Erste Klimaklage gegen die Bundesrepublik Deutschland?
Ausgerechnet Deutschland in seiner zentralen Rolle für ein stabiles Europa lässt Klimaziele für 2020 aufgrund von Unerreichbarkeit fallen. Und riskiert damit Kopf und Kragen künftiger Generationen. Eine Einladung, die in Holland erfolgreich durchgesetzte Klimaklage zur Forderung von wissenschaftsbasierten Klimazielen zu replizieren.
17.01.2018
Von Marcela Scarpellini
Klimarecht ist ein neues Rechtsgebiet, bei dem es um die rechtliche Anwendung geltender Rechtsätze auf den Klimawandel und seine Folgen geht (Germanwatch). Es wird unterschieden zwischen der Verantwortung von Unternehmen (insbesondere des Energiesektors; Privatrecht), die durch THG-Emissionen den Klimawandel verursachen, und der Verantwortung von Staaten (insbesondere Schutzpflichten; Völkerrecht), die auf ihrem Gebiet THG-Emissionen zulassen und diese nicht im Rahmen technischer und zumutbarer Möglichkeiten begrenzen. Neben einer globalen „Litigation“ Bewegung, deren prominentestes Beispiel – Saúl vs. RWE (OLG Hamm I-5 U 15/17) – jüngst mit dem Beschluss der Beweisaufnahme einen „historischen Etappensieg“ erreichte, stehen noch immer staatliche Handlungspflichten im Fokus gerichtlicher Verfahren. Ein solches könnte nun erstmals auf Deutschland zukommen.
Im Jahr 2013 hat die Nichtregierungsorganisation Urgenda vor dem Bezirksgericht Den Haag Klage gegen die Niederlande erhoben. Im Zentrum der Klage von Urgenda steht der Antrag, die Niederlande zu verurteilen, bis 2020 mindestens 25 Prozent CO2-Reduktionen gegenüber 1990 zu erreichen. In dem genannten Umfang bestehe eine – der Disposition von Gesetzgeber und Regierung entzogene – Rechtspflicht zur CO2-Reduktion.
Eine anteilige Übertragung der globalen Reduktionserfordernisse, die der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, „IPCC“) formuliert, um die potenziert negativen Effekte einer Erderwärmung über zwei Grad hinaus zu verhindern, führt zu einem Reduktionserfordernis in den Niederlanden von 25 bis 40 Prozent. Mit Urteil vom 23. Juni 2015 hat das niederländische Gericht entschieden, dass der von den Niederlanden verfolgte CO2-Reduktionspfad, der auf eine Verringerung der CO2-Emissionen bis 2020 um maximal 17 Prozent gegenüber 1990 ausgerichtet ist, rechtlich unzureichend ist und die Regierung der Niederlande verpflichtet, in demselben Zeitraum eine Reduktion von mindestens 25 Prozent zu erreichen. Dies entspricht dem Minimalziel, welches vom IPCC empfohlen wird. In der Sache, so urteilte das Bezirksgericht, habe der niederländische Staat seine ihm der Gesellschaft gegenüber obliegende Fürsorgepflicht („zorgplicht“, „duty of care“) verletzt. In der unzureichenden Abmilderung des Klimawandels liege ein Fall der „gefährlichen Sorgfaltspflichtsverletzung“ („leerstuk van gevaarzetting“; „doctrine of hazardous negligence“). Die niederländische Regierung hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Nach niederländischem Recht bindet das Urteil die niederländische Regierung dennoch bis zur Verkündung des neuen Urteils.
Menschenrechtskonvention als Grundlage
Hätte eine vergleichbare Klage in Deutschland Aussicht auf Erfolg? Schwierig: Eine anteilige Übertragung der globalen Reduktionserfordernisse des IPCC zum Erreichen des zwei Grad-Ziels führt zu einem Reduktionserfordernis in Deutschland von mindestens 25 Prozent bis 2020 und die Bundesregierung beabsichtigte, bis 2020 im Vergleich zu 1990 die Treibhausgase um mindestens 40 Prozent zu senken. Zudem ist – im Gegensatz zum niederländischen Recht – unter dem deutschen Grundgesetz eine Verurteilung des Bundes- oder Landesgesetzgebers auf positive Gesetzgebung nicht möglich. Neben der Fürsorgepflicht beruft sich Urgenda unter anderem aber auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention („EMRK“), namentlich auf Rechte auf Leben und Privatheit gem. Artikel zwei EMRK und Artikel acht EMRK. In dieser am vierten November 1950 unterzeichneten Konvention verpflichten sich die europäischen Staaten, die Menschenrechte und Grundfreiheiten im eigenen Hoheitsgebiet und untereinander anzuerkennen.
Mit der EMRK wurde ein völkerrechtlich verbindlicher Grundrechteschutz geschaffen, der von jedermann einklagbar ist. Auf die EMRK wird sich voraussichtlich auch eine Gruppe portugiesischer Kinder mit Hilfe eines Teams aus Anwälten und Experten, das durch das Global Legal Action Network („GLAN“) zusammengestellt wurde, in dem Fall „Children -v- Governments of Europe & Climate Change“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte („EGMR“) in Straßburg berufen. Statt nur gegen Portugal, wo im Sommer 2017 zahlreiche Menschen durch Waldbrände ums Leben gekommen sind, vorzugehen, wird Klage gegen alle großen Emittenten unter den 47 unterzeichnenden Länder der EMRK eingereicht – darunter Deutschland. Beantragt wird, dass die Unterzeichnerstaaten ihre Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen erheblich verstärken müssen und dass sie sich verpflichten müssen, den Großteil ihrer bestehenden Reserven an fossilen Brennstoffen im Boden zu belassen. Ob die alleinige Berufung auf die EMRK bei Ausbleiben der Berufungsmöglichkeit im Urgenda Fall auf zu wenig ambitionierte Emissionsziele Aussicht auf Erfolg hat, wird sich zeigen, sobald GLAN ausreichend Gelder gesammelt hat, um die Klage voran zu treiben.
Marcela Scarpellini (Jahrgang 85) hat Jura an der Universidad Católica Andrés Bello in Caracas (Venezuela) studiert und sich mit einem LL.M. an der Universität Stockholm (Schweden) im Bereich Umweltrecht spezialisiert. Marcela ist bei right. für die Analyse der klimarechtlichen Risiken aus der 2 °C-Kompatibilität sowie der Schutzwirkung von Klimametriken im rechtlichen Risikomanagement verantwortlich. Das multidisziplinäre, internationale und breit vernetzte Team von right. versteht sich ein junger innovativer Dienstleister, der Klimamanagement anbietet und unterstützt Firmen, Herausforderungen aus dem Pariser Klimavertrag und den nationalen Klimaplänen individuell handhabbar zu machen.