Klimawandel fatal für Meere und Alle, die davon leben
Der aktuelle und projizierte Klimawandel verändert die Lebensbedingungen in den Ozeanen schneller als während vergleichbarer Ereignisse in den zurückliegenden 65 Millionen Jahren. Zu dieser Einschätzung kommt AWI-Biologe Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner. NGOs fordern deshalb die Bundesregierung und die EU auf, aus dem Weltklimabericht zügig die richtigen Schlüsse zu ziehen.
01.04.2014
Fast dreieinhalb Jahre lang haben er und ein internationales Autorenteam die gesamte Forschungsliteratur zum Thema gesichtet. Sie haben Datensätze, Methoden und Ergebnisse miteinander verglichen, die Aussagekraft der wissenschaftlichen Argumente und Prognosen überprüft und bewertet, Risiken definiert sowie Unsicherheiten und Wissenslücken herausgearbeitet.
„Infolge des Klimawandels wirken drei Faktoren, welche die Lebensbedingungen für Fische, Säugetiere, Algen und andere Meeresbewohner verändern. Der stärkste Treiber ist momentan die Meereserwärmung. Sie führt schon jetzt zu deutlichen Veränderungen. So beobachten wir zum Beispiel, dass Fischarten wie der Kabeljau ihren Lebensraum polwärts verlagern. Der zweite Faktor, die Ozeanversauerung, wird den Prognosen zufolge in den nächsten Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen und deutliche Auswirkungen auf globaler Ebene und in einzelnen Ökosystemen haben. An dritter Stelle folgt die zunehmende Sauerstoffarmut. Ihre Folgen spüren wir zum Beispiel in den Küstenregionen, wo die Zahl extrem sauerstoffarmer Zonen deutlich zugenommen hat.“, sagt Hans-Otto Pörtner. Der Experte vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), hat gemeinsam mit seinem US-amerikanischen Kollegen David Karl die Arbeiten zum Kapitel „Ozeanische Systeme“ geleitet.
Im 5. IPCC-Sachstandsbericht, der jetzt in Yokohama veröffentlicht wurde, werden die Wissenschaftler Zahlen und Fakten für diese Veränderungen nennen, Prognosen abgeben und aufzeigen, welche Risiken und Kosten der Wandel mit sich bringen wird. Zuvor aber geht es für die führenden IPCC-Autoren in der morgen beginnenden Abstimmungsrunde darum, die von ihnen geschriebene „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ gemeinsam mit Regierungsvertretern Zeile für Zeile abzustimmen. „Wir streben in der Diskussion einen Konsens zwischen Regierungen und Wissenschaft an“, so Hans-Otto Pörtner.
Nach IPCC-Bericht sind nun EU und Bundesregierung gefordert
Brot für die Welt und Germanwatch fordern die Bundesregierung und die EU auf, aus dem zweiten Teil des 5. Weltklimaberichts (IPCC-Bericht) zügig die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Bericht zeige klar auf, dass sowohl die Anpassung an die nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels als auch der Kampf gegen einen unkontrollierbaren Klimawandel noch nicht ausreichend aufgenommen wurde. In beiden Bereichen spielen die EU und die Bundesregierung entscheidende Rollen.
"Der neue IPCC-Bericht belegt, dass die ärmsten Menschen durch klimabedingte Risiken direkt betroffen sind und sie nichts haben, was sie dem entgegensetzen könnten", sagt Sabine Minninger, Klimareferentin bei Brot für die Welt. Unmittelbare Folgen seien vor allem die Zerstörung von Lebensgrundlagen sowie Ernteverluste. Indirekte Auswirkungen könnten steigende Lebensmittelpreise und die Gefährdung der Nahrungssicherheit sein. Minninger ergänzt: "Nach dem Bericht kann davon ausgegangen werden, dass sich künftig mehr Klimaflüchtlinge nach dem Verlust der Lebensgrundlagen durch langsame klimabedingte Änderungen oder plötzliche Katastrophen auf den Weg machen müssen. Beim Kampf um knapper werdende wichtige Lebensgrundlagen können sich Bürgerkriege entfachen. Der Klimawandel verschärft die Armut, und nur durch koordinierte Anpassung kann das Schlimmste abgewendet werden."
Ein internationaler Klimafonds soll den Entwicklungsländern zwar bei der Anpassung an den Klimawandel helfen, doch bisher kommen die zugesagten Milliarden nicht zusammen. Während die Langversion des IPCC-Berichts den Bedarf der Entwicklungsländer auf bis zu 109 Milliarden US-Dollar pro Jahr schätzt, kommen aus den Industrienationen keine konkreten Summen. "Die Bundesregierung verweigert selbst die schon zugesagte Unterstützung. Im Haushaltsentwurf ist kein Cent eingestellt, um den lange verhandelten internationalen Klimafonds mit Geld zu füllen, der Entwicklungsländer bei Klimaschutz und Anpassung unterstützen soll", kritisiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Sabine Minninger ergänzt: "Anders als im Koalitionsvertrag versprochen, ist bisher auch nicht vorgesehen, vom geplanten Aufwuchs der Entwicklungshilfe um zwei Milliarden Euro einen Teil für Klimaschutz und -anpassung bereitzustellen."
Der IPCC-Bericht zeigt zudem präziser als je zuvor auf, wie wichtig es ist, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. "Zwar gibt es auch schon bei weniger als zwei Grad Temperaturanstieg erhebliche Gefahren etwa für wichtige Ökosysteme wie Korallenriffe oder in Bezug auf extreme Wetterereignisse. Bei 3,5 bis 5,4 Grad aber steigt das Risiko flächendeckend auf ein hohes bis sehr hohes Niveau", erläutert Bals. "Sogar die Möglichkeit, in diesem Jahrhundert Kipp-Punkte zu überschreiten, die ganze Kontinente umgestalten oder irreversibel mehrere Meter Meeresspiegelanstieg in den kommenden Jahrhunderten anstoßen, ist dann hoch." Dem könne jedoch begegnet werden, wenn jetzt entschieden der Abschied von fossilen Energien durchgesetzt wird. Die EU müsse hier mit ambitionierten und verbindlichen Klimazielen für die Zeit nach 2020 vorangehen. "Die Zeit drängt", betont Bals. "Denn im September sollen die Staaten beim Gipfel bei UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konkrete Zusagen auf den Tisch legen. Die EU muss daher vorher klare Beschlüsse fassen."
Nicht zuletzt weist der Weltklimarat darauf hin, dass wichtige Risiken bisher nicht ausreichend untersucht sind. Dabei geht es auch um Risikokategorien, die für Deutschland, das stark vom Ex- und Import lebt, zentral sind: Die Konsequenzen von Klimarisiken in Teilen der Welt für die globalen Handelsströme sind noch kaum erfasst. Christoph Bals: "Was passiert etwa, wenn wichtige Zulieferer in einer globalen Wirtschaft nicht mehr liefern können oder die Preise stark schwanken?"