Klimawandel

Quo vadis deutsche Landwirtschaft?

Prof. Dr. Frank A. Ewert leitet seit 2016 das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. im Brandenburgischen Müncheberg. Er ist außerdem Professor für Pflanzenbau an der Universität Bonn. Im Interview beantwortet er Fragen zur aktuellen Situation der Landwirtschaft und fordert einen verstärkten gesamtgesellschaftlichen Dialog über die Frage, wie eine nachhaltige und klimarobuste Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll.

14.08.2019

Prof. Frank A. Ewert, Wissenschaftlicher Direktor des ZALF
Prof. Frank A. Ewert, Wissenschaftlicher Direktor des ZALF

Herr Prof. Ewert, wir sehen auf den Feldern zunehmend Probleme: Extremwetterereignisse wie Hitze, Dürre, Hagel und Überschwemmungen, stark schwankende Erträge, Überschreitung von Nitratgrenzwerten und einiges mehr. Aktuell fordert der Weltklimarat in seinem Sonderbericht „Klimawandel und Landsysteme“ schnelle Veränderungen. Wie steht es um die Landwirtschaft in Deutschland und wie schnell sind diese Veränderungen möglich?

Prof. Dr. Frank A. Ewert: Die Herausforderungen, denen sich Landwirtinnen und Landwirte heute gegenübergestellt sehen, sind äußerst komplex und vielfältig. Der gesellschaftliche Handlungsdruck wird immer stärker. Dabei ist die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten nicht untätig gewesen. Strengeren nationalen und europäischen Vorgaben galt es ebenso zu entsprechen wie den globalen Marktschwankungen. So intensiv wie heute war der Druck aber schon lange nicht mehr. Die Gesellschaft möchte Lebensmittel zu günstigen Preisen. Gleichzeitig soll ihr ökologischer Fußabdruck, gemeint sind negative Umwelt- und Klimawirkungen, etwa durch geringeren Verbrauch an Dünger- und Pflanzenschutzmitteln sowie geringere Treibhausgasemissionen reduziert werden. Wir wollen zudem wichtige Leistungen erhalten und ausbauen, die unsere Agrarlandschaften für die Gesellschaft bereitstellen: Hierzu gehören etwa die Bestäubungsleistung von Insekten, saubere Luft und sauberes Wasser, touristische Attraktivität, Erholungseffekte et cetera: Ökosystemleistungen und Biodiversität sind hier die Sammelbegriffe. Ohne die richtigen politischen und zivilgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, ohne eine neue Form der Honorierung solcher gesellschaftlich wünschenswerter Leistungen können die Betriebe diese Herausforderungen aber nicht bewältigen. Wir werden nicht alle Ziele sofort erreichen können, wir müssen uns in einer gesellschaftlichen Diskussion darauf einigen, was wir in welcher Abfolge und wie umsetzen wollen, und auf was wir gegebenenfalls zu verzichten bereit sind. Die Diskussion um weniger Fleischanteil in der Ernährung oder auch die Reduzierung von Nahrungsmittelabfällen und -verlusten, wie auch im aktuellen IPCC-Sonderbericht „Klimawandel und Landsysteme“ gefordert, sind hier gute Beispiele.

Zentral ist daher, dass wir als Forschung gemeinsam mit der Politik und Interessenverbänden an einer gemeinsamen Strategie arbeiten und eine sachliche Debatte führen, die auch die Verbraucherinnen und Verbraucher einschließt.

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Mit welcher Strategie können wir die Schwierigkeiten lösen?

Prof. Ewert: Die Politik ist bereits sehr aktiv: Es gibt Einzelstrategien, aber es fehlt ein übergeordnetes strategisches Dach, das die Einzelaspekte integriert, Lösungen für Zielkonflikte aufzeigt und Synergien schafft. Ich spreche von einer gesamtgesellschaftlich geteilten Vorstellung davon, wohin wir mit der Landwirtschaft in Deutschland gehen wollen, was sie leisten kann und soll und was nicht. Lassen Sie mich einige Beispiele geben: Es werden verschiedene Strategien und Maßnahmen erarbeitet, wie zum Beispiel eine Ackerbaustrategie, eine Grünlandstrategie, das Klimakabinett der Bundesregierung arbeitet an Gesetzesvorlagen und einem Maßnahmenplan, es gibt Bestrebungen für eine Agenda zur Anpassung der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei- und Aquakultur an den Klimawandel, wir haben eine Bioökonomiestrategie, die gerade überarbeitet wird, es gibt konzeptionelle Überlegungen zur räumlichen Entflechtung, es gibt eine Positionierung zur sogenannten „Grünen Architektur“ im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und es gibt eine Waldstrategie, die in Vorbereitung ist. Meine Frage an dieser Stelle ist, ob sich diese sehr sinnvollen Ansätze integrieren lassen und wie wir dabei noch einen Schritt weiter, bis hinein in den Ernährungsbereich gehen können. Denn die Hauptaufgabe der Landwirtschaft ist denke ich weiterhin klar: Sie muss eine wachsende Weltbevölkerung ernähren und ist kein Selbstzweck.

Wie könnte das konkret aussehen? 

Prof. Ewert: Mit der EAT-Lancet-Kommission hat ein internationales Gremium von 30 weltweit in ihren Bereichen führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zusammenhang zwischen Agrarproduktions- und Ernährungssystem deutlich gemacht. Es wurde gezeigt, wie die Kostform in Zukunft aussehen sollte, um überhaupt nachhaltig produzieren zu können. Der aktuelle IPCC-Sonderbericht „Klimawandel und Landsysteme“ unterstützt diese Empfehlungen und beschreibt, dass es Klimaschutz in der Landwirtschaft ohne Veränderung in den Ernährungsgewohnheiten nicht geben kann. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt auf der Hand: Landwirtschaft kann man nicht nur von der Produktion her denken, die Verbraucherseite ist eine wichtige Seite der gleichen Medaille und diese Verbindung muss sich auch in einer übergeordneten Strategie niederschlagen.

Einzelstrategien sind also nutzlos?

Prof. Ewert: Nein, Einzelstrategien sind wertvoll, wenn sie konkretes Fachwissen in Teilbereichen bündeln. Letztendlich müssen diese Forderungen aber auch konkret umgesetzt werden können. Bei einem hochkomplexen Thema wie der Landwirtschaft braucht es hierzu ein strategisches Dach, unter dem diese Einzelstrategien zusammenlaufen, um Zielkonflikte aufzulösen und Synergien zu ermöglichen. Außerdem: Landwirtschaft macht nicht an Landesgrenzen halt. Zweifellos ist eine nationale Ackerbaustrategie wichtig. Den angemessenen Rückhalt gewinnt sie aber erst dann, wenn sie die europäische und überhaupt die internationale Perspektive aktiv mitdenkt. Das Klimakabinett der Bundesregierung, aber auch die Europäische Union müssen in der Weiterentwicklung einer gemeinsamen Agrarpolitik jetzt reagieren und stärker auf effektiven Klimaschutz und -anpassung in der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Gewährleistung von Natur-, Tier- und Umweltschutz sowie Ernährungssicherheit abzielen.

Können sie uns Beispiele dafür nennen, wie die nationale und die internationale Perspektive konkret zusammengehen?

Prof. Ewert: Ein sehr greifbares Beispiel sind deutsche Produkte aus der Tierhaltung, etwa Milch und Fleisch. Diese produzieren wir hier vor Ort mit großem Ressourceneinsatz, zum Teil mit importierten Futtermitteln und dadurch auch mit einer hohen Umweltwirkung. Denken Sie nur an die laufende Diskussion um Nitratwerte. Die sind am Ende auch nur Folge einer intensiven, regional konzentrierten Tierhaltung. Deren Erzeugnisse exportieren wir zu großen Teilen auch nach China – und das ist ein gutes Geschäft. Dadurch geht es bestimmten ländlichen Regionen in Deutschland sehr gut, was ja zu begrüßen ist. In diesen Regionen haben wir aber als Folge der intensiven Tierhaltung hohe Stickstoffüberhänge und Nitratbelastungen. Und damit ist die Frage der intensiven Tierhaltung mit hoher Umweltwirkung und internationaler Verschiffung auch eine Frage regionaler ländlicher Entwicklung. Wir sprechen also bei dem komplexen Thema Landwirtschaft immer über Zielkonflikte. Solche Zielkonflikte im regionalen, nationalen, europäischen, wie auch internationalen Kontext zu identifizieren, das wäre ein zentrales Ziel einer Agrarstrategie.

Eine trockene Weizenähre in einem Kornfeld

Welche Rolle spielen dabei die Landwirtinnen und Landwirte?

Prof. Ewert: Die Betriebe sehen sich heute einem ganzen Katalog an Anforderungen gegenüber, den sie unmöglich allein bedienen können. Um ein paar Beispiele zu nennen: Wir haben es seit drei Jahren mit einem zu feuchten und – darauf folgend – zwei zu trockenen Sommern mit extremen Wettersituationen zu tun, die die Böden zunehmend auszehren und in einigen Regionen zu erheblichen Ernte- und Einkommensverlusten führen. Der gesellschaftliche Anspruch nach mehr Natur-, Tier- und Umweltschutz, nach mehr Biodiversität und einigem mehr ist da noch gar nicht dabei. Ohne weitere Hilfestellung aus der Politik und ohne ein Umdenken in der Gesellschaft werden diese Ansprüche zu einer strukturellen Überforderung der Landwirtinnen und Landwirte führen – immer mehr werden das Handtuch werfen. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft ist hierbei ein sehr wichtiger Faktor.

Also sind auch die Verbraucherinnen und Verbraucher angesprochen?

Prof. Ewert: Unbedingt! Wenn wir auf die zu trockenen Böden schauen, dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir andere Fruchtarten anbauen, neue Wertschöpfungsketten entwickeln und neue Märkte und auch neue Geschäftsmodelle für die Landwirtschaft erschließen – Hirse und Hülsenfrüchte sind hier gute Beispiele. Dafür muss dann aber auch ein Markt, das heißt, eine Nachfrage bei den Konsumentinnen und Konsumenten vorhanden sein. Nicht zu vergessen, dass die Wirtschaft die entsprechenden Verarbeitungsketten aufbauen muss, um die Erträge vom Feld auf den Tisch der Verbraucher zu bringen. Warum sollten Landwirtinnen und Landwirte mit ihrem umfassenden Wissen in neuen Geschäftsmodellen zukünftig nicht auch intensiver dafür honoriert werden, dass sie von der Gesellschaft gewünschte Ökosystemleistungen bereitstellen und Biodiversität sichern? Wichtig ist auch, dass wir nicht mit dem Finger auf „die“ Landwirtschaft zeigen, sondern Zukunft gemeinsam und im sachlichen Dialog gestalten. 

Die Einführung und besonders die Umsetzung dieser neuen Agrarsysteme und Geschäftsmodelle werden nicht einfach. Hierzu zählt auch die Veränderung und Neugestaltung ganzer Agrarlandschaften. Eine Agrarstrategie muss daher auch diese Transformationsprozesse, den konkreten Weg hin zu einer Landwirtschaft der Zukunft, in realistischen Einzeletappen beschreiben. Die Digitalisierung und neue, sich entwickelnde Technologien wie Robotik, Sensorik und Big Data sind wichtige Bausteine dieses Transformationsprozesses und der künftigen Agrarsysteme. 

Sie sehen also, Landwirtschaft ist ein hochkomplexer Vorgang. Nun gehört Ernährung aber zu den essentiellen Bedarfen einer Gesellschaft. Da müssen wir also gemeinsam ran. Eine übergreifende Agrarstrategie, die eine sozial verträgliche Bereitstellung von gesunden Nahrungsmitteln mit dem Klima-, Tier-, Natur- und Umweltschutz verbindet, ist dazu ein drängender Schritt. In dieser Strategie müssen wir konkrete Ziele festlegen, Digitalisierung und neue Technologien integrieren und konkrete, praxistaugliche Transformationspfade für die Landwirtschaft der Zukunft entwickeln.

Quelle: UD/pm
 

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