Klimawandel

Töpfer: "Gute Klimapolitik wird zur Friedenspolitik"

Die Schließung der Balkan-Route, die Weigerung osteuropäischer EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen sowie die katastrophalen Zustände in den Sammelzentren in Griechenland oder auch in der Wüstenhitze Jordaniens, spitzen die internationale Krise zu. In einem exklusiven Interview sprach Klaus Töpfer, langjähriger deutscher Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie ehemaliger Chef des Umweltprogramms der UN, über die Flüchtlingskrise, Grenzen Europas, Menschenrechte und die Folgen des Klimawandels.

29.03.2016

Herr Töpfer, am 12. Mai sind Sie Keynote Speaker bei den Europäischen Toleranzgespräche in Fresach und referieren dort über Globalisierung und Demografie. Wird Europa zum Kontinent der Einwanderer?

Klaus Töpfer: Es gibt weltweit ein massives Gefälle der Lebenschancen und Perspektiven. Europa ist Afrikas Nachbar. Der Westen ist für viele kriegerische Auseinandersetzungen dort wie auch im Mittleren Osten teilweise mitverantwortlich. Das hat eine ganze Region destabilisiert. Wenn die Ursachen nicht beseitigt werden, wie man vor allem in Afrika und seiner Anfälligkeit gegenüber dem Klimawandel sieht, dann werden die Flüchtlingsströme unweigerlich zunehmen. Es wird dann extrem schwer werden, die Wohlstandsinsel Europa langfristig zu sichern.

Sechs Millarden Euro, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und beschleunigte EU-Beitrittsverhandlungen fordert die Türkei von ihren europäischen Partnern als Gegenleistung zur Lösung der Flüchtlingskrise. Aus Ihrer Sicht ein zu hoher Preis?

Töpfer: Was mit der Türkei erörtert wird, hat einzig und allein zum Ziel, die Belastung durch Flüchtlinge zu reduzieren, die in besonderer Weise Folgen der blutigen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten, Syrien und des Wirkens des IS sind. Es führt kein Weg daran vorbei, mit der Türkei zu reden. Das ist im Sinne einer schnellen Reduzierung der Flüchtlingszahlen sinnvoll und notwendig. Denn die EU-Außengrenze lässt sich nicht durch Mauern schützen. Langfristig werden wir uns jedoch noch viel stärker mit anderen Ursachen beschäftigen müssen.

Doch längst nicht nur Krieg ist ein Auslöser. Die Internationale Organisation für Migration geht bis 2050 von 200 Millionen Klimaflüchtlingen aus. Welche Strategien von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind nötig, um langfristig effektiv gegenzusteuern?

Töpfer: Viele Länder Afrikas, die wir als gescheiterte Staaten ansehen, sind hiervon besonders betroffen - sei es Somalia, der Kongo oder Libyen. Eine Stabilisierung - insbesondere durch nachhaltige Klimapolitik - ist dringend erforderlich. Nur so kann es zum Abklingen der Auseinandersetzungen in diesen Krisenregionen kommen. Dann wird auch die Rolle der Türkei wieder eine andere sein. Der Klimawandel wird die Situation in Afrika weiter verschärfen. Die Zahlen der UN stellen lediglich einen Status quo dar, der eintritt, wenn nichts passiert.

Klaus Töpfer: "Fluchtursachen bekämpfen"
Klaus Töpfer: "Fluchtursachen bekämpfen"

Also weg von der bisherigen Mildtätigkeit in der internationalen Politik hin zu echter Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen Staaten des afrikanischen Kontinents?

Töpfer: Definitiv. Klimapolitik muss man tatsächlich umsetzen, anstatt nur wieder eine Unterschrift unter ein Papier zu setzen. Auch wenn wir uns über den historischen Tiefstand bei den Öl- und Gaspreisen freuen: Die dadurch verursachten indirekten Kosten werden viel höher ausfallen. Durchdachte nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika bedeutet langfristig eine Investition in die Sicherheit unseres Kontinents. Nur wenn wir den Menschen in den von Armut und Krieg betroffenen Regionen das Signal geben können, dass sie eine Zukunft und Perspektiven in ihrem eigenen Land haben, werden wir die Krise meistern.

Fukushima jährt sich zum fünften Mal. Als Folge hatte die deutsche Regierung im August 2011 die Laufzeitverlängerung für die Meiler zurückgenommen. 2022 erfolgt die letzte Abschaltung eines deutschen AKW. Rückblickend eine richtige Entscheidung?

Töpfer: Der Beschluss der Regierung, die Atomkraftwerke in Deutschland sukzessive von den Netzen zu nehmen, war richtig und zukunftsorientiert. Der Weg in die erneuerbaren Energien ist ökonomisch höchst sinnvoll und damit längst mehr als eine Option. Es ist eine hochrentierliche Investition in eine stabile wirtschaftliche Zukunft - in Deutschland und weltweit. Wir müssen erneuerbare Energien daher weiter fördern, damit sie kostenmäßig auch denen gerecht werden, die Entwicklung dringend brauchen. Wenn wir das auf dem heimischen wie auch auf den internationalen Energiemärkten gut umsetzen, dann ist das künftig so etwas wie eine neue Friedenspolitik.

Deutschland bezieht bereits zu gut einem Drittel seine Energie aus den Erneuerbaren. Die Errichtung von Stromtrassen ist teuer und oft schwierig umsetzbar. Zudem bleiben Kohlekraftwerke mittelfristig relevant. Ist das Land auf einem guten Weg?

Töpfer: In Deutschland kommen pro Jahr noch immer fast zehn Tonnen CO2 auf einen Kopf. Das ist zu hoch. Hierbei spielen die Braunkohlekraftwerke eine Rolle. Wir brauchen einen sozial abgesicherten, regional balancierten Ausstieg aus der Braunkohle. Das reicht jedoch nicht. Wenn wir bis Mitte dieses Jahrhunderts ohne CO2 auskommen wollen, dann müssen wir ambitioniert unsere Hausaufgaben machen. Wer sich hier zurücklehnt und auf die 30 Prozent der erneuerbaren Energien verweist, hat sich die Gesamtbilanz nicht angesehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle: UD/pte
 

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