Biodiversität

Interview: Tigerschutz in Indien

Weltweit gibt es nach WWF-Schätzungen nur noch rund 3.200 Tiger - viele davon in Indien. Der Subkontinent gehört zu den artenreichsten Ländern der Welt. Sejal Worah, Leiterin des WWF-Naturschutzprogrammes in Indien im Gespräch über Mensch-Tier-Konflikte, die große Tigerzählung, den kontrovers diskutierten Tourismus und was Deutschland von Indien lernen kann.

01.08.2012

Sejal Worah, Leiterin Naturschutz bei WWF Indien. Foto: WWF / Matthias Adler
Sejal Worah, Leiterin Naturschutz bei WWF Indien. Foto: WWF / Matthias Adler
Gibt es einen speziellen indischen Ansatz bei den Themen Umweltschutz und Biodiversität?

Sejal Worah: Natürlich haben wir in einem so dicht besiedelten Land wie Indien starke Mensch-Tiere-Konflikte. Was man lernen kann, ist wie Inder damit umgehen. Im Gegensatz zu anderen Ländern in Asien haben wir noch wirklich viele wilde Tiere - das hat auch mit unserer Kultur zu tun. Es kommt recht oft vor, dass ein Tiger eine Kuh reißt oder dass ein Elefant einem Bauer das Feld verwüstet - und das ist meistens existenzieller, als wenn in Europa ein Wolf aus einer Herde von 500 Tieren zwei Schafe frisst. In den Gebieten, die an Tigergebiete grenzen, gehen die Verluste von Vieh teilweise in den vierstelligen Bereich - pro Jahr. Die Betroffenen zeigen aber gerade in Indien meist eine unglaubliche Toleranz gegenüber den Tieren. Sie sind nicht böse auf das Tier, die natürliche Koexistenz zwischen Mensch und Tier wird nicht in Frage gestellt. Elefanten und Tiger müssen ja schließlich auch fressen, sagen die Bauern dann.
Von diesem Respekt gegenüber der Natur kann man viel lernen - wobei man sagen muss, dass diese Einstellung sich auch ändert.

Inwiefern?

Sejal Worah: Vor kurzem war ich in einem Dorf, dort ist ein Elefant durchgegangen. Sechs Menschen sind dabei ums Leben gekommen, und zum ersten Mal war ich dabei, als jemand den Abschuss eines Tieres gefordert hat. Das war mir neu. Die Haltung hat sich schon verändert: Ganz generell wächst in Indien die Bedeutung des Geldes. Wir können diese Entwicklung nicht umdrehen, wir müssen uns ihr stellen. Und das heißt, dass bei Umweltprojekten auch der finanzielle Vorteil betrachtet werden muss, dass es sich für die Menschen lohnt, die Natur zu schützen.

Man schätzt, dass 40 Prozent aller Inder traditionell Vegetarier sind. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen dem Respekt gegenüber der Natur und der Ernährung?

Sejal Worah: Zunächst einmal ist Indien ist so groß und unterschiedlich, da ist es ist wirklich schwer, Generelles zu sagen. Aber ja, die respektvolle Haltung teilen in der Tat viele Inder. Im Nordosten Indiens, wo es weniger Vegetarier gibt, sind die Wälder auch deutlich leerer als im Rest des Landes. Die Tiere werden gejagt und gegessen, also kann man das schon einen Zusammenhang herstellen.

Worin besteht die Arbeit des WWF Indien vorrangig?

Sejal Worah: Wir haben in Indien 60 Stationen. Dort arbeiten wir überwiegend im Feld, also direkt vor Ort in den Projektgebieten. Wir haben aber auch in fast allen Hauptstädten der indischen Bundesstaaten Regionalbüros, wo wir Aufklärungs- und Bildungsarbeit machen. Wir beraten die Politik und arbeiten mit Unternehmen zusammen - es gibt keine andere NGO, die wie wir in all diesen Feldern engagiert ist. Und dabei haben wir nur 325 Mitarbeiter in Indien - das ist nicht so viel für unser riesiges Land mit 1,1 Milliarden Menschen.

Lange gab es in Indien Diskussionen, wie viele Tiger noch in Indien leben. Es waren verschiedenste Zahlen im Umlauf...

Sejal Worah: Wir haben vor fünf Jahren damit begonnen, die aufwendigste und zuverlässigste Tigerzählung durchzuführen, die man sich vorstellen kann. Wir haben dabei genau 1711 Tiger gezählt. Diese Zahl wird von allen Tigerfachleuten als Grundlage akzeptiert. Insgesamt betreut der WWF in Indien mehr als 20 Tigerbeobachtungsstationen.

Der WWF musste in Deutschland in einem Film Kritik wegen Tigertourismus einstecken...


Sejal Worah: Ja, ich habe davon gehört. Ich kenne diesen Film, da werden eine ganze Menge Behauptungen aufgestellt, die einfach nicht stimmen. Ganz allgemein muss man sagen, dass das Thema Tigertourismus in Indien kontrovers diskutiert wird. Ich persönlich finde es in Ordnung, wenn reiche Menschen viel Geld ausgeben, um Tiger zu sehen und ein Teil des Geldes wieder in Tigerprojekte fließt. Die Leute müssen die Tiger sehen, damit sie über Tiger etwas lernen und bereit sind, sich für deren Schutz einzusetzen. Problematisch wird es, wenn der Tourismus die Tiger stört. Tourismus darf nicht außer Kontrolle geraten. Und das tut er nicht, wo der WWF beteiligt ist. In Nagahole beispielsweise arbeiten wir gar nicht, anders als im Film behauptet wird.

In der Amur-Region ist die Tigerpopulation in den letzten Jahren konstant. Vor allem die gute Ausbildung von Rangern macht sich im Tigerschutz bezahlt. Wie ist das in Indien?

Sejal Worah: Das ist ein großes Thema. Wir nennen sie immer unser Frontkämpfer - und sie sind hier die am wenigsten geschätzten Naturschützer. Sie sind oft überarbeitet, unterbezahlt, schlecht ausgerüstet und wir müssen sie stärken. Wir versuchen stetig Training, Ausrüstung und Motivation anzubieten - und fordern von der Regierung mehr Geld. Aber diese Probleme gibt es ja wirklich nicht nur in Indien.

In Indien wächst die Wirtschaft rasant, auch die Bevölkerung nimmt nach wie vor zu. Welche Konsequenzen hat dies für den Umweltschutz?


Sejal Worah:
Wachstum und Entwicklung sind natürlich ein riesiges Problem für die Umwelt, wenn man sich das große Bild betrachtet. In der Politik streitet gerade jedes Ministerium in Indien gegen das Umweltministerium, weil sie irgendein Projekt durchsetzen wollen. Umweltschutz wird in den nächsten Jahren eines der größten Probleme Indiens. Derzeit haben in Indien 400 Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität und leben in absoluter Armut. Um diese Armut zu bekämpfen, benötigt Indien in den nächsten zwei bis drei Dekaden ein stetiges Wirtschaftswachstum von ungefähr zehn Prozent. Wir können also gar nicht gegen Wachstum sein. Aber es ist eine große Herausforderung, dieses Wachstum nachhaltig zu gestalten. Es heißt immer, Erneuerbare Energien würden nicht ausreichen, Energiesicherheit zu gewährleisten. Aber: Indien besitzt, bis auf Kohle, gar keine fossilen Brennstoffe. Es bleibt sehr spannend, was hier in Indien passieren wird.
Quelle: UD / na
 
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