Renaturierung der Allerniederung: Erfolgsbilanz nach fünf Jahren
Mit der ersten Baggerschaufel begann 2006 die Renaturierung der Allerniederung zwischen Kästorf und Warmenau. Gemeinsam waren Volkswagen und die Stadt Wolfsburg angetreten, um aus einem Kanal einen Fluss mit natürlicher Fließgewässerdynamik zu machen und auf mehr als 100 Hektar aus intensiv genutzten Grünländereien auentypische Biotope zu entwickeln. Fünf Jahre nach Baubeginn ist es Zeit für eine erste Bilanz. Konnte das Vorhaben wie geplant zu einer Erhöhung der Biodiversität beitragen?
31.10.2011
Schauen wir zunächst einmal auf die Aller selbst. Terrassenförmig wurde dort wechselseitig der träge dahinfließende Kanal um die Hälfte eingeengt und schon nach kurzer Zeit schlängelte sich die Aller, wie es sich für einen Tieflandfluss gehört, durch die Landschaft. Und auch unter Wasser tat sich viel. War die Aller auf langer Strecke einheitlich tief, so sorgten die Einbauten auch dafür, dass sich aufgrund unterschiedlicher Strömungsgeschwindigkeiten ein abwechslungsreiches Mosaik aus ganz tiefen Gumpen, Strecken mittlerer Wassertiefen und Flachwasserzonen, bildeten. Genau diese strukturreiche Gewässermorphologie benötigen Fischarten, die in begradigten Flussläufen keine geeigneten Bedingungen mehr vorfinden und deshalb bei uns sehr selten geworden sind. Dennoch war es für die Biologen, die innerhalb des Renaturierungsprojektes laufend Erfolgskontrollen durchführen, eine Überraschung, wie schnell die durchgeführten Maßnahmen wirkten. Denn schon nach drei Jahren hatten sich die Bestände des Steinbeißers, einer Fischart von europäischer Bedeutung, verfünffacht oder Fische wie die Aalquappe oder der Bitterling, die vor Projektbeginn noch gar nicht vorkamen, den renaturierten Flussabschnitt neu besiedelt.
Aber auch die Schaffung zusätzlicher Fließgerinne nach historischem Vorbild aus dem 18. Jahrhundert, die Anlage von Altarmen und anderer auentypischer Stillgewässer sowie die naturnahe Umgestaltung vorhandener Gräben weist eine Reihe von Erfolgen aus: Es entstanden die Kinderstuben für Fische wie Hecht oder die pflanzenreiche Gewässer liebende Schleie. Der streng geschützte Kammmolch nutzt die unzähligen Kleingewässer, um sich fortzupflanzen und ein lautes Keckern aus den vielzähligen Hecken in warmen Maiennächten zeigt an, dass auch der bestandsgefährdete Laubfrosch jetzt wieder in der Allerniederung heimisch ist.
Ab Sommer 2008 kamen dann weitere Helfer dazu, die Artenvielfalt zu erhöhen. Auerochsen und Konik-Ponies sorgten als Landschaftspfleger auf vier Beinen dafür, dass eine halboffene Weidelandschaft entstand. Es gibt dort jetzt kurzrasige Bereiche, wo besonders schmackhafte Gräser wachsen, höhere Röhrichtbestände, die nicht so gern gefressen werden und Gehölzgruppen, die zwar besonders gut munden, aber zum Schutz vor Fraß umzäunt und von den Weideflächen ausgeschlossen sind. Dieses Miteinander unterschiedlicher Strukturen führte unter anderem zu einem deutlichen Anstieg der Brutvorkommen vom Neuntöter. Der Neuntöter wird von der EU-Vogelschutzrichtlinie als besonders schützenswert eigestuft und hat seinen Namen von der Art, wie er seine Vorratshaltung betreibt. Er spießt nämlich seine Beute (nicht immer neun an der Zahl) wie große Insekten oder auch Mäuse auf Dornen, um sie später zu fressen.
Einer der größten Erfolge des Projektes dürfte jedoch die erste Brut des Weißstorches in Kästorf seit 45 Jahren sein. Auf einem Horst, den der Landwirt Hans-Heinrich Kreipke vor langer Zeit auf seiner Weide errichtet hatte, wurde 2011 ein Storchenjunges erfolgreich aufgezogen - nicht zuletzt auch ein Ergebnis aus Zusammenspiel des neu geschaffenen Gewässernetzes und der Rasenmäher-Tätigkeit der Rinder und Pferde, die dem Storch erst ermöglichen, die Nahrung für seine Kleinen zu erspähen und zu erjagen.
Es sollten aber auch Wälder in der Allerniederung geschaffen werden. Hier wollte man sich im Falle der Feucht- und Nasswälder fast ausschließlich auf Mutter Natur verlassen. Als einzige Initial-Maßnahme wurde vorher intensiv genutztes Grünland umgepflügt, damit Offenboden entstehen konnte. In unmittelbarer Nachbarschaft gewachsene Erlen und Weiden sollten mit ihrer Samenverbreitung über Luft und Wasser dafür sorgen, dass sich dort Auenwald bildet. Und es hat geklappt. Heute vier Jahre nach der Maßnahme erkennt man sofort, dass dort Wald entsteht. Dicht an dicht wachsen Weiden und Erlen, die teilweise schon bis zu vier Meter hoch sind.
Nicht zuletzt hatte man mit dem Vorhaben auch das Ziel, einen Verbindungskorridor zwischen den europäischen Schutzgebieten Drömling und Barnbruch und seinen wertgebenden Pflanzen- und Tierarten zu schaffen. Man hatte dabei vor allem an die zwei bedeutenden Säugertierarten Biber und Fischotter gedacht. Bislang hat man zwar noch keinen Fischotter beobachtet, dafür ist aber der Biber nicht nur durchreisender Gast, sondern hat sich schon die eine oder andere kleine Biberburg in der Allerniederung gebaut.
Heimisch sind mittlerweile aber auch zwei andere Arten aus Drömling oder Barnbruch geworden, mit denen nicht unbedingt gerechnet werden konnte. So dürften wohl bei einem Hochwasserereignis der Aller im Drömling fortpflanzungsfähige Sprossteile der Schwanenblume fortgerissen und in ein neugeschaffenes Nebengerinne bei Kästorf geschwemmt worden sein - Grundstock für eine neue Population.
Außerdem wurden 2011 mit Reusenfallen erstmals Schlammpeitzger in diesen Nebengerinnen gefangen werden. Diese Fischart, die auch in zeitweise trockenfallenden Gewässern längere Zeit überlebt, kann über die Aller entweder flussabwärts aus dem Drömling oder flussaufwärts aus dem Barnbruch eingewandert sein.
Als Resümee aus den ersten Projektjahren lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse der Erwartungshaltung entsprechen. Trotz dieser Erfolgsmeldungen werden die Projektpartner Volkswagen und Stadt Wolfsburg das Biomonitoring bis in das Jahr 2015 fortsetzen, um die weitere positive Entwicklung steuern und registrieren zu können.