. Michael Otto, Foto: Michael Otto Stiftung
Otto, der das Symposium mit einer eindringlichen Rede am Morgen eröffnete, fuhr dazu fort: „Liegt es womöglich daran, dass es ‘Natur frei Haus‘ gibt und dass sie uns deshalb wertlos erscheint - ganz im Sinne des alten Mottos ‘Was nichts kostet, das ist auch nichts wert‘?“

Dass die Natur und ihre Güter alles andere als wertlos sind, darin waren sich die hochkarätigen Referenten wie auch das anwesende Fachpublikum einig. Neben der Wertschätzung der Natur unter ethischen und kulturellen Gesichtspunkten wurde dabei besonders die Wichtigkeit hervorgehoben, die sogenannten ökosystemaren Dienstleistungen der Natur in Wert zu setzen, um auch ihren ökonomischen Beitrag begreiflich zu machen. Die Hamburger Gespräche, zu denen die Michael Otto Stiftung jährlich einflussreiche Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Naturschutzorganisationen und Wissenschaft einlädt, trugen durch die ergebnisorientierte Diskussion auch in diesem Jahr wieder dazu bei, interdisziplinäre Lösungsansätze für aktuelle umweltpolitische Fragestellungen zu finden.

Zu den Referenten gehörten der Tschechische Umweltminister Dr. Ladislav Miko und der Träger des Alternativen Nobelpreises Prof. Dr. Michael Succow, der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Harald Welzer, Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, sowie der Vorsitzende der Geschäftsführung der Accenture GmbH, Dr. Stephan Scholtissek, und Gerd Billen, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Die nachmittägliche Podiumsdiskussion, die von Corinna Lampadius (Spiegel TV) moderiert wurde, bot Gelegenheit für Fragen und Beiträge aus dem Plenum und erhielt mit Florian von Heintze aus der BILD-Chefredaktion weiteren prominenten Zuwachs. Die Hamburger Gespräche für Naturschutz 2009 wurden klimaneutral ausgerichtet.

Zu den Vorträgen:

Prof. Dr. Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises und des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, rief in seinem Vortrag dazu auf, die "Spielregeln der Natur“ besser einzuhalten. Succow stellte in diesem Zusammenhang u.a. zwei Forderungen an die heutige Menschheit: Erstens die letzten noch ungenutzten, intakten Naturräume der Erde unangetastet zu lassen. Daneben müsse zweitens dem Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Ökosysteme bei allen Formen der Naturnutzung höchste Priorität eingeräumt werden.

Aus Sicht der Politik berichtete Dr. Ladislav Miko, Tschechischer Umweltminister, von den EU-Rahmenbedingungen zum Biodiversitätsschutz. Miko, der bis vor kurzem Direktor der Abteilung „Schutz der natürlichen Umwelt” der EU-Kommission war, stellte vor, welche Initiativen auf globaler, europäischer und nationaler Ebene bereits auf den Weg gebracht wurden und welche weiteren Handlungsschritte aus seiner Perspektive von Nöten sind. Er verwies dabei unter anderem auf die derzeit unter globaler Beteiligung durchgeführte Studie „The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB)“ und lobte diese als eines der größten und wichtigsten Projekte weltweit.

Die TEEB-Studie, deren Ergebnisse 2010 vorgestellt werden sollen, stand denn auch im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Analog zum Stern-Report zu den Kosten des Klimawandels soll sie Auskunft über den Wert der Ökosystemdienstleistungen geben. Sie setzt die vermeintlich „kostenlosen Gaben“ der Natur wie Nahrungsmittel, Fasern, Brennstoffe, sauberes Wasser, gesunde Böden, Schutz vor Überschwemmungen, Schutz gegen Bodenerosion, Arzneimittel und Kohlenstoffspeicherung in Wert und macht sie damit zu einer ökonomisch kalkulierbaren Größe. Hansjürgens kommentierte die Studie mit den Worten: „Der Übergang von der Anerkennung ökologischer Leistungen bis zu ihrer Bewertung scheint zwar nur ein kleiner Schritt zu sein, doch mit Blick auf eine stärkere Bewusstseinsbildung ist es ein gewaltiger Schritt.“

Aus Wirtschaftssicht forderte Dr. Stephan Scholtissek, Vorsitzender der Geschäftsführung der Accenture GmbH, Nachhaltigkeit müsse von den Unternehmen auf freiwilliger Basis, aber konsequent in das Kerngeschäft integriert werden, um dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Dafür müsse die Rolle von Nachhaltigkeit für den Unternehmenserfolg aber auch messbar werden, was laut Scholtissek beispielsweise an Hand eines selbstkritischen Nachhaltigkeitsreportings gemäß der Indikatoren der internationalen „Global Reporting Initiative“ umsetzbar sei.

Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., nannte verschiedene konkrete Handlungsansätze und Möglichkeiten zum Schutz der Biodiversität. Unter anderem forderte er von den Unternehmen, die Verbraucher ganzheitlich für Biodiversitätsaspekte zu sensibilisieren und ihnen in der Sortimentsgestaltung entsprechende Angebote zu machen. Darüber hinaus sollten Unternehmen sich stärker vernetzt zum Schutz von ganzen Ökosystemen einsetzen, anstatt wie bisher punktuelle Einzelaktivitäten zu verfolgen. Zudem bedürfe es verbindlicher Regeln für den Schutz von Wäldern und Meeren sowie effizienterer und ergebnisorientierterer Subventionen für die Landwirtschaft.

Der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Harald Welzer, bekannt als Autor der Bücher „Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“ und „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“, formulierte gerade in Bezug auf das für die meisten Menschen noch sehr abstrakte Phänomen „Biodiversität“ die sozialpsychologische Hypothese: Es gibt keinen Weg vom Wissen zum Handeln, wohl aber vom Handeln zum Wissen. Hierzu stellte er das Konzept der Selbstwirksamkeit vor: Wird die Erfahrung gemacht, dass ein Handlungsspielraum mit Erfolg anders genutzt werden kann, als man es bislang getan hatte, sei dies ausgesprochen aktivierend. Dieses Konzept gelte es laut Welzer, für die aktuelle Situation umfassend zu nutzen.
Quelle: UD / cp
 
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