Extremwellen lassen sich jetzt besser berechnen
Wie baut man Offshore-Windenergieanlagen so, dass sie nicht nur der Dauerbelastung durch den normalen Seegang, sondern auch Extremwellen standhalten? Und wie hoch können diese werden? Ingenieurwissenschaftler der Universität Bremen haben jetzt die statistische Berechnung solcher Extremwellen wesentlich verbessert, so dass sich die Anlagen auf hoher See künftig besser auslegen lassen.
04.06.2020
Die Wende hin zu ressourcenschonenden Energieformen findet unter anderem auf hoher See statt. Der saubere Strom vom Meer gilt rund um den Erdball als ein wichtiger Baustein für die „Energie der Zukunft“. Gerade erst haben Politik und Netzbetreiber in Deutschland beschlossen, das Offshore-Ausbauziel weiter anzuheben und bis 2030 noch mehr „grüne“ Stromerzeugung vor den Küsten zu realisieren. Um die Windenergieanlagen der Zukunft noch sicherer und leistungsfähiger zu machen, ist eine möglichst gute Auslegung auf die zu erwartenden Belastungen eine wichtige Grundlage – schließlich sollen diese Windparks 20 oder 25 Jahre lang möglichst störungsfrei laufen, um eine maximale Ausbeute an „grünem Strom“ zu garantieren.
Aber wie widerstandsfähig müssen diese Anlagen eigentlich gebaut werden? Welche Belastungen haben sie zu erwarten? Den Blick in die Zukunft – also auf die Kräfte, die eines Tages auf die Gründung, den Turm und die Gondel einer Windenergieanlage wirken – werfen unter anderem Ingenieurwissenschaftler des Instituts für integrierte Produktentwicklung (BIK) der Universität Bremen. Doktorand Andreas Haselsteiner und Professor Klaus-Dieter Thoben haben jetzt eine bisher verwendete statistische Methode zur Voraussage von Extremwellen erheblich verbessert. Ihr Forschungserfolg wurde kürzlich in der Fachzeitschrift „Renewable Energy“ publiziert.
Jahrelang extremen Wetterbedingungen ausgesetzt
„Nichts ist unzerstörbar – auch Offshore-Windenergieanlagen nicht“, sagt Andreas Haselsteiner. „Weit draußen auf See sind sie über Jahre zum Teil extremen Wetterbedingungen ausgesetzt. Die Frage bei ihrer Planung und Konstruktion ist: Was müssen sie aushalten können?“ Je massiver eine Anlage gebaut wird, desto teurer ist sie. Auch diese Branche schaut daher nach Möglichkeiten zur Kosteneinsparung. Die Anlagen sind zudem nicht überall gleichen Anforderungen ausgesetzt: „Türme an der britischen Westküste müssen ganz andere Kräfte aushalten als Türme in geschützten Lagen der Ostsee“, weiß Haselsteiner.
Es sind vor allen Dingen die Extremwellen, die mit unbändigen Kräften die höchste Belastungsprobe für die Offshore-Windparks darstellen: Wellen, die vielleicht nur einmal im Jahr vorkommen, denen aber die Anlage standhalten muss. „Wir reden hier über signifikante Wellenhöhen, die auch schon mal zehn oder zwölf Meter erreichen können“, so der Bremer Ingenieur. Bislang gab es in der Fachszene eine Vorausberechnung, die anhand von Daten aus der Vergangenheit – aufgezeichnet zum Beispiel von speziellen Bojen – die Wellenhöhen für die Zukunft berechnete, insbesondere der Extremwellen. „In unserer Veröffentlichung haben wir jetzt nachgewiesen, dass diese Berechnungsart bei ‚normalen‘ Wellen gut funktioniert, jedoch hohe Wellenhöhen nicht gut abbildet. Die Extremwellen werden dabei unterschätzt.“
Neue Statistik-Methode auch für andere Anwendungen einsetzbar
Die Bremer Wissenschaftler analysierten die Wellendatensätze von sechs Standorten, die für Offshore-Windturbinen geeignet sind. Sie entwickelten eine andere Berechnungsart und passten die Modelle nach und nach so an, dass am Ende eine neue statistische Methode mit einer wesentlich besseren Abschätzung von Extremwellen stand. „Wenn man nun eine Offshore-Windenergieanlage entwirft, kann man sich diese neuen Erkenntnisse zunutze machen, um die Wellenlasten präziser zu berechnen“, sagt Andreas Haselsteiner. „Grundsätzlich eignet sich diese bessere Beschreibung der Verteilung der Wellenhöhe auch für viele andere Anwendungen, beispielsweise für die Auslegung von Schiffen, Öl- und Gasplattformen oder für den Küstenschutz.“
Das Institut für integrierte Produktentwicklung arbeitet nicht alleine an solchen Fragestellungen, sondern ist in größere Forschungsverbünde eingebunden. So ist das BIK unter anderem Mitglied im Zentrum für Windenergieforschung (ForWind), das gemeinsam von den Universitäten Bremen, Oldenburg und Hannover getragen wird. ForWind bündelt die Windenergieforschung im Nordwesten und verbindet 30 Institute und Arbeitsgruppen der beteiligten Universitäten. Damit bildet ForWind einen bundesweit einmaligen Forschungsverbund und deckt ein breites Spektrum wissenschaftlicher Themen ab. Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Physik und Meteorologie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften.
Die gesamten Forschungsergebnisse können Sie hier nachlesen.