Wirtschaft blickt wieder skeptischer auf Energiewende
Der sich in den Vorquartalen abzeichnende Stimmungsumschwung in Sachen Energiewende ist im Winter jäh gestoppt worden: Die im Deutschen Energiewende-Index gemessene Einstellung gegenüber der Energiewende ist im 4. Quartal 2014 wieder negativer geworden. Der Index liegt auf einer Skala von 0 (sehr negativ) bis 200 (sehr positiv) mit 92 Punkten im negativen Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Rückgang um 0,7 Punkte, im Vergleich zum Vorquartal ein Rückgang um 1,4 Punkte. Davor war der Index zwei Quartale in Folge angestiegen. Einige Nachjustierungen der Großen Koalition scheinen aber die Wirtschaftlichkeit leicht verbessert zu haben. Der entsprechende Indexwert ging leicht nach oben.
07.04.2015
Vor allem unter Netzbetreibern und Energieversorgungsunternehmen (EVU) ist die Stimmung schlecht. Der entsprechende Indexwert liegt laut Deutschem Energiewende-Index bei 77,8 beziehungsweise 87,9 Punkten und bedeutet damit eine Verschlechterung um 9,7 bzw. 1,8 Punkte gegenüber dem Vorjahr. Positiv bewerten die Entwicklung der Energiewende Politiker/Verbände (115,4 Punkte) und Hersteller/Zulieferer (101,5 Punkte). Dennoch hat sich auch bei ihnen die Bewertung im Vergleich zum Vorjahr eingetrübt. Die einzige Gruppe, bei der der Index im Jahresvergleich nach oben gegangen ist, sind die Verbraucher. Ihre Stimmung ist von 86,2 auf 90,4 Punkte angestiegen.
Das sind Ergebnisse des Deutschen Energiewende-Index der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Für den Index wird vierteljährlich ein Panel aus 2.000 Akteuren und betroffenen Unternehmen der deutschen Wirtschaft befragt. Zu Vergleichszwecken werden auch Vertreter aus Politik und Verbänden befragt, deren Antworten fließen jedoch nicht in den Gesamtindex ein.
„Erhoffte Verbesserungen bisher ausgeblieben“
„Die Nachjustierungen der Großen Koalition an der Energiewende haben die Wirtschaft im vergangenen Jahr zuerst etwas zuversichtlicher werden lassen. Allerdings sind die erhofften Verbesserungen für viele ausgeblieben“, sagt Dr. Helmut Edelmann, Direktor Utilities bei EY. „Deswegen sinkt die Stimmung jetzt wieder. Vor allem die Verschiebung des Verordnungspaketes ‚Intelligente Netze‘, mit dem die Bundesregierung Eckdaten zur Flexibilisierung des Energieversorgungssystems festlegen will, sorgt für erneute Unsicherheit. Das ist für die Energiewende aber kontraproduktiv, weil die Unternehmen angesichts der unklaren Regelungen dringend nötige Investitionen zurückhalten.“ Das Verordnungssystem sollte ursprünglich in der zweiten Jahreshälfte 2014 veröffentlicht werden und wurde zwischenzeitlich auf April 2015 verschoben.
Nachdem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Januar einem Kapazitätsmarkt eine Absage erteilt hat, ist vor allem das Thema Marktdesign wieder in den Vordergrund gerückt. Drei von vier Befragten halten den Strommarkt, so wie er heute aufgebaut ist, für ungeeignet, um die Energiewende zum Erfolg zu führen, wie bereits die Umfrage im dritten Quartal 2014 gezeigt hat.
Richtungskampf: Kapazitätsmarkt oder Bezahlung nach tatsächlich produziertem Strom
Bei der Suche nach einer Alternative gehen die Meinungen jedoch deutlich auseinander, wie sich jetzt bei genauerem Hinsehen zeigt. Die Energiewirtschaft bevorzugt mehrheitlich die Einführung eines Kapazitätsmarktes (EVU 56,3 Prozent, Netzbetreiber 59,1 Prozent). Bei einem Kapazitätsmarkt erhalten Kraftwerks- und Netzbetreiber auch Geld für das Vorhalten von Leistung, selbst wenn die Infrastruktur im Augenblick nicht benötigt wird.
Gänzlich anders bewerten Hersteller und Zulieferer das Marktdesign. Sie bevorzugen eher einen sogenannten Energy-only-Markt, bei dem nur tatsächlich produzierter Strom auch bezahlt wird, beziehungsweise verhalten sich in der Fragestellung neutraler. 54 Prozent der Hersteller/Zulieferer sprechen sich für einen Energy-only-Markt aus, 19 Prozent verhalten sich in der Frage neutral. Bei den Investoren spricht sich die eine Hälfte für einen Energy-only-Markt aus, die andere verhält sich neutral. Keiner der Investoren hat ausdrücklich einen Kapazitätsmarkt befürwortet.
„Nach den jüngsten Äußerungen der Bundesregierung ist ein Kapazitätsmarkt äußerst unwahrscheinlich geworden. Politisch wird vor allem auf einen Energy-only-Markt gesetzt“, kommentiert Edelmann. „Energieversorger und Netzbetreiber stehen solchen Plänen skeptisch gegenüber, weil ihr traditionelles Geschäftsmodell dadurch gefährdet ist. Sie halten eine teure Infrastruktur vor, die auch Kosten verursacht, wenn sie nicht gebraucht wird. Viele Kraftwerke sind deswegen heute schon unprofitabel. Andererseits können durch einen Kapazitätsmarkt dringend erforderliche Innovationen in den Hintergrund geraten, weil der nötige Druck fehlt.“
Energiewirtschaft erwartet mehrheitlich Schaden für das eigene Geschäft durch Energiewende
Da verwundert es kaum, dass große Teile der Energiewirtschaft die Energiewende als schädlich für das eigene Geschäft betrachten. Sechs von zehn EVU und sogar sieben von zehn Netzbetreibern sehen einen negativen Einfluss der Energiewende auf ihre Kosten. Sie beklagen auch unmittelbaren negativen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte. Diese Aussage tätigen ebenfalls sechs von zehn EVU und sogar drei von vier Netzbetreibern. Jeweils über die Hälfte erwartet eine Verschlechterung der eigenen Wettbewerbsposition. Hersteller, Zulieferer und Investoren stehen der Energiewende in all diesen Punkten dagegen mehrheitlich neutral bis positiv gegenüber.
Die Notwendigkeit der Flexibilisierung können zwar alle Interessengruppen mehrheitlich unterschreiben. Die Zustimmungswerte sind bei EVU (159,3), Herstellern und Zulieferern (157,1) sowie Verbrauchern (163) ausgesprochen hoch. Allerdings sind vor allem die EVU sehr skeptisch im Hinblick auf die dazu notwendigen Technologien. So bewerten sie die Aussage, dass Stromspeicher in den nächsten zehn Jahren kostengünstig zur Verfügung stehen, um die Wirtschaftlichkeit der Energiewende zu gewährleisten, mit einem Wert von 95,7 Punkten eher negativ. Auch die Aussage, dass der Endkunde mehr Transparenz benötige wird mit 93,6 Punkten eher verneint.
Die bisher vorgenommenen Nachjustierungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz haben die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Energiewende im Vergleich zum Vorjahr zumindest leicht von 71,9 auf 73,7 Punkte verbessert. Im Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltaspekten bleibt die Umwelt nach Einschätzung der Befragten mit 112,4 Punkten weiterhin die dominierende Größe.
Die Große Koalition hat bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, die Ziele des energiepolitischen Dreiecks stärker ins Gleichgewicht zu bringen. „Das Gleichgewicht ist noch nicht hergestellt“, stellt Edelmann fest. „Die ersten Schritte sind zwar eingeleitet. So können energieintensive Unternehmen ihre Rabatte auf die Ökostromumlage behalten und dadurch hohe finanzielle Mehrbelastungen zumindest zum Teil abwenden. Damit erhalten Industrieunternehmen und Investoren ein Stück Planungssicherheit. Aber nach wie vor sind zahlreiche wichtige Fragen ungeklärt. Das betrifft vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen – und die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Energiewende.“