Corona und Verpackungen: Einweg statt Mehrweg?
Die Corona-Krise hat in vielen Bereichen zu einer Renaissance der Einwegverpackungen geführt. Gerade Lieferdienste boomen und tragen viel zum steigenden Müllaufkommen bei. Dabei gibt es einige Beispiele, wie die Nachfrage nach Außer-Haus-Lieferungen mit innovativen Mehrweg-Konzepten befriedigt werden kann.
29.05.2020
Eine Branche hat in der Corona-Krise besonders viel zu tun: die Müllabfuhr. „Weil die Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen, mehr einkaufen, kochen, online bestellen oder mehr im Garten arbeiten, fällt auch mehr Abfall an“, nennt die Wirtschaftswoche den Grund dafür.
Die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW) rechnet dann auch mit einer Corona-bedingten Zunahme der Haushaltsabfälle um insgesamt 2,26 Millionen Tonnen auf dann knapp 47 Millionen Tonnen in diesem Jahr. Das liegt vor allem auch daran, dass wieder mehr Einwegverpackungen verwendet werden.
Während es bis vor kurzem auf nationaler und europäischer Ebene immer mehr politische Initiativen gegen (Kunststoff-)Einwegverpackungen gab, folgt nun die vorläufige Trendwende. Italien hat erst jüngst die für den 1. Juli 2020 geplante Einführung einer Steuer auf Einweg-Kunststoffverpackungen um ein halbes Jahr verschoben, berichtet EUWID Verpackung. Kurz zuvor hatte Großbritannien das für April geplante Verbot von Einweg-Trinkhalmen, -Rührstäbchen und -Wattestäbchen ebenfalls für sechs Monate ausgesetzt.
Mehrwegverpackungen haben es derzeit schwerer
Der deutsche Industrieverband Kunststoffverpackungen (IK) begrüßt den Bewusstseinswandel: „Nach Aufrufen zum allgemeinen Verpackungsfasten oder Kampagnen gegen Kunststoffverpackungen tritt aber auch die Bedeutung von Verpackungen für Produktsicherheit, Haltbarkeit, Hygiene oder Verbraucherschutz wieder deutlich ins Bewusstsein.“ Hingegen mahnt Michael Wieler, CEO des Recyclers Der Grüne Punkt, schon jetzt an, dass die Verpackungsbranche für die Zeit nach der Pandemie mehr auf die Kreislauffähigkeit von Materialien wie Kunststoff achten muss.
Einstweilen haben Mehrwegverpackungen aber einen schweren Stand, wie alltägliche Beispiele zeigen. „Der Coffee-to-go-Becher feiert sein Comeback, beim Bäcker kann man den privaten Jutebeutel nicht mehr über die Theke reichen und eigene Dosen beim Marktstand abzugeben, ist – aus Hygienegründen – auch nicht möglich“, berichtet etwa der Lokal-Newsletter „RUMS Münster“. Es ist also davon auszugehen, dass die sowieso bereits beachtliche Menge von Einweggeschirr und To-go-Verpackungen im Verpackungsmüll – 350.000 Tonnen waren es laut NABU 2017 – während der Corona-Krise noch weiter steigt. Immerhin konnten viele Geschäfte und Restaurants wochenlang nur außer Haus liefern.
Pfandfreie Leihbehälter mit eigener App
Dabei gibt es durchaus Beispiele dafür, dass es auch anders geht. So stellten Restaurants in Großstädten wie Köln, Berlin, Frankfurt und München gemeinsame Lieferdienste für ihre kulinarischen Angebote auf die Beine – und zwar ohne Einwegverpackungen! Sie setzten für ihre Auslieferungen auf die Mehrweg-Kunststoffboxen des Start-ups Vytal, wie die taz berichtet.
Vytal vertreibt Mehrweg-Kunststoffschalen, die nach Unternehmensangaben absolut auslaufsicher und – wichtig in diesen Zeiten! – von außen desinfizierbar sind. Das Besondere daran: Die Behälter sind in ein anbieterunabhängiges, pfandfreies Pool-System eingebunden. Anwender registrieren sich mit ihrem Smartphone in einer App als Nutzer und scannen dann beim Erhalt einer der Vytal-Schüsseln einen darauf enthaltenen Barcode ein. Damit quittieren sie den Erhalt des Leihbehälters. Diesen können sie dann bei beliebigen Unternehmen, die auch Vytal nutzen, wieder zurückgeben.
Veganes Essen für das Heim-Büro
Schon vor der Corona-Krise setzte auch der in Berlin und Regensburg aktive, vegane Bürolunch-Lieferdienst „Holy Bowly“ auf Mehrweg-Essensschalen. Das 2019 gegründete Start-up der Regensburger Grünzeug GmbH sammelt über eine Online-Plattform Bestellungen bei verschiedenen veganen Restaurants ein und liefert diese umweltfreundlich mit dem Lastenrad aus. Gebrauchte Mehrwegbehälter werden wieder abgeholt und in den Restaurants sachgerecht gereinigt.
Die Pandemie drohte für Holy Bowly allerdings zur geschäftlichen Katastrophe zu werden. „Von einem Tag auf den anderen verloren wir fast alle Bestellungen, da Firmen ihre Mitarbeiter ins Home-Office schickten“, berichtet Grünzeug-CEO Felix Bonnert. Die rettende Idee für den Lieferservice wie auch für die Restaurants war dann, den Kunden die müllfreie Belieferung im Heim-Büro anzubieten. Bonnert sagt dazu laut Unternehmensmitteilung: „Vor allem jetzt, wo immer mehr Menschen online Lebensmittel und Essen bestellen, türmen sich die Müllberge. Gleichzeitig kämpfen Restaurants um ihr Überleben.“
Für das Unternehmen, aber vor allem die Lastenrad-Fahrer bedeutet das neue Vertriebsmodell natürlich mehr Aufwand. Deswegen wird für die Lieferung ins Homeoffice ein Aufschlag von 2,90 Euro berechnet, der komplett an die Fahrer weitergeleitet wird. Holy Bowly achtet grundsätzlich auf die faire Bezahlung seiner Fahrer und ist mit dem Corporate-Social-Responsibility-Siegel der Kurier- und Post-Branche „FairKEP“ zertifiziert.
Unverpacktes kommt mit dem Lastenrad
Die umweltfreundliche Lieferung per Lastenrad garantiert auch der Münstersche Service „Liefergrün“. Statt fertiger Mahlzeiten werden allerdings Bio-Produkte aus dem örtlichen Unverpackt-Laden transportiert – jeweils verpackt in Glasbehälter, die nach Gebrauch wieder abgeholt werden. Das studentische Unternehmen startete sein Angebot eher zufällig mitten in der Corona-Krise, musste dafür aber sofort mit der sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach Außer-Haus-Lieferungen klarkommen.
Diese Herausforderung wurde gemeinsam mit dem erfahrenen Elektro-Lastenrad-Lieferservice „Leezenkiepe“ bewältigt, der wiederum zu Beginn der Corona-Krise mit einigen innerstädtischen Einzelhändlern den Lieferservice „Münster bringt‘s“ organisiert hatte. Auch die Leezenkiepe verzichtet bei der Auslieferung weitgehend auf Einwegverpackungen und nutzt stattdessen wiederverwendbare Kunststoffboxen.