Der Aufstieg von Kohlendioxid (CO2) als erneuerbare Kohlenstoffquelle
Ein kürzlich erschienener Bericht des nova-Instituts zur Nutzung von CO2 für Chemikalien, synthetische Kraftstoffe, Polymere, Proteine und Mineralien gibt einen tiefen und umfassenden Einblick in sich entwickelnde Technologien, Trends und den dynamisch wachsenden Markt der CO2-Capture and Utilisation (CCU).
09.05.2023
In seinem 2022 veröffentlichten sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2022) nennt das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Weltklimarat) die Abscheidung und Nutzung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Utilisation – CCU) erstmalig als geeignete Lösung zur Eindämmung des Klimawandels. Mehrere Zukunftsszenarien für eine Netto-Null-Chemieindustrie bis zum Jahr 2050 zeigen, dass zwischen zehn und 30 Prozent der Nachfrage des produktgebundenen Kohlenstoffs aus der Nutzung von CO2 stammen werden.
Das Potenzial von CCU erkennen auch zunehmend globale Marken, die ihre Rohstoffportfolios bereits entsprechend erweitern. Als Schlüssel zur Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses gilt hierbei eine intensive Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Besonders im Europäischen Raum hemmen mangelnde politische Unterstützungsmaßnahmen größere Investitionen und positive Aussichten einer umfassenden CO2-Nutzung. Im Gegensatz hierzu bieten unter anderem die USA mit dem „Inflation Reduction Act“ und China unterstützende Regelungen an. In den USA fördern staatliche Maßnahmen eine Nutzung von CO2 für Kraftstoffe und Chemikalien durch Abscheidung von atmosphärischem CO2 (Direct Air Capture, DAC) und aus Punktquellen. DieserAnsatz schließt auch kommerzielle Anlagen ein. Intelligente politische Maßnahmen dieser Art sind notwendig, um erfolgreich die Brücke zwischen heute und den Zielen von 2050 zu schlagen. Zeitgleich müssen sie eine Wettbewerbsfähigkeit der Industrie-Unternehmen im Rahmen der nachhaltigen Transformation gewährleisten.
Arten und Anwendungsbereiche der CCU-Technologien
Glücklicherweise schreiten sowohl die Wissenschaft als auch die Industrie aktiv voran, um erfolgreich CCU-Technologien zu entwickeln und umzusetzen. Derzeit finden sich mehrere Beispiele erfolgreich eingesetzter Technologien, die bereits auf kommerzieller Ebene produzieren, sowie zahlreiche weitere Vorhaben im Labor- und Pilotstadium. CO2 und andere C1-reiche Gase wie Kohlenmonoxid (CO) werden aktuell primär aus fossilen und biogenen Punktquellen abgeschieden, folglich steigt auch die Anzahl der Projekte zur direkten Abscheidung aus der Luft. Diese ermöglichen die Umwandlung von CO2 durch chemische, biotechnologische und elektrochemische Verfahren in Chemikalien, synthetische Kraftstoffe, Polymere, Proteine oder Mineralien.
Die konventionelle chemische Umwandlung von CO2 wird seit Jahrzehnten auf kommerzieller Ebene zur Herstellung von Chemikalien wie Salicylsäure, Harnstoff, Ethylen und Propylencarbonat genutzt. CO2 kann auch direkt verwendet werden, beispielsweise. zur gesteigerten (tertiären) Ölgewinnung (Enhanced Oil Recovery, EOR), als Feuerlöschmittel oder als Wachstumsbeschleuniger für Pflanzen in Gewächshäusern. Neuartige chemische Verfahren konzentrieren sich hierbei auf die CO2-Umwandlung, während die CO2-Hydrierung zu Methan oder Methanol derzeit die vielversprechendsten Ergebnisse zeigt. Erstere kann in das Erdgasnetz eingespeist werden und auf diesem Wege die Abhängigkeit von Erdgaslieferanten verringern. Die letztere bietet hingegen einen einfachen und hocheffizienten Kraftstoff für den Transportsektor oder kann als chemischer Baustein verwendet werden.
Großes Interesse besteht auch an der Fischer-Tropsch-Technologie zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe und Chemikalien. Diese Technologie ist bereits hundert Jahre alt und fand primär zur Kohlevergasung und -verwertung Einsatz. In Verbindung mit CO2-basiertem Synthesegas, lassen sich damit nachhaltig CO2-basierte Kohlenwasserstoffe wie Kerosin, Diesel, Naphtha und Wachse herstellen. Eine starke Aktivität ist auch im Bereich des CO2-basierten Kerosins zu beobachten. Dieses ist der aktuell wichtigste nachhaltige Flugkraftstoff (SAF). Auch Polycarbonate, Polyurethane (PU) und Polyethylen (PE) auf CO2-Basis sind auf dem Markt erhältlich. CO2 kann zudem zu einem Karbonat für Baumaterialien mineralisiert werden. Die auf dem Markt befindlichen Technologien nutzen den Karbonisierungsprozess zur Herstellung von Ersatzprodukten der Zementindustrie.
Die bekanntesten biotechnologischen Umwandlungsansätze auf CO2-Basis erzeugen Methan und Ethanol. Letzteres wird in kommerziellem Maßstab hergestellt und dient als Kraftstoff und Baustein der chemischen Industrie (zum Beispiel für Ethylenglykol) und der Polymerindustrie (Polyethylen). Durch Gasfermentation können zudem biologisch abbaubare Polymere, sogenannte Polyhydroxyalkanoate (PHA), hergestellt werden, die im Handel erhältlich sind. Mehrere Pilotanlagen zur Herstellung von Chemikalien und Proteinen durch Gasfermentation sind bereits in Betrieb. Die fortgeschrittensten elektrochemischen Verfahren ermöglichen die Umwandlung von CO2 in CO (oder Synthesegas), Methanol, Ameisensäure oder Ethylen. Zahlreiche Pilotanlagen sind in Betrieb. Die CO- (oder Synthesegas-) Produktion über diesen Weg wird bald in einer kommerziellen Anlage in Kombination mit der Fischer-Tropsch-Technologie zur Produktion einer breiten Palette von Kohlenwasserstoffen eingesetzt werden.
Produkte auf CCU-Basis
Die aktuelle Gesamtproduktionskapazität neuartiger CO2-basierter Produkte wird für 2022 auf circa 1,3 Megatonnen pro Jahr geschätzt. Hierbei wird die Produktionskapazität von der Herstellung CO2-basierter aromatischer Polycarbonate, Ethanol aus abgeschiedenem CO/CO2, aliphatischem Polycarbonat und Methanol dominiert. Die Kapazitätsprognose CO2-basierter Produkte bis 2030 wird geschätzt mehr als sechs Megatonnen pro Jahr betragen. Eine hohe Wachstumsdynamik zeigen in diesem Zusammenhang besonders Methanolprojekte, Methananlagen, Ethanol und Kohlenwasserstoffe – letztere insbesondere für den Luftfahrtsektor.
Produkte auf CCU-Basis erzeugen im Vergleich zu vergleichbaren Produkten auf fossiler Basis geringere Treibhausgasemissionen. Dies greift, sofern die gesamte zur Abscheidung und Umwandlung von CO2 genutzte Energie aus erneuerbaren Quellen und grünem Wasserstoff stammt. Schon heute erreichen viele Technologien im Vergleich zu fossilen Technologien hohe Treibhausgasemissionsreduzierungen von bis zu 90 Prozent.
Der neue Bericht des nova-Instituts untersucht diese erneuerbare Kohlenstoffquelle im Detail: Welche Produkte können aus CO2 hergestellt werden, und mit welchen Verfahren? Wie weit sind die Technologien bereits entwickelt und in Pilot-, Demonstrations- und kommerziellen Anlagen umgesetzt? Welche Unternehmen arbeiten an Technologien zur Nutzung von CO2 als Rohstoff? Was sind die Trends CO2-Nutzung für die kommenden Jahre? Dieser Bericht richtet sich an die Brennstoff-, Chemie- und Materialindustrie, an Marken, Technologiescouts, Investoren und politische Entscheidungsträger. Auf 240 Seiten bietet der Bericht umfassende Informationen rund um die CO2-Nutzung. Alle 116 genannten Unternehmen werden in detaillierten Unternehmensprofilen beschrieben.
Der Bericht „Carbon Dioxide (CO2) as Feedstock for Chemicals, Advanced Fuels, Polymers, Proteins and Minerals – Technologies and Market, Status and Outlook, Company Profiles“ ist hier verfügbar.