Glas für Batterieelektrode
Heutige Lithium-Ionen-Batterien sind gut, aber nicht gut genug, falls unser künftiges Energiesystem auf elektrischen Strom abstützt. Chemiker und Materialforscher der ETH Zürich haben nun ein Material entwickelt, das als Elektrodenmaterial in Lithium-Ionen-Batterien die Kapazität und Energiedichte heutiger Batterien massiv erhöhen dürfte.
18.02.2015
Energieexperten betonen es schon eine Weile immer wieder aufs Neue: In Zukunft werden wir viel mehr (sauberen) Strom brauchen, um fossile Energieträger zu ersetzen und den CO2-Ausstoß zu verringern. So sollen beispielsweise anstelle von benzinbetriebenen Autos Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen verkehren. Doch damit Elektrofahrzeuge große Reichweiten oder Handy-Batterien möglichst lange Akkulaufzeiten erreichen, braucht es
mehr und bessere Batterien. Auch beim Umstieg auf erneuerbare Energiequellen spielen Speicher eine wichtige Rolle, um überschüssigen Strom aus Wind- oder Solarenergieanlagen zu lagern und Schwankungen bei der Energiebereitstellung auszugleichen.
Die Forschung sucht deshalb fieberhaft nach neuen Materialien, die bei gleichem Volumen und Gewicht eine höhere Energiedichte und mehr Ladekapazität aufweisen als die heutigen Lithium-Ionen-Batterien. Diese liefern unseren Smartphones, Elektroautos und Laptops zuverlässig Strom, können aber mit den wachsenden Anforderungen an Batterien nicht mithalten. "Was wir brauchen, sind neue Materialien und eine komplett neue Chemie um
sichere, bessere und langlebigere Batterien zu entwickeln", fasst Semih Afyon, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektrochemische Materialien, die Grundidee der Batterieforschung zusammen.
Glaspartikel statt Kristalle
ETH-Wissenschaftler unter der Leitung von Semih Afyon und des emeritierten Chemieprofessors Reinhard Nesper sind diesbezüglich nun fündig geworden. In mehrjähriger Forschungsarbeit sind sie auf ein Material gestossen, das die Batterieleistung verdoppeln könnte. Dabei handelt es sich um ein
Vanadat-Borat-Glas, das die Forscher als Kathodenmaterial verwenden, wie sie kürzlich in der Fachzeitschrift "Scientific Reports" berichteten. Das Material besteht aus Vorläufersubstanzen von Vanadiumpentoxid (V2O5) und Lithium-Borat (LiBO2), das überdies mit reduziertem Graphitoxid (RGO) beschichtet wurde, das die Leistung des Materials als Elektrode verbessert.
Die Forscher verwendeten eine vanadiumbasierte Verbindung, weil es von Vanadium zahlreiche Oxidationsstufen gibt. Vanadiumpentoxid beispielsweise kann in kristalliner Form drei positiv geladene Lithium-Ionen aufnehmen – dreimal mehr als Lithium-Eisen-Phosphat, das in heutigen Kathoden verwendet wird.
Allerdings kann kristallines Vanadiumpentoxid nicht alle der eingelagerten Lithium-Ionen freigeben und es lässt nur wenige stabile Lade-Entlade-Zyklen zu. Denn beim Laden dringen die Lithium-Ionen in das Kristallgitter ein, sodass die Elektrodenpartikel insgesamt anschwellen, nur um zu schrumpfen, sobald die Ionen die Partikel verlassen. Dies kann dazu führen, dass sich die Struktur des Elektrodenmaterials verändert und Kontakte verloren gehen.
Die Forscher mussten deshalb eine Lösung dafür finden, damit das Elektrodenmaterial bei maximierter Kapazität seine Struktur beibehält. So kamen sie auf die Idee, statt einer kristallinen Form ein Vanadium-"Glas" zu verwenden. Glas hat eine sogenannte amorphe Struktur, in der sich die Atome nicht wie in einem Kristall in einem regelmässigen Gitter anordnen, sondern in einem wilden Durcheinander.
Kostengünstige und einfache Produktion
Um das Material für die Batteriekathode herzustellen, vermengten die Wissenschaftler pulverförmiges Vanadiumpentoxid mit glasbildenden Boraten. "Das aus dieser Mischung resultierende Glas ist ein neuartiges Material, im Endeffekt also weder Vanadiumpentoxid noch Lithium-Borat" sagt der Forscher. Vanadium (V5+) sei dennoch der aktive Stoff, der die Lithium-Ionen beim Entladen der Batterie aufnehme.
Die Forscher schmolzen das Pulver bei 900 Grad und kühlten die Schmelze so rasch als möglich ab. Dabei entstanden hauchdünne Glasplättchen, welche vor ihrer Verwendung wieder zu Pulver zerstossen wurden, um die Oberfläche zu vergrössern und Porenraum zu schaffen. "Ein grosser Vorteil des Vanadat-Borat-Glases ist seine einfache und kostengünstige Herstellung", betont Afyon. Das erhöhe die Chancen für eine industrielle Anwendung.
Um eine leistungsfähige Elektrode zu erzeugen, beschichtete der Forscher das Vanadat-Borat-Pulver zudem mit reduziertem Graphitoxid (RGO). Dieses erhöht einerseits die Leitfähigkeit und schützt andererseits die Elektrodenpartikel. Es behindert die Elektronen und Lithium-Ionen bei ihrem Transport durch die Elektrode jedoch nicht. Aus dem neuen Material gestaltete Afyon schliesslich die Kathode, die er in Prototypen von Knopfzellenbatterien einsetzte.
Bis zu zweimal mehr Strom
Zu Testzwecken unterzog der Forscher diese Prototypen zahlreichen Lade-Entlade-Zyklen. Bei ersten Versuchen mit Vanadat-Borat-Elektroden, die nicht mit RGO beschichtet wurden, fiel die Entladekapazität nach 30 Lade-Entlade-Zyklen drastisch ab, sobald die gespeicherte Ladungsmenge auf 400 Milliampere pro Gramm (mA/g) erhöht wurde. Mit RGO-Beschichtung hingegen blieb die Kapazität auch bei ziemlich hohen Stromraten über 100 Lade-Entlade-Zyklen stabil.
Eine Batterie mit einer RGO-beschichteten Vanadat-Borat-Elektrode verfügte über eine Energiedichte von rund 1.000 Wattstunden pro Kilogramm. Sie erreichte eine Entladekapazität, die deutlich über 300 mAh/g lag. Anfänglich lag diese sogar bei 400 mAh/g, verringerte sich allerdings im Lauf der Lade-Entlade-Zyklen.
"Diese Energie würde dennoch reichen, um ein Handy eineinhalb Mal bis doppelt so lange mit Strom zu versorgen wie heutige Lithium-Ionen-Akkus", schätzt Afyon. Auch könnte dies die Reichweite eines Elektroautos um das Eineinhalbfache vergrössern. Noch sind diese Werte allerdings rechnerischer Natur.
Patent und Weiterentwicklung
Die Forscher haben ihr neues Material bereits zum Patent angemeldet. Für dessen Entwicklung arbeiteten sie zudem mit der Industrie zusammen. Bis sich ein neues Prinzip am Markt durchsetze, würden wohl zehn bis 20 Jahre vergehen. Die guten Ergebnisse, die die Forscher mit Vanadat-Borat-Glas erzielten, ermutigten sie zu weiterer Forschung. Ein Konsortium unter Jennifer Rupp, Professorin für Elektrochemische Materialien, in dem Afyon Projektleiter ist, arbeitet an einer neuartigen Feststoff-Batterie. In diesem System wird die Vanadat-Borat-Elektrode schon eingesetzt und geprüft. Nun seien sie daran, das System zu optimieren. Insbesondere die Zahl der Lade-Entlade-Zyklen müsse noch stark erhöht werden, was mit einer besseren Auslegung der Batterie und der Elektrode sowie alternativen Beschichtungen anstelle von reduziertem Graphitoxid erreicht werden könne, sagt Afyon.