„Billig ist eigentlich teuer“
Seit Juni 2012 leitet Dr. Ursula Hudson die Geschicke von Slow Food Deutschland. Im Vorfeld des „Markt des guten Geschmacks – die Slow Food Messe“ (10. - 13 April) erklärt sie warum regionale Lebensmittel nicht zwangsläufig gute Lebensmittel sein müssen, warum billige Einkäufe langfristig richtig teuer werden können und welche sinnvollen Alternativen es zum Einkauf im Supermarkt es gibt.
31.03.2014
Frau Dr. Hudson, der Lebensmitteleinzelhandel hat als neuen Trend das Thema „regionale Lebensmittel“ ausgemacht. Für eine Organisation wie Slow Food, die sich die regionale Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, muss das doch ein Grund zur Freude sein, oder?
Dr. Ursula Hudson: Natürlich ist das ein Grund zur Freude – aber nicht ausschließlich, denn ganz so einfach ist es nicht. Neben der Regionalität müssen wir auch die Qualität des Lebensmittels beachten. Qualität orientiert sich in der Vorstellung von Slow Food grundsätzlich an den Prinzipien gut, sauber und fair: Lebensmittel müssen schmackhaft, nahrhaft und frisch sein, sie müssen hergestellt sein, ohne Schaden an Umwelt, Mensch oder Tier anzurichten, und sie müssen mit fairen Löhnen und zu fairen Preisen vertrieben werden. Die Regionalität spielt da hinein – gerade frische Lebensmittel, die nur kurze Wege zurücklegen müssen, können zum Beispiel mit einem optimalen Reifegrad geerntet werden und sind dadurch nahrhafter und geschmackvoller. Aber alleine reicht uns die Regionalität als Qualitätsprinzip noch nicht.
Neben verschiedensten Labeln für regionale Produkte findet man im Supermarkt aber auch immer weitere Labels und Siegel: Bio, Öko, Fair Trade, … Der Verbraucher weiß schon gar nicht mehr, nach was er Ausschau halten soll. Wann ist ein Lebensmittel tatsächlich auch ein „gutes“ Lebensmittel?
Hudson: Für Slow Food ist ein „gutes“ Lebensmittel eines, das den schon beschriebenen Dreiklang gut, sauber und fair erfüllt. Das erkennen zu können, erfordert tatsächlich etwas Wissen, oder Übung, weswegen Slow Food durch verschiedenste Aktivitäten Wissen und Können rund um unser Essen vermittelt. Das sind teils ganz strukturierte Bildungsmodule für Schulen, aber auch geführte Verkostungen für Erwachsene, gemeinsames Kochen und ganz einfach mit den Erzeugern zu sprechen und ihre Produkte zu probieren. Das alles können zum Beispiel die Besucher auf dem „Markt des guten Geschmacks“ erfahren: In den von Fachleuten und Erzeugern geleiteten Geschmackserlebnissen lernen sie Lebensmittel durch Geschmacksvergleiche und Hintergrundinformationen intensiv kennen. In der Kochwerkstatt können unsere Besucher mit erfahrenen Küchenprofis gemeinsam kochen und selbstverständlich kann man überall auf dem Markt gute, saubere und faire Lebensmittel probieren und mit den Erzeugern, die oft selbst mit dabei sind, sprechen.
Derartig umfassende, tiefgehende Informationen, die vor allem auch mit dem sinnlichen Erlebnis des Schmeckens verknüpft sind, lassen sich durch Siegel schwer darstellen. Siegel, wie zum Beispiel das Bio- oder das Fair-Trade-Siegel, geben generell in eine ganz bestimmte Richtung Auskunft, über einen bestimmten Aspekt des Lebensmittels. Der Slow-Food-Ansatz ist breiter und unmittelbarer, und, das nicht zu vergessen: genussvoller.
Wir haben jetzt die ganze Zeit über Supermärkte gesprochen. Slow Food liegen aber vor allem kleine, regionale Produzenten am Herzen, die meist gar nicht in der Lage sind, ganze Supermarktketten mit ihren Produkten zu bedienen. Wie komme ich als Verbraucher an diese Produzenten ohne in den Supermarkt zu gehen?
Hudson: Es gibt da schon viele Möglichkeiten, wenn auch noch nicht ganz in derselben Angebots-Bandbreite wie das die Supermärkte anbieten können oder zu denselben Öffnungszeiten. Ich denke an Biokisten, an Genussgemeinschaften, an Direktbestellungen und an die vielen Bauernmärkte, die es noch oder schon wieder gibt, und die es sich so lohnt aufzusuchen: für die Frische der Lebensmittel und die Möglichkeit, die Personen auch kennen zu lernen, die unser Essen herstellen. Und ein gut geplanter Einkauf beim Wochenmarkt reicht auch gut und gerne für eine Woche.
Erstrebenswert ist natürlich auch, dass die Supermärkte ihre regionale Beschaffung ausweiten, also mehr Lebensmittel anbieten, die tatsächlich aus der Region kommen. So können die Supermärkte eine Plattform werden, wo die Verbraucher den lokalen Erzeugern und Produkten wieder näher kommen.
Von vielen Seiten kommt immer wieder der Vorwurf: „Gutes und gesundes Essen ist in Deutschland viel zu teuer. Das ist nur was für Leute mit einem dicken Geldbeutel“. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Hudson: Teuer ist gutes und gesundes Essen nur, wenn man nicht lokal und saisonal einkauft. Gerade bei Frischeprodukten wie Gemüse und Obst ist das so: zu den Jahreszeiten, wenn sie Saison haben, sind sie überaus preiswert, und über das Jahr hinweg hat immer etwas Saison. Wo nicht, kann man zum Beispiel auf Selbstverarbeitetes zurückgreifen, und sich so die Sommersonne in den Winter holen.
Vor allem aber müssen wir damit aufhören, uns von dem Billiggeschrei verführen zu lassen. Billig ist eigentlich teuer, und die vermeintlich billigen Produkte der Lebensmittelindustrie sind Augenwischerei – denn wer zahlt die Folgekosten dieser billigen Herstellung? Herstellung zu Niedrigkosten bedeutet nämlich Massentierhaltung, Auslaugen der Böden oder die sozialen Langzeitfolgen von Qualifikationsverfall – und das ist für uns als Gesellschaft, für die kommenden Generationen, sehr teuer.