Der Beginn einer Verpackungsrevolution
Wir Menschen haben bereits mehr als 8 Milliarden Tonnen Plastik produziert. Jährlich kommen etwa 80 Millionen Tonnen Verpackungen aus Plastik dazu, nur die Hälfte davon wird wiederverwertet, der Rest landet in der Müllverbrennung oder verschmutzt Wälder und Wiesen, Seen und Meere. Mit einer neuen Materialklasse, den bioORMOCERen, ist Dr. Sabine Amberg-Schwab vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg einer Lösung auf der Spur.
11.09.2018
Gratulation, Frau Dr. Amberg-Schwab. Sie haben einen bioabbaubaren und kompostierbaren Barrierelack entwickelt und dafür den »New Plastics Innovation Prize« bekommen. Ist das der Beginn einer Verpackungsrevolution?
Das weltweite Problem des Verpackungsmülls beschäftigt uns hier am ISC schon lange. Wir sind stolz, mit unserer Forschung einen wertvollen Beitrag zu leisten, um den Plastikmüllberg zu verringern. Aber von einer Verpackungsrevolution würde ich nicht sprechen. Mit unserer jahrzehntelangen Erfahrung bei der Entwicklung von Barriere-schichten auf Verpackungsfolien auf der Basis von ORMOCER®en war es ein naheliegender Schritt, Beschichtungen für Folien zu erforschen, die biobasiert und biologisch abbaubar sind.
Mit Ihrer neu entwickelten Materialklasse, den bioORMOCER®en, beheben Sie die Schwächen der Biokunststoffe und rüsten diese praktisch auf. Können Sie das erklären?
Auf dem Markt gibt es schon seit einiger Zeit bioabbaubare und kompostierbare Verpackungsmaterialien aus Zellulose sowie aus Polymilchsäure oder Stärke-Blends. Allerdings können diese Biopolymere nur bedingt eingesetzt werden, weil sie den verpackten Lebensmitteln keinen ausreichenden Schutz gegenüber Wasserdampf und Sauerstoff gewähren können. Das heißt, diese Materialien sind zu durchlässig für Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlendioxid und Aromastoffe. Daher kann auch die erforderliche Mindesthaltbarkeit für diese Lebensmittel mit diesen Biopolymeren nicht garantiert werden. Wir haben deshalb diese Biokunststoffe mit speziellen biobasierten und bioabbaubaren Lacken aufgerüstet und in ihren Eigenschaften verbessert. So kann nun ausreichender Schutz gegenüber Wasserdampf, Gaszutritt und unerwünschtem Übergang von Fremdstoffen auf den Verpackungsinhalt erreicht werden. Wir wollen kompostierbare Polymerfolien konkurrenzfähig machen und ihnen zu einer breiten Marktdurchdringung verhelfen.
Sind Sie mit Ihrem neuen Produkt schon am Markt?
Wir haben die ersten kompostierbaren Beschichtungen entwickelt und Folien damit ausgerüstet. Diese Folien erfüllen alle gewünschten Eigenschaften wie etwa eine Wasserdampf- und Sauerstoffbarriere. Nach ihrem Einsatz zersetzt sich die beschichtete Folie vollständig unter den Bedingungen eines Komposts.
Wie lange wird es dauern, bis wir Käse, Chips oder andere Lebensmittel in kompostierbaren Verpackungen kaufen können, die mit bioORMOCER®en beschichtet sind?
Zunächst stehen wir im Bereich Verpackungen vor einer großen Herausforderung. Konventionelle Kunststoffverpackungen auf fossiler Ausgangsbasis sind extrem günstig, weit entwickelt und optimiert. Unsere neuen Materialien können preislich noch nicht mithalten. Trotzdem bin ich optimistisch: Wir haben das Grundmaterialsystem entwickelt, jetzt suchen wir Firmen, die die Idee mit uns weitertreiben. Die Chancen stehen jedenfalls ganz gut: Im Rahmen der »Circular Materials Challenge«, bei der wir den »New Plastic Innovation Prize« gewonnen haben, nehmen wir an einem zwölfmonatigen »Accelerator-Programm« teil. Das bringt uns in Kontakt mit Firmen, die ebenfalls an der Entwicklung nachhaltiger Verpackungsmaterialien interessiert sind. Unsere ersten neuen kompostierbaren Beschichtungsmaterialien stehen für Versuche und weitere Optimierungen zur Verfügung.
Was bedeutet Ihre Erfindung für die Natur und die Umwelt langfristig?
Unser Ansatz hilft der Umwelt zweifach: Wir greifen auf biobasierte Ausgangsverbindungen zurück. Für unsere Beschichtungen können wir Lebensmittelabfälle oder Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung nutzen. Das schont die weltweiten Ressourcen. Dazu kommt, dass die bioORMOCER®e bioabbaubar und kompostierbar sind, im Gegensatz zu den gegenwärtig eingesetzten Kunststoffmaterialien auf fossiler Basis, die sich in der Natur nicht oder nur sehr langsam abbauen. Welche Folgen das hat, sieht man zum Beispiel an den Plastikteppichen in den Weltmeeren.
Eine ketzerische Frage zum Schluss: Wäre es nicht am sinnvollsten, keine Verpackungsmaterialien mehr zu verwenden?
Richtig, wir sollten an möglichst vielen Stellen versuchen, Verpackung zu vermeiden. Aber das wird nicht flächendeckend funktionieren. Für eine echte Verpackungsrevolution brauchen wir deshalb verschiedene Säulen. Verpackungen entwickeln, die kompostierbar sind. Verpackungen im Kreislauf behalten, recyceln und Verpackungen vermeiden.
Das Interview führte Andrea Schwendemann.