Klimawandel

Antarktis: Unerwartete Entdeckung wirft Fragen zum Klimawandel auf

Der antarktische Eisschild entstand ganz anders, als die Wissenschaft bisher annahm. Ein internationales Forschungsteam der U Bremen Research Alliance entdeckte dies dank eines einzigartigen Bohrkerns und komplexer Klimamodelle. Doch was diese Erkenntnis offenbart, ist alles andere als beruhigend im Hinblick auf den Klimawandel.

24.02.2025

Antarktis: Unerwartete Entdeckung wirft Fragen zum Klimawandel auf
Das Forschungsschiff Polarstern vor einem mächtigen Eisberg in der Pine-Island-Bucht der Antarktis

Für Laien wirkt der Bohrkern, den Dr. Johann Klages im Labor des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, präsentiert, wie ein übergroßer, tonähnlicher Strang – dunkel, fest, feinkörnig und mit glatter Oberfläche, fast wie ein Spielzeug, das Kinder begeistern könnte. Dass er tatsächlich 33,8 Millionen Jahre alt ist und ein einzigartiges Zeugnis der Klimageschichte unserer Erde darstellt, lässt sich ihm auf den ersten Blick nicht ansehen.

Analysiert eine Sedimentprobe: Dr. Johann Klages in seinem Büro
Analysiert eine Sedimentprobe: Dr. Johann Klages in seinem Büro

Für den Wissenschaftler stand hingegen in dem Moment fest, als das Sediment aus 850 Metern Tiefe an die Oberfläche des Amundsenmeeres befördert wurde, dass es sich um einen außergewöhnlichen Fund handelte. Die Farbe ließ auf organisches Material schließen“, erzählt der Sedimentologe. Nur wo sollten diese Pflanzenreste herkommen in der Eiswüste der Antarktis?

Der Bohrkern stellt die bisherigen Annahmen über die Entstehungsgeschichte des antarktischen Eisschildes grundlegend in Frage. Er wurde während einer Expedition des Forschungsschiffs „Polarstern“ in die Westantarktis im Jahr 2017 geborgen. Vor diesem Fund ging die Wissenschaft davon aus, dass sich der Eisschild von der Mitte des Kontinents aus vor etwa 34 Millionen Jahren gebildet hat – in einer Phase drastischer Klimaveränderungen, die das globale Klima bis heute prägen. Nach dieser Theorie hätte das Sediment jedoch gröber sein müssen und dürfte keine Spuren von Pollen oder Sporen enthalten.

Auf Grundlage der Bohrkern-Analyse begann ein internationales Forschungsteam mit einer weltweit einzigartigen Klimarekonstruktion, wie Dr. Klages betont. Sie speisten umfangreiche Daten zu Umweltbedingungen, Wasser- und Lufttemperaturen, Eisverbreitung und Niederschlagsmengen in ein Modell und passten es kontinuierlich an. Das Ergebnis, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift „Science“, ist eindeutig: Das Eis bildete sich zunächst in den Gebirgszügen der ostantarktischen Küstenregion, bevor es sich ins Landesinnere und schließlich langsam nach Westen ausbreitete – über einen Zeitraum von rund sieben Millionen Jahren.

„Während die östliche Antarktis schon vereist war, wuchsen im Westen noch Buchen, lag die Mitteltemperatur im Jahresverlauf bei fünf bis sechs Grad“, sagt Klages. Vor allem zeigen die Analysen: Der westliche Eisschild bildete sich nicht nur sehr viel später, er reagiert dadurch auch sehr viel anfälliger auf äußere Einflüsse und Klimaveränderungen. „Schon eine leichte Erwärmung reicht, um das Eis zum Schmelzen zu bringen“, betont der Wissenschaftler. „Das macht uns ziemliche Sorgen.“

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Die Antarktis beherbergt die größte zusammenhängende Eismasse der Erde – etwa anderthalb Mal so groß wie Europa und an einigen Stellen bis zu 4,5 Kilometer dick. Wie ein gigantischer natürlicher Kühlschrank reguliert der Kontinent die Temperaturen der Ozeane, beeinflusst Meeresströmungen, Wassertemperaturen und Windmuster und spielt eine zentrale Rolle im globalen Klimasystem. Gleichzeitig reagiert er äußerst sensibel auf Veränderungen der Umwelt.

Besonders deutlich zeigt sich dies in der Westantarktis. Während der Eisschild in Ostantarktika zu rund 85 Prozent über dem Meeresspiegel liegt, ist es im Westen genau umgekehrt: Der Großteil des Eises ruht hier unterhalb des Meeresspiegels. Das zunehmend wärmere und extrem salzhaltige Ozeanwasser dringt immer weiter unter das Eis vor und höhlt es von unten aus. Die Konsequenzen sind dramatisch: Riesige Tafeleisberge brechen ab, das ehemals „ewige“ Eis schmilzt schneller als je zuvor und zieht sich unaufhaltsam zurück. „Es setzt ein sich selbst verstärkender Prozess ein, von dem bereits jetzt viele glauben, dass er nicht mehr aufzuhalten ist“, meint Klages.

Würden die Gletscher im Gebiet des Amundsenmeeres, wo der Bohrkern entnommen wurde, vollständig schmelzen, würde der globale Meeresspiegel um etwa eineinhalb Meter ansteigen. „Sollte der gesamte westantarktische Eisschild kollabieren, sprechen wir von einem Anstieg um dreieinhalb bis fünf Meter“, warnt Klages nachdrücklich und verweist dabei auf die alarmierend kurzen Zeiträume, in denen solche Veränderungen eintreten.

Diese drastischen Entwicklungen haben sich in den letzten 150 Jahren vollzogen – ein kaum wahrnehmbarer Augenblick in der Erdgeschichte. Genau dieser Zeitraum deckt sich mit der Phase, in der der Mensch begonnen hat, gezielt fossile Rohstoffe zu fördern und zu nutzen, die über Millionen von Jahren in der Erdkruste gespeichert waren. „In dieser Ausprägung und Schnelligkeit ist das nie zuvor geschehen. Damit haben wir ein gigantisches Experiment gestartet, dessen Ausgang ungewiss ist“, sagt Klages. Was macht das mit unserem Klima und mit uns? In was für einer Zukunft werden wir leben? „Es geht ganz klar um den Schutz von Menschen. Der Erde ist es völlig gleichgültig, was wir hier veranstalten.“

Auch Prof. Dr. Heiko Pälike und Dr. Torsten Bickert vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen teilen diese Einschätzung. Der Paläozeanograf und der Geowissenschaftler waren Mitglieder des Expeditionsteams und zählen ebenso wie ihr Kollege Dr. Jürgen Titschack zu den Koautoren der in Science veröffentlichten Studie. Um den Bohrkern mit seinem sechs Zentimeter großen Durchmesser optimal zu analysieren, wurde er zunächst im Computertomografen des Klinikums Bremen-Mitte – einem Kooperationspartner des Instituts – gescannt. So konnte sichergestellt werden, dass beim späteren Aufschneiden des Kerns in Längsrichtung wertvolle Strukturen, wie Überreste von Wurzeln, unversehrt sichtbar bleiben.

Eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Gewinnung des Bohrkerns spielte eine technische Innovation des MARUM der Universität Bremen, das wie das AWI Teil der U Bremen Research Alliance ist: das Meeresboden-Bohrgerät MeBo70. Es kam während der „Polarstern“-Expedition erstmals in der Antarktis zum Einsatz. Dank seines rotierenden Bohrkopfes gelang es, in den extrem verdichteten und harten Meeresboden vorzudringen und insgesamt fünf Bohrkerne mit einer Gesamtlänge von zehn Metern an die Wasseroberfläche zu fördern. Ohne diese Technologie wäre der Fund nicht möglich gewesen.

Mehr dazu erfahren Sie hier

Quelle: UD/fo
 

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