Innovation & Forschung

Denken auf Vorrat möglich machen

Im Rahmen der strategischen Vorausschau sammelt der Zukunftskreis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Orientierungswissen über mögliche zukünftige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen. Das Ziel: Weichen zu stellen, um Herausforderungen frühzeitig zu begegnen. 16 Expertinnen und Experten beraten disziplinübergreifend über Zukunftstrends. Wir stellen sie vor. Los geht es mit Cornelia Daheim, Vorsitzende des Zukunftskreises.

19.03.2021

Denken auf Vorrat möglich machen zoom

Der vielzitierte „Blick in die Glaskugel“ und die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Politikberatung sind ja komplett unterschiedliche Dinge. Was machen Sie genau, Frau Daheim?

Cornelia Daheim: Als Foresight-Beraterin beteilige ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Zukunftskreis an sogenannter strategischer Vorausschau. Da steckt zwar „schauen“ drinnen, aber um den berühmten Blick in die Glaskugel geht es tatsächlich nicht. Eine Prognose dazu, was mit Sicherheit in der Zukunft passieren wird, wäre mit seriösen wissenschaftlichen Methoden auch gar nicht möglich. Was aber möglich ist, das ist etwas, das wir „Denken auf Vorrat“ nennen. Wir versuchen also, mit Zukunftsforschungsmethoden die Politik zu unterstützen. Dabei werden alternative Szenarien entwickelt, sodass man eigentlich sagen muss, wir beschäftigen uns nicht mit Zukunft, sondern eher mit „Zukünften“. Diese Möglichkeiten diskutieren wir im Zukunftskreis und die dienen dann der Politik und auch der Gesellschaft allgemein als Orientierung.

Cornelia Daheim, Vorsitzende des Zukunftskreises des BMBF sowie Gründerin und Inhaberin von Future Impact Consulting.
Cornelia Daheim, Vorsitzende des Zukunftskreises des BMBF sowie Gründerin und Inhaberin von Future Impact Consulting.

Welche Wege und Methoden nutzen Sie dabei außer der Betrachtung möglicher Zukunftsszenarien?

Daheim: Die Methoden sind unglaublich vielfältig, und das macht die Arbeit für mich auch so spannend. Oft beginnt so ein Prozess mit Trendanalysen, bei denen es darum geht, was sich heute schon verändert. Das klassische Beispiel für Veränderungen, die bereits stattfinden, aber in Zukunft erst so richtig wirken, war lange Zeit der demografische Wandel. Inzwischen wäre der Klimawandel ein zusätzliches gutes Beispiel, wo wir versuchen, Veränderungen, zu denen uns bereits sehr gute und umfassende Daten und Erkenntnisse vorliegen, systematisch zu erfassen und abzuschätzen, wie sich dieser Wandel weiterentwickeln könnte und was wir diesbezüglich heute tun sollten oder könnten. Eine andere zentrale Arbeitsweise sind sogenannte Delphi-Befragungen. Hier befragen wir – digital und analog – Gruppen von Vordenkerinnen und Vordenkern dazu, was wann in der Zukunft passieren könnte und konfrontieren sie mit den unterschiedlichen Einschätzungen der anderen. So kann eine gemeinsame Reflexion über Unterschiede in den Annahmen und Zukunftseinschätzungen stattfinden. Mein Arbeitsgebiet ist also sehr geprägt durch einen permanenten fachlichen Austausch, wo man sich immer wieder gegenseitig kritisch prüft und untereinander Möglichkeiten reflektiert.

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Wissenschaft ist ja in der Pandemie „rund um die Uhr“ mit Analyse und Einordnung von Gegenwart beschäftigt. Warum dürfen wir gerade jetzt mögliche „Zukünfte“, wie Sie, Frau Da-heim, es nennen, nicht aus dem Blick verlieren?

Daheim: Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich: Durch Corona und die Folgen werden wir aktuell ja massiv darauf hingewiesen, wie schwer wir uns als Gesellschaft im Umgang mit Unsicherheit tun und wie sehr wir nach Sicherheit streben. Ich glaube, diese im Vergleich ja kurzfristige Corona-Zeit führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, Unsicherheit aushalten zu können und gerade in solchen Krisenzeiten sinnhaft und zielgerichtet handlungsfähig zu bleiben. Schließlich sollten wir niemals in ein rein passives Reagieren verfallen, sondern immer aktiv nach Steuerungsmöglichkeiten und gewünschten Zukünften suchen. In diesem Sinne macht die Gegenwart die Beschäftigung mit zukünftigen Szenarien eigentlich noch dringender. Ich denke, insbesondere die jüngere Generation wartet darauf, Handwerkszeug zu bekommen, um mit zukünftigen Entwicklungen umzugehen und diese aktiv zu gestalten. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass – anders als noch vor wenigen Jahren – bei jungen Erwachsenen ein wachsendes Bewusstsein dafür zu beobachten ist, wie wir langfristig Weichen stellen müssen. Ganz zentrale Themen hier sind Umwelt und Nachhaltigkeit. Denken wir nur an die vielen bei „Fridays for Future“ Engagierten oder an all jene, für die heute bei der Berufswahl weniger ein üppiges Gehalt, sondern persönliche Entfaltung, beispielsweise in einem Social-Start-up, ausschlaggebend ist.

Eines der zentralen Ergebnisse der Wertestudie, die im Rahmen der Strategischen Vorausschau jüngst durchgeführt wurde, ist ja, dass sich die Menschen eine solidarische Gesellschaft wünschen. Was wird uns als Gesellschaft in Zukunft denn sonst wichtiger und was wird weniger wichtig?

Daheim: Den Wunsch nach Solidarität würde ich tatsächlich betonen. Dieser zentrale Wert zeigt uns im positiven Sinne, wohin sich Zukunft entwickeln könnte. Im Gegensatz dazu stehen Szenarien, in denen eher Abwärtsdynamiken, beispielsweise basierend auf Klimawandelfolgen oder einem ungebremsten Erstarken des Populismus, beschrieben werden. Der Wunsch innerhalb der Gesellschaft, das zeigen uns die empirischen Daten, auf deren Basis dann positive Szenarien formuliert werden, nach mehr Gemeinsamkeit, nach stärkerem Füreinander-Einstehen ist jedoch in der ganzen Breite der Gesellschaft vorhanden. Eines der Szenarien, die ich meine, beschreibt die graswurzelartige Stärkung von Gemeinschaft vor Ort innerhalb von Nachbarschaften. Weitere Szenarien beschreiben zum Beispiel die verstärkte Suche nach Lösungen im europäischen Kontext. Der wissenschaftlich belegte gesellschaftliche Wunsch nach mehr Solidarität hat für mich aber durchaus einen Visionsaspekt, der uns Mut machen und helfen kann, mit aktuellen Herausforderungen, beispielsweise mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen, umzugehen.

 
 

Über Cornelia Daheim:

Cornelia Daheim ist die Vorsitzende des Zukunftskreises des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und die Gründerin und Inhaberin des Beratungsunternehmens Future Impacts Consulting. Sie arbeitet und forscht bereits seit dem Jahr 2000 zu den Themen Foresight, Zukunft der Arbeit, Energie, Mobilität, Ernährung, und gesellschaftlicher Wandel. Neben ihren Tätigkeiten beim Zukunftskreis und bei Future Impacts Consulting, ist Daheim zudem Vize-Präsidentin des Foresight Europe Network sowie Senior Fellow des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT).

Über die „Strategische Vorausschau“:

Die Strategische Vorausschau ist für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein wichtiges Instrument, um frühzeitig Orientierungswissen über mögliche zukünftige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu bekommen. Ziel ist es, die richtigen Weichen zu stellen, um künftigen Herausforderungen frühzeitig zu begegnen. Hierfür wurde der sogenannte Zukunftskreis berufen: 16 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen beraten das BMBF hinsichtlich Zukunftstrends. Aber auch den Bürgerinnen und Bürgern bieten die Ergebnisse der Vorausschau eine gute Orientierung für die Zukunft. Mehr Informationen finden Sie hier.

Quelle: UD
 

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