Geldanlage

Was Investoren an den Aufsichtsräten von Finanzunternehmen stört

Planen die Aktionäre den Aufstand? Zukünftig könnten solche Szenarien häufiger drohen. Denn die Zeiten, in denen Investoren die Arbeit der Aufsichtsräte einfach nur abnickten, neigen sich offenbar dem Ende zu. Das geht aus dem aktuellen Boardroom Monitor von EY hervor.

05.08.2022

Was Investoren an den Aufsichtsräten von Finanzunternehmen stört

Fast jeder vierte Investor (24 Prozent) sagt, dass er mit einer deutlichen Zunahme von Kritik durch Aktionäre an Aufsichtsräten von Finanzunternehmen rechnet – etwa indem Mitglieder auf Hauptversammlungen abgewählt oder andere vorgeschlagen werden. Weitere 34 Prozent gehen von einer leichten Zunahme der Kritik aus.

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Es gibt offenbar Redebedarf zwischen den Aufsichtsräten der Finanzunternehmen und den Investoren. Zum einen geht es dabei um Kompetenzprofile, die Aufsichtsräte nach Meinung der institutionellen Anleger abdecken sollten, vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit und Zukunftstechnologien. Zum anderen spielt Diversität für die Aktionäre eine immer größere Rolle – beim Geschlecht und beim Alter.

So sagt mehr als jeder fünfte Investor (22 Prozent), dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den Führungsgremien eines Finanzunternehmens ihre Entscheidung, in dieses Unternehmen zu investieren, erheblich beeinflusst. Weitere 37 Prozent stufen Diversität in diesem Bereich als „eher wichtig“ ein. In der Realität spiegelt sich das aber noch nicht wider. Bei den untersuchten deutschen Finanzdienstleistungsunternehmen lag der Frauenanteil auf Aufsichtsratsebene bei 37 Prozent. Im europäischen Vergleich war der Anteil nur in der Schweiz mit 32 Prozent noch geringer. Den höchsten Anteil haben Frauen in Frankreich: Hier sind zwei von drei (66 Prozent) Aufsichtsräten weiblich. Unter den 99 untersuchten Banken und Versicherungen in Europa lag der Durchschnittswert bei 44 Prozent.

Auch in punkto Internationalität ist bei vielen Finanzunternehmen noch Luft nach oben: Nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Aufsichtsräte in den 99 untersuchten Top-Finanzdienstleistungsunternehmen hat einen ausländischen Pass, die große Mehrheit sind also – in Bezug auf das jeweilige Institut – „Inländer“. In deutschen Unternehmen ist die Internationalität noch etwas geringer, hierzulande haben 32 Prozent einen ausländischen Pass. In Finnland sind es hingegen 75 Prozent, in der Schweiz 61 Prozent und in den Niederlanden 58 Prozent.

Das sind die Ergebnisse des Boardroom Monitor von EY. Die Studie untersucht die Erfahrung, Ausbildung und Fähigkeiten von Verwaltungsratsmitgliedern im MSCI European Financials Index sowie bei mehreren weiteren großen nationalen Institutionen. Zusätzlich befragte EY mehr als 300 institutionelle Anleger bei Finanzunternehmen in Großbritannien, Deutschland, der Schweiz und Frankreich nach ihren Erwartungen an die Aufsichtsräte von Finanzdienstleistern in Europa.

EY-Partner Thomas Griess: „Spezialgebiete nicht so einfach zu besetzen“

„Die Anforderungen an die Zusammensetzung von Aufsichtsräten sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen – und damit auch der Arbeitsaufwand und die Verantwortung“, sagt Thomas Griess, Managing Partner Financial Services Deutschland bei EY. „Investoren wünschen sich eine immer größere Spannbreite an Kompetenzen. Allerdings sind die derzeit gewünschten – aber noch untergewichteten – Spezialgebiete nicht so einfach zu besetzen. Es ist jedoch eine deutliche Tendenz zu erkennen, mehr Diversität in den Aufsichtstrat zu bringen“, so Griess weiter und ergänzt: „Mehr Internationalität im Aufsichtsrat hilft dabei, eine fundierte Sicht auf Entwicklungen in ausländischen Märkten zu erlangen.“

Kritik an hohem Durchschnittsalter

Knapp jeder fünfte Investor (19 Prozent) ist der Meinung, dass es sehr wichtig sei, dass Aufsichtsratsgremien in ihrer Altersstruktur möglichst vielfältig sind. Weitere 41 Prozent halten dies für eher wichtig. Auch hier klaffen Wunschvorstellung der Investoren und Realität aber (noch) auseinander: Nur knapp fünf Prozent der Aufsichtsratsmitglieder in den 99 untersuchten Top-Finanzunternehmen sind unter 50 Jahre alt, der Anteil der über 70-Jährigen ist dagegen fast doppelt so hoch (neun Prozent). Fast die Hälfte (49 Prozent) der Aufsichtsräte ist zwischen 60 und 70 Jahren alt. Im Schnitt sind die Mitglieder 61 Jahre alt – am jüngsten in Norwegen (57) und in Dänemark am ältesten (63). Die Aufsichtsräte der untersuchten deutschen Unternehmen sind im Schnitt 60 Jahre alt.

„Überraschend ist das vergleichsweise hohe Durchschnittsalter wegen der Anforderungen, die an Aufsichtsräte gestellt werden, nicht“, sagt Dr. Max Weber, Partner und EMEIA Sustainable Finance Banking & Capital Markets Leader bei EY: „Zum Teil ist das so, weil die Aufsicht eine mehrjährige Berufserfahrung in leitenden Funktionen vorsieht. Möglicherweise mangelt es aber auch an Anreizen, den Job eines Aufsichtsrats beispielsweise schon mit 40 Jahren zu übernehmen. Zur Diversität gehört aber mit Sicherheit auch, dass im Aufsichtsrat jüngere Mitglieder vertreten sind. Insbesondere wenn es um die Überwachung von Themen geht, die für die nächsten Generationen entscheidend sind, wie der Klimawandel und die Digitalisierung.“

Traditionelle Kompetenzen werden gut abgedeckt

Zufrieden ist der Großteil der befragten Investoren dagegen damit, wie europäische Finanzdienstleistungsunternehmen die „traditionellen“ Bereiche Vorstandserfahrung, Politik, Buchhaltung, Recht und Compliance behandeln. Die Zahlen belegen dies deutlich: Insgesamt hatten fast alle Aufsichtsräte (93 Prozent) zuvor bereits andere Aufsichtsratsmandate inne. Mehr als jeder Zweite (56 Prozent) hatte oder hat eine Vorstandsrolle in einem anderen oder dem gleichen Unternehmen. Auch auf Erfahrungen aus Politik, Verbänden und Regierungen kann gebaut werden: Ein Drittel der Aufsichtsräte von Finanzdienstleistungsunternehmen (33 Prozent) kann entsprechende Kompetenzen vorweisen.

ESG-Faktoren wichtig für Investoren – aber unterrepräsentiert

Trotz aller Zufriedenheit bei „traditionellen“ Themen – einige wichtige Themen finden sich im Kompetenzprofil der Aufsichtsräte kaum oder gar nicht: Nur zwei Prozent aller Aufsichtsräte in den untersuchten Finanzunternehmen haben einen ESG- oder Sustainability-Hintergrund. Deutschland bildet zusammen mit der Schweiz das Schlusslicht in dieser Kategorie: Nur ein Prozent der Aufsichtsräte der beiden Länder verfügt über Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit. Insgesamt hat so weniger als ein Fünftel (19 Prozent) der Unternehmen mindestens einen Aufsichtsrat mit Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit.

„Die Aufsichtsbehörden erwarten, dass sich jedes Aufsichtsratsmitglied nicht nur mit den allgemeinen Bankrisiken, sondern auch mit den jeweiligen geschäftsmodellspezifischen Risiken seiner Bank auskennt und diese beurteilen kann“, betont Griess: „Stakeholder erwarten darüber hinaus, dass sich der Aufsichtsrat mit gesellschaftlichen Themen wie dem Klimawandel, sozialen Aspekten oder der Digitalisierung auseinandersetzt und den Vorstand hier fordert. Aufsichtsräte stehen dadurch inzwischen stärker in der Verantwortung und müssen sich deshalb auch intensiver mit der Bank und den eingegangenen Risiken beschäftigen.“

Gerade Nachhaltigkeit ist für Investoren von großer Wichtigkeit. Fast zwei Drittel (62 Prozent) von ihnen sagt, dass die Erfahrung in der Aufsichtsratsetage im Bereich Nachhaltigkeit/ESG wichtig bis sehr wichtig sei – und damit ein entscheidender Faktor, ob ein Unternehmen eine attraktive Investition ist. Allerdings: Die Daten der Studie deuten darauf hin, dass es in Europa einen Trend gibt, Aufsichtsratsmitglieder mit Nachhaltigkeitserfahrung zu ernennen. Fast die Hälfte (45 Prozent) der Aufsichtsräte mit Nachhaltigkeitserfahrung wurden in den vergangenen drei Jahren in ihre Position berufen.

Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Investoren sagt zudem, dass es ein „bedeutendes Problem“ sei, wenn ein Unternehmen in seinem Aufsichtsrat wenig oder keine Erfahrung mit Cybersicherheit hat. Aber genau das ist der Fall: Keines der untersuchten europäischen Finanzdienstleistungsunternehmen hat Aufsichtsratsmitglieder mit Berufserfahrung in der Cybersicherheit im Aufsichtsrat.

Ähnlich sieht es im Bereich FinTechs aus: Die Mehrheit (54 Prozent) der Investoren in Finanzunternehmen ist der Meinung, dass auf Aufsichtsratsebene Erfahrungen bezüglich FinTechs vorhanden sein sollte. Die Realität: Weniger als jedes zehnte (neun Prozent) Unternehmen verfügt über Fintech-Erfahrungswerte in seinem Aufsichtsrat.

Weber: „Aufsichtsräte der Zukunft müssen in der Lage sein, den Markt vorauszudenken, Veränderungen und Fortschritten zuvorzukommen. Nur so können sie die Strategie des Unternehmens beeinflussen und sowohl aktuelle als auch zukünftige Risiken einschätzen. Ein starkes Verständnis von Nachhaltigkeit und Technologie ist dafür essenziell.“

Die Studie „Boardroom Monitor“ können Sie hier kostenlos bestellen.

Quelle: UD/cp
 

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