Klimawandel

IPCC-Bericht: Wachsende Ungleichheit ist ein Schlüsselfaktor der Klimakrise

Mit Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen werden weltweit die gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels für den Menschen immer deutlicher sichtbar. Der Sonderbericht „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit" des Weltklimarates (IPCC), der Ende Feburar veröffentlicht wurde, macht unmissverständlich deutlich, dass ein weiterer ungebremster Temperaturanstieg in eine beispiellose humanitäre Katastrophe führen würde.

15.03.2022

IPCC-Bericht: Wachsende Ungleichheit ist ein Schlüsselfaktor der Klimakrise
Überflutung im Sudan

„Eine höhere Oberflächentemperatur sowie die Zunahme von extremen Wetterereignissen schwächen die Funktionsweise und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen. Bereits heute ist die Aussterberate um ein Vielfaches höher, als ohne den Einfluss des Menschen zu erwarten wäre. Da wir von den Ökosystemen abhängig sind, bedroht deren weiterer Kollaps letztlich auch unsere eigenen Lebensgrundlagen. Das betrifft auch so elementare Dinge wie die Verfügbarkeit von Nahrung und Trinkwasser“, sagt Professorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung, dem Campus Alpin des KIT in Garmisch-Partenkirchen, und eine der Autorinnen des aktuellen IPCC-Berichts.

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Um diesen Zusammenhang möglichst umfassend und detailliert zu dokumentieren, berücksichtigt der IPCC in dem Bericht nicht nur die Auswirkungen für Ökosysteme auf globaler und regionaler Ebene, sondern auch Konsequenzen, die sich hieraus für Mensch und Gesellschaft, Kulturen, Siedlungen sowie Infrastrukturen ergeben. Dabei werde unter anderem deutlich, dass die Folgen des Klimawandels ungleich verteilt seien, betont Arneth: „Besonders verwundbar sind Afrika, Asien, Zentral- sowie Südamerika, aber auch kleine Inselstaaten. In diesen Regionen sind bereits heute Millionen Menschen akut vom Meeresspiegelanstieg oder einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser bedroht.

Aber nicht nur der Wissensstand zu Folgen und zur Verwundbarkeit wird im neuen Sachstandsbericht zusammengefasst und bewertet. Der IPCC benenne auch klare Handlungsoptionen, so Arneth: „Wir können uns selbst dabei helfen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Durch die Renaturierung geschädigter Ökosysteme und durch einen wirksamen Schutz von Land-, Süßwasser- und Meereslebensräumen kann die Menschheit nicht nur lebensnotwendige Biodiversität erhalten, sondern auch von der Fähigkeit der Natur profitieren, Kohlenstoff zu absorbieren und zu speichern. Wenn wir diese Chance nutzen, kann die Natur uns auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen.“

Mangelnde Unterstützung für am stärksten vom Klimawandel betroffene Länder

Jan Kowalzig, Referent für Klimawandel der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam, kommentiert:

„Wachsende Ungleichheit ist ein Schlüsselfaktor in der Klimakrise. In den knapp 100 Tagen seit der letzten UN-Weltklimakonferenz COP26, hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung deutlich mehr Treibhausgase verursacht als die gesamte Bevölkerung Afrikas in einem ganzen Jahr. Vor allem die Superreichen verheizen mit ihrem krassen Konsum, ihren Luxusyachten und Privatjets die Chancen künftiger Generationen auf eine bewohnbare Erde."

„Der Bericht unterstreicht außerdem die dringende Notwendigkeit von mehr Unterstützung für die ärmsten und am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. Solche Unterstützung braucht es etwa für Frühwarnsysteme vor Stürmen und Überschwemmungen, Anpassungen in der Landwirtschaft zur Sicherung der Ernten oder besseren Zugang zu sauberem Wasser. Das Pariser Abkommen verpflichtet die Industrieländer zu diesen Klima-Hilfen, aber bisher kommen für die Anpassung an den Klimawandel jährlich nur knapp 20 Milliarden US-Dollar zusammen. Zwar haben sich auf der jüngsten Weltklimakonferenz in Glasgow die Industrieländer verpflichtet, diese Mittel bis 2025 auf jährlich 40 Milliarden US-Dollar zu steigern. Aber: Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen werden die jährlichen Kosten der Anpassung bis zum Jahr 2030 auf bis zu 300 Milliarden US-Dollar anwachsen. Die Bundesregierung sollte den Bericht zum Anlass nehmen, ihre geltenden Zusagen zur Unterstützung einkommensschwacher Länder deutlich anzuheben."

„Die andere zentrale Botschaft dieses Berichts: Wie katastrophal sich die Klimakrise entfaltet, hängt davon ab, wie schnell es der Welt gelingt, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase auf null zu fahren. Jedes Zehntelgrad zusätzlicher Erhitzung beeinträchtigt die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen weiter und führt zu mehr unvermeidlichen Schäden und Zerstörungen. Die Weltklimakonferenz in Glasgow hatte beschlossen, dass alle Länder ihre unzulänglichen Klimaschutzziele bis Ende des 2022 nachbessern sollen. Davon ist noch nichts zu spüren. Auch Deutschland und die EU haben bisher nicht erkennen lassen, dass sie die Beschlüsse von Glasgow umsetzen werden."

„Klimafolgen hängen von Verwundbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Gesellschaften ab“

Prof. Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Er war Teil der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats und einer der drei koordinierenden Leitautoren des achten Kapitels, das sich mit Fragen der Armut, der unterschiedlichen Verwundbarkeit, klimasensitiven Strategien der Lebenssicherung und dem Thema nachhaltige Entwicklung befasst. In diesem Rahmen konnten er und sein Team ihre Forschung zu globalen und lokalen Mustern der Verwundbarkeit an zentraler Stelle einfließen lassen. So hatten die Forschenden auf der Basis zahlreicher globaler Studien festgestellt, dass die massiven Unterschiede in den Auswirkungen von Extremereignissen nicht allein mit deren Intensitäten oder Häufigkeiten zu erklären sind. „Sie spiegeln vielmehr den Umstand, dass die Wirkungen des Klimawandels auf unterschiedlich verwundbare Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen Anpassungskapazitäten treffen“, erklärt Birkmann. „Bereits bestehende Destabilisierungs-prozesse wie etwa Armut, militärische Konflikte oder soziale Ungleichheiten entscheiden mit darüber, ob ein Extremereignis zu extremen negativen Auswirkungen führt.“

„Nationale Programme reichen nicht“

Die Forschungen des Teams von Prof. Birkmann zeigen zudem, dass weltweit 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen in vulnerablen Kontexten leben. Zahlreiche Länder und so genannte „globale Hotspots der Verwundbarkeit“ sind dabei durch überlappende Entwicklungsprobleme gekennzeichnet. „Neben Aspekten der Armut können zum Beispiel ein hoher Anteil an älteren Menschen oder ein fragiles Staatswesen dazu führen, dass Risikovorsorge und Anpassungskapazität geschwächt sind“, so Birkmann. Dabei handele es sich bei den besonders verwundbaren Räumen und Regionen meist nicht um einzelne Staaten, sondern um Ländergruppen. „Darum müssen zukünftig mehr Anreize für die Kooperation zwischen Ländern entwickelt werden“, fordert Birkmann. „Nationale Programme allein reichen hier nicht aus.“

Der Bericht macht auch deutlich, dass Strategien zur Risikominderung und Anpassung die Rahmenbedingungen der Länder und die dort lebenden Gemeinschaften in den Blick nehmen müssen. So seien zum Beispiel neben finanziellen Hilfen und Frühwarnsystemen auch institutionelle Kapazitäten zu stärken und strukturelle Entwicklungsprobleme anzugehen. Da viele globale Hotspots der Verwundbarkeit in Entwicklungsländern liegen, kommt zudem der Frage der Klimagerechtigkeit in Zukunft ein höheres Gewicht zu. „Die meisten der besonders verwundbaren Länder haben nur einen geringen Beitrag der globalen Klimaemissionen verursacht und verzeichnen dennoch überdurchschnittliche Verluste“, so Birkmann.

Aktuell auch für Deutschland

Doch nicht nur Entwicklungsländer bekommen die Auswirkungen von Extremereignissen zu spüren. „Die Hochwasser an der Ahr und in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Sommer mit mehr als 180 Todesopfern zeigen, dass die Themen Verwundbarkeit, Risikominderung und Klimaanpassung auch für Deutschland hoch aktuell sind.“ So wird in den Opferstatistiken in Rheinland-Pfalz ersichtlich, dass die Flut besonders verwundbare Personen wie ältere Menschen und Menschen mit Behinderung überproportional getroffen hat. „Der derzeit laufende Wiederaufbau sollte daher nicht nur den Zustand vor dem Ereignis herstellen, sondern auch die Verwundbarkeit und das Risiko gegenüber zukünftigen Ereignissen mindern“, fordert Birkmann, der auch der Expertengruppe zur wissenschaftlichen Begleitung des Wiederaufbaus angehört. „Zudem benötigen die Menschen in den verwüsteten Regionen einen schnellen Wiederaufbau, sie können nicht Jahre warten. Um vorbereitet zu sein, braucht es in Zukunft Klima-Anpassungskonzepte, die bereits in der Schublade liegen.“

Wie steht es um die Binnengewässer?

Rita Adrian ist Leitautorin von Teil 2 zum Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) und Professorin für Limnologie an der Freien Universität Berlin. Sie nennt sechs Zahlen, die beispielhaft für die bisherigen und prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels auf Gewässer stehen:

  • Binnengewässer werden als dritter Bereich neben dem Land und dem Meer vernachlässigt. Zwar bedecken sie nur ein Prozent der Erdoberfläche, sind aber Lebensraum für 30 Prozent der Wirbeltierarten. Sie sind eine wichtige Trinkwasserressource, Quelle für Nahrung und Erholungsorte.
  • Wenn wir die Emissionen nicht reduzieren, werden sich Gewässer laut mathematischer Prognosen um vier Grad Celsius erwärmen.
  • Der Sauerstoffgehalt in den Süßwasserseen nimmt rapide ab – um ein Vielfaches schneller als in den Ozeanen. So sank zum Beispiel in den letzten vier Jahrzehnten der Sauerstoffgehalt im tiefen Wasser von Seen der gemäßigten Breiten um rund 18 Prozent.
  • Laut Modellszenarien werden sich die Seen mit jedem Anstieg der Lufttemperatur um ein Grad Celsius um rund 0,9 Grad Celsius erwärmen und jährlich zehn Tage kürzer von Eis bedeckt sein.
  • Forschenden untersuchten, wie sich Temperaturlebensräume in Seen als Reaktion auf den Klimawandel bereits verändert haben – ob sie schrumpfen oder sich ausdehnen. Für weniger anpassungsfähige Arten reduzierten sich die Lebensräume zwischen den Zeiträumen 1978 bis 1995 und 1996 bis 2013 weltweit um fast 20 Prozent.
  • 60 Prozent der globalen Fließgewässerstrecken fallen an mindestens einem Tag im Jahr trocken – über alle Kontinente und klimatischen Zonen hinweg. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in der Nähe dieser zeitweise trockenfallenden Flüsse – Tendenz steigend. Die Folgen: Lebensräume schwinden und Treibhausgase werden aus den trockenfallenden Bereichen freigesetzt.

Den gesamten Bericht können Sie hier herunterladen.

Quelle: UD/fo
 

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