Südafrika: Rebensaft, der Hoffnung macht
Wenn ein schlechtes Gewissen bleibt, dann einzig wegen des Alkohols. Zunehmend haben Weinfreunde die Chance, auf ethisch verarbeiteten Wein aus Südafrika zurückzugreifen. Die millionenschwere Weinindustrie des Landes boomt nicht nur dank einer wachsenden Mittelklasse und ihres guten Rufs in der ganzen Welt - sie ist auch einer der wichtigsten Märkte für Social Corporate Responsibility (CSR) im südlichen Afrika.
05.02.2016
Über 290.000 Südafrikaner beschäftigt die Industrie. Und noch viele mehr könnte sie aus der allgegenwärtigen Armut ziehen, wie die Weinbauern des Kapstaats nach und nach erkennen. Bereits jetzt ist Südafrikas Weinsektor ein Marktführer, was die Standards für ethische Arbeitsbedingungen und Umwelt anbelangt. Daher stammen 60 Prozent der weltweit verkauften Fair-Trade-Weine. 93 Prozent der Weingüter waren 2015 als „umwelttechnisch nachhaltig“ zertifiziert. Ein Bruch mit der dunklen, oft gewaltvollen Vergangenheit der Branche?
2011 befragte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Weinarbeiter bei Kapstadt und machte teils erschreckende Entdeckungen. Ein Farmarbeiter lebte mit seiner Familie in einem undichten Schweinestall, ohne Strom und Wasser. Um die Arbeitsbedingungen stand es kaum besser: Beim Einsatz von Chemiedünger waren die Arbeiter meist ungeschützt und versuchten sich mit Sonnenbrillen und Baseballcaps zu helfen. Bereits 2003 stellte Südafrikas Menschenrechtskommission (SAHRC) „Verletzungen der Arbeits- und Menschenrechte“ von Landarbeitern fest. 2013 regte sich erstmals Widerstand. In Massenprotesten gingen Farmarbeiter in der Weinbauregion rund um Kapstadt auf die Straße. Felder brannten ab. Mindestens drei Menschen wurden getötet.
Bezahlung in Wein statt Geld
Noch immer liegt vieles im Argen: Kommt es zur Bezahlung, erhalten einige Arbeiter süßen, billigen Wein für ihre Mühen. Offiziell wurde das „Dop System“ (Afrikaans für „Gläschen“) vor mehr als 50 Jahren verboten und wird mit einer Million Rand (66.000 Euro) bestraft. Jedoch greifen viele Landwirte auf Schlupflöcher zurück, verkaufen billige Spirituosen in der farmeigenen Taverne auf Kredit. „Trinken ist Teil des Arbeiterlebens auf einer Farm“, weiß Susan Levine, Anthropologin an der Universität Kapstadt.
In den „Winelands“ der Region Westkap verzeichnet die WHO die höchste Rate an Fetalem Alkoholsyndrom (FAS) der Welt. Jeder 17. Südafrikaner leidet an dieser Entwicklungsstörung, die sich durch fehlgebildete Nasen, Ohren und Augen sowie Lernschwächen und Aggression zeigt. Das sind 100 Mal so viele wie in den USA. Viele Familien zerreißen an den Folgen, so Levine. „Ohne existierende Maßnahmen, um die Alkoholsucht zu drosseln, führte das System zu einer furchtbaren, aber vorhersehbaren sozialen Krise.“
Das „Pebbles Project“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Farmarbeitern und ihren Familien zu helfen – unter anderem im Kampf gegen FAS. Auf zwölf Weinfarmen im Westkap ist die Organisation bereits vertreten, mit Kindertagesstätten, Schulen und Ausbildungszentren. Im Fokus stehen die Kinder der Farmarbeiter, die von „Pebbles“ warme Mahlzeiten, Aufklärungen zum Thema HIV/Aids und Betreuung durch fest angestellte Pädagogen erhalten. 1.034 Kindern konnte die Organisation seit der Gründung 2004 helfen.
Auch die Arbeiter und die umliegenden Weindörfer profitieren etwa durch Kurse über wirtschaftliche Selbstständigkeit. „Viele Farmbesitzer wollen den Arbeitergemeinden helfen, wissen aber nicht wie. Ihre Expertise umfasst Traubenzüchten und Weinkeltern, jedoch nicht die sozialen Probleme ihrer Arbeiter“, sagt Charmaine Gola, Sprecherin von „Pebbles“. Dabei handle es sich jedoch nicht um Wohltätigkeit, sondern um eine Partnerschaft. Denn die Zahl der Winzer, welche die soziale Serviceleistung aus eigener Tasche bezahlen wollten, wachse ständig.
2013 arbeitete „Pebbles“ mit dem Pharmakonzern Cipla zusammen, um auf der Farm Villiera im Weinort Stellenbosch seine erste Klinik zu eröffnen. Das Gesundheitszentrum „Owethu“ (isiXhosa für „Unsere“) besteht aus zwei Sprechzimmern, einer Zahnklinik und einer Apotheke. Vier medizinische Fachkräfte behandeln die Kinder der Farmarbeiter kostenlos; die Bewohner der umliegenden Dörfer zahlen für die Behandlung eine Monatsgebühr von 50 Rand (3 Euro). Allein im letzten Jahr zählte „Owethu“ mehr als 5.200 Patienten.
„Villiera hat nach und nach soziale Verantwortung übernommen. Spätestens als 1994 die erste demokratische Regierung gewählt wurde, erkannten wir, dass wir mehr zu der Nationenbildung beitragen mussten“, sagt der Besitzer des Familienbetriebs, Simon Grier. Zudem habe die neue Regierung den Südafrikanern Versprechen gemacht, die unmöglich einzuhalten gewesen seien. „Zumindest können wir helfen, die Erwartungen unserer Arbeiter zu erfüllen.“ Dafür beschäftigt die Farm auch zwei Vorschullehrer, die sich um die 30 Kinder der Angestellten kümmern. Seit 13 Jahren verzichte man auf Insektizide, setze für die Schädlingsbekämpfung stattdessen auf rund tausend Pekingenten. Für die Arbeiter gibt es regelmäßige Workshops über Recycling, Wassermanagement und gesundheitliche Themen. „Wenn man Gutes tun kann und es macht auch wirtschaftlich Sinn, weshalb sollte man keinen Beitrag leisten?“, fragt Grier.
Einkauf pusht CSR-Gedanken
Ralph Hamann, CSR-Experte an der Universität Kapstadt, stimmt zu: „Die Verantwortung, die galoppierende Ungerechtigkeit zu bezwingen, ist groß in Südafrika, vor allem in der Weinregion.“ Laut Weltbank ist Südafrika das Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung. Doch auch die Wirtschaftlichkeit spiele eine große Rolle. „Halten sich Farmer nicht an gewisse Standards, könnten sie Zugang zu Märkten verlieren“, meint Hamann. Vor allem große Handelsketten in Übersee achteten auf Zertifizierungen über Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen – bei einem Export von 55 Prozent der Weinernte nicht unentscheidend. 2014 investierten Familienbetriebe, die das Rückgrat von Südafrikas Weinindustrie bilden, deshalb 38 Millionen Rand (zwei Millionen Euro) in 232 CSR-Projekte, den Großteil davon in Bildung.
Die soziale Verantwortung auf ein neues Level gebracht hat Mark Solms mit seiner Weinfarm „Solms Delta“. Eigentlich ist der Weinbau nur ein Hobby des in Namibia geborenen Psychoanalytikers. Doch schon als er 2001 die Farm im verschlafenen Ort Franschhoek erwarb, erklärte er: „Man kann kein Land in Besitz nehmen, ohne gleichzeitig auch seine Geschichte zu übernehmen.“ Eine Einstellung, die neues Gewicht bekam, als er Archäologen beauftragte, die Geschichte seines Landes zu untersuchen - und diese unter seiner Farm auf ein 20.000 Jahre altes Khoisan-Dorf stießen.
Die Ureinwohner des südlichen Afrikas gelten als ältestes Volk der Welt. Ihre Nachfahren leben bis heute marginalisiert und in Armut am Rand der Gesellschaft. Solms sah es als moralische Pflicht, zu handeln. 2005 überzeugte er den Besitzer der Nachbarfarm, gemeinsam einen Kredit aufzunehmen und eine dritte Farm zu kaufen. Besitzer wurde der neugegründete „Wijn de Caab“-Fonds, der 180 Farmarbeiter und ihre Familien vereint.
Mit jeder Flasche verkauftem Wein gehen über den Fonds nun 33 Prozent an die Arbeiter. Häuser, eine Krankenversicherung, Schulgeld und eine Krabbelstube sind nur einige Beispiele der sozialen Sicherheit, die die Arbeiter bis dahin nicht kannten. Mark Solms gilt als Vorreiter in Südafrikas Weinindustrie, die immer noch vom Erbe der Apartheid profitiere. „Wein wird von Menschenhand gemacht und die Einstellung der Arbeiter entscheidet darüber, was in die Flasche kommt. Arbeitet jemand mit Verbitterung und Hass, was ist dann das Endprodukt?“