Ausbau der Erneuerbaren nur soweit wirtschaftlich vertretbar?
Nicht erst seit der Veröffentlichung des lancierten „Energiepolitischen Appells" diskutieren Politiker aller Parteien, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler über den Energiemix der Zukunft. Zentrale Herausforderung ist es, die ökologischen und ökonomischen Notwendigkeiten in eine sinnvolle Balance zu bringen. Mit genau diesem Ziel skizziert die internationale Strategieberatung Booz & Company in einer aktuellen Analyse, wie Deutschland die ambitionierten Klimaziele der Europäischen Union in einem Zeitraum über 2030 hinaus erreichen und zugleich die Versorgungssicherheit erheblich steigern kann.
02.09.2010
Der Schlüssel für eine klimafreundliche Energiepolitik liegt in einer konsequenten Umstellung des Erzeugungsmixes. Deutliche Effekte für die Umwelt sind nur durch den sinnvollen Ausbau der Windkraft im Norden, die Modernisierung von Kohlekraftwerken und vor allem durch Weiterbetrieb und Ausbau der Kernenergie zu erwarten. Auf der Verbraucherseite fungiert der Wandel vom Verbrennungsmotor zu Elektromobilität als wesentlicher Hebel. Darüber hinaus liefert die Steigerung der Wärmeeffizienz bei gleichzeitiger Modernisierung der Wärmebereitstellung auf lange Sicht wichtige Impulse. Voraussetzung dafür sind der konsequente Netzausbau sowie ein intelligentes Stromnetz, das die steigende Komplexität bewältigen kann. „Die Bedeutung der Stromversorgung im Gesamtkontext der Energiewirtschaft wird weiter zunehmen", so Wintersteller. „Die Stromerzeugung muss nachhaltiger werden, der Stromanteil im Endverbrauch steigen, und Strom ist über leistungsfähigere Netze bereitzustellen. Das von der Bundesregierung für den Herbst angekündigte energiepolitische Konzept sollte diese Entwicklung einleiten bzw. weiter begleiten."
Erhebliche Co2-Reduktion durch moderne Kohlekraftwerke
Mit etwa einem Drittel aller Klimagas-Emissionen in Deutschland ist die Stromerzeugung ein bedeutender und - durch die erforderliche Erneuerung des Kraftwerkparks - auch relativ kurzfristiger Hebel. Viele Experten sehen in der Umstellung auf CO2-ärmere Gaskraftwerke eine sinnvolle Lösung. Diese birgt allerdings ebenfalls erhebliche energiepolitische Probleme: Durch den Ausbau von Gaskraftwerken verringert sich zwar der CO2-Ausstoß bedeutend, aber die Abhängigkeit von russischem Gas nimmt dafür weiter zu.
Die Modernisierung der Kohlekraftwerke ist dagegen wirtschaftlich sinnvoll und trägt erheblich zur CO2-Minderung bei; sie sollte also mit aller Konsequenz forciert werden. Skeptisch beurteilen die Energie-Experten von Booz & Company hingegen die Abtrennung und Speicherung von CO2. Nach den Berechnungen der Beratung würden sich die Kosten von Kohlestrom durch dieses „Carbon Capture & Sequestration" genannte Verfahren mindestens verdoppeln. Die Technologie sei zwar grundsätzlich realisierbar, aber noch weit von der Marktreife entfernt. Zudem sei das geologische Speicherpotenzial in Deutschland vergleichsweise begrenzt. „Eine Endlagerdiskussion ähnlich wie bei der Kernenergie wäre bei diesem Thema sehr wahrscheinlich und aufgrund des Flächenbedarfs für diese Technologie potenziell noch komplexer", konstatiert Wintersteller.
Intelligente Netze - mit verbesserter Steuerung und mehr
Speichermöglichkeiten
Die erwarteten erzeugungs- und nachfrageseitigen Veränderungen erfordern auch eine Aufrüstung der Stromübertragungsnetze. Benötigt werden mehr Kapazität, mehr Speicher und verbesserte Steuerbarkeit. Die zunehmende Dislokation von Stromerzeugung und -verbrauch durch den Ausbau von Windenergie in Nordeuropa und das Zusammenwachsen des europäischen Erzeugungsmarktes bedingen die Erweiterung der Stromübertragungskapazitäten. Die stark schwankende Stromeinspeisung der Windenergie sowie die relativ teuren Spitzenlastkraftwerke erfordern immer mehr Speicherkapazitäten. Dies gelingt heute nur mit Pumpspeicherkraftwerken, deren Ausbau in Deutschland begrenzt ist. Noch aber existieren keine Stromspeichermöglichkeiten zu vertretbaren Kosten. Nur die Batterien von Elektroautos bieten hier Chancen. Bei einer Marktdurchdringung von lediglich 10% entspricht die Kapazität der Batterien von Elektroautos der des gesamten deutschen Kraftwerkparks. Diese dezentralen Energiespeicher sollten im Hinblick für die Stromversorgung nutzbar gemacht werden können. Allerdings bleibt zu bedenken, dass hier noch immense Grundlagenarbeit zu leisten ist.
Die wohl entscheidende Veränderung im Bereich Übertragung betrifft jedoch „Smart Grid". Das seit Jahrzehnten technisch de facto unveränderte Verteilnetz muss sich grundsätzlich wandeln. Nur so kann es den rasant zunehmenden Anforderungen im Bereich Stromerzeugung und -verbrauch gerecht werden. Intelligente Stromzähler und Netze mit bi-direktionalem Strom- und Informationsfluss sind erforderlich, um Demand-Side-Management und Demand-Response-Konzepte zu realisieren und die Zufuhr von dezentralen Energiequellen, etwa von Autobatterien oder Kleinkraftwerken, zu ermöglichen.