Klimawandel
Wie weiter in der Klimapolitik nach Durban?
Thomas Hirsch, Klimaexperte der Organisation „Brot für die Welt“, hat den UN-Klimagipfel in Durban vor Ort miterlebt. Nach fünfzehn langen Tagen endeten die Verhandlungen mit dem „Durban Paket“. Lesen Sie im Folgenden eine Analyse der Konferenzergebnisse von Thomas Hirsch sowie seine Lösungsansätze auf die Frage: Wie kann es weitergehen? Vorab komprimiert die wichtigsten Ergebnisse der Konferenz.
14.12.2011
Im Rahmen des Klimagipfels in Durban war es den Vertretern von 194 Staaten nicht gelungen, ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls zu erarbeiten. Vereinbart wurde aber, dies bei der nächsten Klimakonferenz 2012 in Katar nachzuholen. Dann sollen die Reduktionsziele der einzelnen Länder vereinbart und in dem Abkommen festgehalten werden. Die größten Treibhausgas-Emittenten wie die USA, China und Indien sind jedoch gar nicht im Kyoto-Protokoll erfasst. Daher beinhaltet eine weitere Vereinbarung des Durban Pakets, dass bis 2015 ein Abkommen erarbeitet werden soll, welches auch die Reduktionsziele der Nicht-Kyoto-Staaten erfasst. Großer Streitpunkt in Durban und danach ist die Frage der Verbindlichkeit dieser Vereinbarung. Weiterer wichtiger Bestandteil des Pakets ist der „Grüne Klimafond“ der Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel finanziell unterstützen soll.
Thomas Hirsch über die Konferenzergebnisse und die Zukunft:
„Dank der in Durban entstandenen „Allianz der Willigen“ mit rund 100 Ländern endete die Konferenz nicht als Fiasko. Quasi in letzter Sekunde wurde gegen den erkennbaren, am Schluss aber gebrochenen Widerstand einer zweiten Ländergruppe, zu der die großen Emittenten wie die USA, Kanada, Russland, Japan, China und Indien gehören, ein Paket verabschiedet. Dafür musste ein gewisser „Preis“ gezahlt werden: Eine Vielzahl von Fragen blieb offen und ein Abkommen für alle soll erst ab 2020 in Kraft treten. Wie gut das Paket also wirklich ist, hängt von den Verhandlungserfolgen der nächsten Jahre ab. Ein wichtiger Etappensieg ist das Zugeständnis aller, künftig international bindende Pflichten zu übernehmen. Das allein reicht aber noch nicht, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wie kann es also weiter gehen? Hierzu fünf Thesen:
Klimawandel als größter Treiber von Armut, Katastrophen und Krieg
Erstens dürfen Klimaschutz und Entwicklungsziele nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Das Recht auf Entwicklung ist legitim, beinhaltet aber kein Recht auf Verschmutzung. Es ist richtig, dass die frühindustrialisierten Länder den Großteil des CO2-Speicherraums in der Atmosphäre bereits verbraucht haben. Hieraus ergibt sich eine historische Verantwortung und das Eingeständnis, dass wir sehr viel schneller unsere Emissionen reduzieren müssen, als die anderen Länder. Richtig ist aber auch, dass sich hieraus kein Anspruch der Schwellenländer ableitet, noch Jahrzehnte ihre Kapazitäten an Kohlekraftwerken massiv auszubauen. Auch diese stehen nämlich in einer Verantwortung gegenüber Hochrisikoländern wie den Inselstaaten, alles zu tun, damit der Scheitelpunkt der globalen Emissionen noch in diesem Jahrzehnt überschritten wird. Klimaschutz und Entwicklung sind keine Gegensätze sondern bedingen einander. Der größte Treiber von Armut, Ausgrenzung, Katastrophen und kriegerischen Konflikten ist der Klimawandel wenn es nicht gelingen sollte, ihn zu begrenzen. Klimaschutz und Entwicklung müssen miteinander versöhnt werden, indem die Fragen von Gerechtigkeit, Verantwortung und internationaler Solidarität entideologisiert und im offenen Diskurs pragmatisch und zugleich fair gelöst werden.
Wirtschaftliche Chancen durch ambitionierte Klimapolitik
Zweitens birgt eine ambitionierte Klimapolitik mannigfache wirtschaftliche Chancen. Dies ist eine empirische Erfahrung Deutschlands, wo im letzten Jahrzehnt bis zu 300.000 Jobs in den Boom-Sektoren Erneuerbare Energien und Umwelttechnologie entstanden, wo Effizienzgewinne Wettbewerbsvorteile schaffen und der Ausbau der Erneuerbaren die Wertschöpfung in der eigenen Region erhöht sowie die Abhängigkeit von Energieimporten mindert. Diese Tatsachen müssen weit über Deutschland hinaus kommuniziert, erkannt und nachgeahmt werden. Je mehr sich Klimaschutz rechnet, desto größer die Unterstützung für ambitionierte Klimapolitik. Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen national und international entsprechend zu gestalten
Gesellschaftlicher Wandel von Werten und Lebensstilen
Drittes reichen technische Innovation, wirtschaftlicher Anreiz und politische Rahmengesetzgebung nicht aus. Es bedarf der gesellschaftlichen Einsicht und des Wandels von Werten und Lebensstilen: Die Welt ist kein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten (mehr). Grenzenloses Wachstum und eine Kultur, die materiellen Reichtum uneingeschränkt verehrt, ist nicht zukunfts- und verallgemeinerungsfähig. Es ist hoch an der Zeit, eine kulturelle Transformation einzuleiten, die Begrenzung, Zukunftsverantwortung und die (Rück-) Besinnung auf nicht-materielle Werte und ethische Prinzipien fördert. Dies ist Bildungsauftrag, Kulturauftrag, Auftrag für Glaubensgemeinschaften und kirchliche beziehungsweise diakonische Einrichtungen.
Internationale Klimapolitik braucht Verstärkung
Viertens kann Internationale Klimapolitik nicht losgelöst von geopolitischen Entwicklungen betrachtet werden. Immer mehr aufstrebende Staaten nehmen massiv an der härter werdenden Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen teil. Die Welt zerfällt zunehmend in regionale Einflusssphären bei einer zugleich sich schnell vollziehenden Verlagerung des geopolitischen Machtzentrums vom atlantischen in den pazifischen Raum. Angesichts dessen sind die Vereinten Nationen zwar nach wie vor unverzichtbar, um das völkerrechtliche Prinzip des „rule of law“ gegenüber dem Prinzip des „rule of power“ aufrecht zu erhalten. So ist auch der UNFCCC-Prozess unverzichtbar. Jedoch ist die UN mit ihrem Einstimmigkeitsprinzip zumindest bei Fragen, bei denen es große Interessensgegensätze wie in der Klimapolitik gibt, kein Ort, der Veränderung schnell voranbringt. Die Langsamsten haben de facto die Chance, das Tempo zu bestimmen und Veränderung aufzuhalten. Weil der Zeitfaktor immer kritischer wird, braucht es in der internationalen Klimapolitik fortan verstärkt ergänzende Formen der bi- und multilateralen Zusammenarbeit der progressiven, innovationsorientierten und veränderungsfähigen Staaten und Regionen. Das können bilaterale Kooperationen sein, um „Low-Carbon-Partnerships“ zwischen Ländern - zum Beispiel Deutschland und Südafrika - voranzubringen. Oder es schließen sich Regionen zusammen, die länderübergreifende Netze Erneuerbarer Energien aufbauen, wie geplant beim Desertec-Projekt zwischen Europa und den Mittelmeeranrainern. Vorstellbar sind auch der gezielte Wissens- und Technologietransfer, etwa bei der Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel, zum Beispiel mit vernetzten Forschungseinrichtungen und Saatgutbanken. Oder Partnerschaften bei der Erstellung von Anpassungsplänen in armen Entwicklungsländern. Neben dem bislang vorherrschenden „Top Down“-Ansatz der universell orientierten internationalen Klimaverhandlungen braucht es künftig also der gezielten Stärkung sektoraler und partieller „bottom up“-Formen der Klimapolitik und -diplomatie. Beides verhält sich zueinander komplementär, wobei innovative Bündnisse der „Willigen“ den Veränderungsdruck und die Geschwindigkeit im UNFCCC-Prozess gezielt erhöhen können und die Blockierer gemeinsam unter Druck setzen müssen.
Zivilgesellschaft muss den Wandel vorantreiben
Fünftens kommt der Zivilgesellschaft in diesen Prozessen eine potentiell sehr große, katalytische Rolle zu. Sie kann soziale Bewegung schaffen und den Wandel fördern: Durch glaubwürdiges Handeln, durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die erforderliche Transformation, der in den meisten Ländern noch gar nicht begonnen hat, und durch politischen Druck, der die Veränderungswilligen stützt und die Blockierer rechenschaftspflichtig macht. Im Jahr 2017 muss es in jedem Land dieser Erde von einer breiten Öffentlichkeit als Skandal empfunden werden, wenn eine Partei noch immer keinen politischen Willen zeigt, tatkräftig gegen den Klimawandel anzugehen. Das kann Zivilgesellschaft leisten, sofern sie verantwortungsbewusst, gut informiert und dialogorientiert handelt. „Brot für die Welt“, der Evangelische Entwicklungsdienst und das neue Werk sollten sich gemeinsam mit ihren Partnern diesen Aufgaben künftig noch verstärkt stellen.“
Thomas Hirsch
Thomas Hirsch über die Konferenzergebnisse und die Zukunft:
„Dank der in Durban entstandenen „Allianz der Willigen“ mit rund 100 Ländern endete die Konferenz nicht als Fiasko. Quasi in letzter Sekunde wurde gegen den erkennbaren, am Schluss aber gebrochenen Widerstand einer zweiten Ländergruppe, zu der die großen Emittenten wie die USA, Kanada, Russland, Japan, China und Indien gehören, ein Paket verabschiedet. Dafür musste ein gewisser „Preis“ gezahlt werden: Eine Vielzahl von Fragen blieb offen und ein Abkommen für alle soll erst ab 2020 in Kraft treten. Wie gut das Paket also wirklich ist, hängt von den Verhandlungserfolgen der nächsten Jahre ab. Ein wichtiger Etappensieg ist das Zugeständnis aller, künftig international bindende Pflichten zu übernehmen. Das allein reicht aber noch nicht, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wie kann es also weiter gehen? Hierzu fünf Thesen:
Klimawandel als größter Treiber von Armut, Katastrophen und Krieg
Erstens dürfen Klimaschutz und Entwicklungsziele nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Das Recht auf Entwicklung ist legitim, beinhaltet aber kein Recht auf Verschmutzung. Es ist richtig, dass die frühindustrialisierten Länder den Großteil des CO2-Speicherraums in der Atmosphäre bereits verbraucht haben. Hieraus ergibt sich eine historische Verantwortung und das Eingeständnis, dass wir sehr viel schneller unsere Emissionen reduzieren müssen, als die anderen Länder. Richtig ist aber auch, dass sich hieraus kein Anspruch der Schwellenländer ableitet, noch Jahrzehnte ihre Kapazitäten an Kohlekraftwerken massiv auszubauen. Auch diese stehen nämlich in einer Verantwortung gegenüber Hochrisikoländern wie den Inselstaaten, alles zu tun, damit der Scheitelpunkt der globalen Emissionen noch in diesem Jahrzehnt überschritten wird. Klimaschutz und Entwicklung sind keine Gegensätze sondern bedingen einander. Der größte Treiber von Armut, Ausgrenzung, Katastrophen und kriegerischen Konflikten ist der Klimawandel wenn es nicht gelingen sollte, ihn zu begrenzen. Klimaschutz und Entwicklung müssen miteinander versöhnt werden, indem die Fragen von Gerechtigkeit, Verantwortung und internationaler Solidarität entideologisiert und im offenen Diskurs pragmatisch und zugleich fair gelöst werden.
Wirtschaftliche Chancen durch ambitionierte Klimapolitik
Zweitens birgt eine ambitionierte Klimapolitik mannigfache wirtschaftliche Chancen. Dies ist eine empirische Erfahrung Deutschlands, wo im letzten Jahrzehnt bis zu 300.000 Jobs in den Boom-Sektoren Erneuerbare Energien und Umwelttechnologie entstanden, wo Effizienzgewinne Wettbewerbsvorteile schaffen und der Ausbau der Erneuerbaren die Wertschöpfung in der eigenen Region erhöht sowie die Abhängigkeit von Energieimporten mindert. Diese Tatsachen müssen weit über Deutschland hinaus kommuniziert, erkannt und nachgeahmt werden. Je mehr sich Klimaschutz rechnet, desto größer die Unterstützung für ambitionierte Klimapolitik. Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen national und international entsprechend zu gestalten
Gesellschaftlicher Wandel von Werten und Lebensstilen
Drittes reichen technische Innovation, wirtschaftlicher Anreiz und politische Rahmengesetzgebung nicht aus. Es bedarf der gesellschaftlichen Einsicht und des Wandels von Werten und Lebensstilen: Die Welt ist kein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten (mehr). Grenzenloses Wachstum und eine Kultur, die materiellen Reichtum uneingeschränkt verehrt, ist nicht zukunfts- und verallgemeinerungsfähig. Es ist hoch an der Zeit, eine kulturelle Transformation einzuleiten, die Begrenzung, Zukunftsverantwortung und die (Rück-) Besinnung auf nicht-materielle Werte und ethische Prinzipien fördert. Dies ist Bildungsauftrag, Kulturauftrag, Auftrag für Glaubensgemeinschaften und kirchliche beziehungsweise diakonische Einrichtungen.
Internationale Klimapolitik braucht Verstärkung
Viertens kann Internationale Klimapolitik nicht losgelöst von geopolitischen Entwicklungen betrachtet werden. Immer mehr aufstrebende Staaten nehmen massiv an der härter werdenden Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen teil. Die Welt zerfällt zunehmend in regionale Einflusssphären bei einer zugleich sich schnell vollziehenden Verlagerung des geopolitischen Machtzentrums vom atlantischen in den pazifischen Raum. Angesichts dessen sind die Vereinten Nationen zwar nach wie vor unverzichtbar, um das völkerrechtliche Prinzip des „rule of law“ gegenüber dem Prinzip des „rule of power“ aufrecht zu erhalten. So ist auch der UNFCCC-Prozess unverzichtbar. Jedoch ist die UN mit ihrem Einstimmigkeitsprinzip zumindest bei Fragen, bei denen es große Interessensgegensätze wie in der Klimapolitik gibt, kein Ort, der Veränderung schnell voranbringt. Die Langsamsten haben de facto die Chance, das Tempo zu bestimmen und Veränderung aufzuhalten. Weil der Zeitfaktor immer kritischer wird, braucht es in der internationalen Klimapolitik fortan verstärkt ergänzende Formen der bi- und multilateralen Zusammenarbeit der progressiven, innovationsorientierten und veränderungsfähigen Staaten und Regionen. Das können bilaterale Kooperationen sein, um „Low-Carbon-Partnerships“ zwischen Ländern - zum Beispiel Deutschland und Südafrika - voranzubringen. Oder es schließen sich Regionen zusammen, die länderübergreifende Netze Erneuerbarer Energien aufbauen, wie geplant beim Desertec-Projekt zwischen Europa und den Mittelmeeranrainern. Vorstellbar sind auch der gezielte Wissens- und Technologietransfer, etwa bei der Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel, zum Beispiel mit vernetzten Forschungseinrichtungen und Saatgutbanken. Oder Partnerschaften bei der Erstellung von Anpassungsplänen in armen Entwicklungsländern. Neben dem bislang vorherrschenden „Top Down“-Ansatz der universell orientierten internationalen Klimaverhandlungen braucht es künftig also der gezielten Stärkung sektoraler und partieller „bottom up“-Formen der Klimapolitik und -diplomatie. Beides verhält sich zueinander komplementär, wobei innovative Bündnisse der „Willigen“ den Veränderungsdruck und die Geschwindigkeit im UNFCCC-Prozess gezielt erhöhen können und die Blockierer gemeinsam unter Druck setzen müssen.
Zivilgesellschaft muss den Wandel vorantreiben
Fünftens kommt der Zivilgesellschaft in diesen Prozessen eine potentiell sehr große, katalytische Rolle zu. Sie kann soziale Bewegung schaffen und den Wandel fördern: Durch glaubwürdiges Handeln, durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die erforderliche Transformation, der in den meisten Ländern noch gar nicht begonnen hat, und durch politischen Druck, der die Veränderungswilligen stützt und die Blockierer rechenschaftspflichtig macht. Im Jahr 2017 muss es in jedem Land dieser Erde von einer breiten Öffentlichkeit als Skandal empfunden werden, wenn eine Partei noch immer keinen politischen Willen zeigt, tatkräftig gegen den Klimawandel anzugehen. Das kann Zivilgesellschaft leisten, sofern sie verantwortungsbewusst, gut informiert und dialogorientiert handelt. „Brot für die Welt“, der Evangelische Entwicklungsdienst und das neue Werk sollten sich gemeinsam mit ihren Partnern diesen Aufgaben künftig noch verstärkt stellen.“
Thomas Hirsch
Quelle: Münster / Berlin