Nachhaltigere Kleidung durch Siebdrucken mit Mikroalgen
Mode und nachhaltige Materialien – eine interdisziplinäre Masterarbeit an der FH Bielefeld: Anne-Marie Sust entwickelte für ihre Abschlusskollektion innovative und umweltfreundliche Farbpasten auf Mikroalgenbasis.
19.01.2022
Bei der Entwicklung unterstützte sie die Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“. Die Arbeit wurde jetzt für den „Green Concept Award“ nominiert.
Weniger Wasserverbrauch, keine Schadstoffe
Bis ein T-Shirt bei uns im Kleiderschrank liegt, hat es oft eine lange und umweltschädliche Reise hinter sich. Bereits bei der Produktion der Baumwollfasern werden enorme Mengen an Wasser und Pestiziden eingesetzt. 200 Tonnen Wasser werden für das Färben und Veredeln von einer Tonne Textilien benötigt. Hinzu kommt: Diverse chemische Stoffe werden zum Färben und Bedrucken eingesetzt. Viele davon sind giftig, einige sogar krebserregend und die meisten stammen aus fossilen Ressourcen. Geht das anders?
Ein Raum am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld: Auf einem großen Holzschrank stehen Kleiderpuppen, an den Wänden gegenüber sind bunte Skizzen und Notizen angeheftet. An einer Kleiderstange hängen T-Shirts und Hoodies mit hellblauen Aufdrucken, dazwischen ein auffälliger Jeans-Overall mit detailliertem Print. Bei den Kleidungsstücken handelt es sich um die Abschlusskollektion von Anne-Marie Sust, Modestudentin an der FH Bielefeld. Die Kleidungsstücke hat sie nicht nur selbst entworfen und genäht, alle Stoffe hat sie auch bedruckt. Doch beim Betreten ihres Arbeitsraums steigt einem nicht der bekannte beißende Farbgeruch in die Nase. Denn die Grundlage für die blaue Farbe auf den Kleidungsstücken sind Mikroalgen.
2.700 Liter Wasser für ein konventionelles T-Shirt
Eigens für ihre Abschlussarbeit entwickelte Anne-Marie Sust innovative Mikroalgenfarben zum Bedrucken von Textilien. Unterstützung erhielt sie dabei von der Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“ des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik. Doch bis dahin war es ein langer Weg mit Versuchen und Experimenten.
Warum der Aufwand? Ein wesentlicher Motivationsgrund für Anne-Marie Sust war der nachhaltige Aspekt: „Aktuelle Herstellungs- und Färbeverfahren der Modebranche sind auf die Verwendung von nicht nachhaltigen Textilien und hochverschmutzenden Farbstoffen ausgerichtet. Allein für die Herstellung eines neuen T-Shirts benötigt man 2.700 Liter Wasser.“ Diesen Status quo findet die Studentin schlecht und überlegte sich alternative Möglichkeiten. Für ihre Kollektion verwendete sie Second-Hand Stoffe sowie biologische und fair gehandelte Naturstoffe.
Aus dem Laborkolben auf den Stoff
Ortswechsel: Wir befinden uns im Labor für Verfahrenstechnik, dem Wirkungsbereich von Dr. Vanessa Homburg von der Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Anant Patel. Statt Schneiderpuppe und Nähmaschine sind hier Mikroskop und Inkubator die täglichen Arbeitsgeräte. Dr. Vanessa Homburg hat im Bereich Mikroalgen promoviert und unterstütze Anne-Marie Sust bei der Umsetzung ihrer Idee.
Um zu verstehen, wie die nachhaltige blaue Farbe auf den Stoff kommen kann, muss man erst einmal begreifen, was Mikroalgen eigentlich sind. Homburg: „Bei Mikroalgen handelt es sich um mikroskopisch kleine Organismen, die genau wie Pflanzen in der Lage sind, Photosynthese zu betreiben, sich also im wesentlich aus Licht und CO2 zu ernähren. Um das Licht nutzen zu können und sich gleichzeitig vor den schädlichen Auswirkungen von zu viel UV-Licht zu schützen, nutzen sie Moleküle.“ Genau diese Moleküle nimmt das menschliche Auge als farbig wahr.
Grundpaste macht Farbstoff robuster
Als Dr. Vanessa Homburg und Prof. Dr. Anant Patel vom Projekt der Modestudentin hörten, waren sie sofort fasziniert von der Idee, das breite Spektrum der Mikroalgen auch abseits ihrer eigenen Versuchen zu nutzen: „Ich war mir sicher, dass es möglich ist, Mikroalgen zum Färben zu verwenden, bin aber aufgrund meiner Erfahrungen davon ausgegangen, dass diese Idee nicht so einfach umzusetzen sei.“ Doch die Skepsis verflog schnell: Bereits bei der ersten vermuteten „Hürde“, dem Austausch der konventionellen petrochemischen Pigmente gegen die Mikroalgen-basierten Pigmente gab es keine Probleme. „Wir waren ehrlich gesagt überrascht, dass wir eine Farbpaste herstellen konnten, ohne dass die Mikroalgen beispielsweise verklumpen oder sich direkt entfärben“, so Homburg.
Auch die Sorge, dass die Farben unter UV-Einwirkung sehr schnell ausbleichen, war unbegründet. Dies liegt unter anderem an einer speziellen Grundpaste, die bereits UV-Schutzmittel enthält. Anne-Marie Sust hat die Methode der Fixierung auf dem Stoff in vielen Versuchsreihen optimiert, um die Stabilität des Drucks gegenüber Abrieb (zum Beispiel bei Berührung) oder beim Waschen zu erhöhen. „Die genaue Zusammensetzung bleibt aber mein Betriebsgeheimnis“, so die Absolventin.
„Good Design grows better with Age“
Zurück im Arbeitsraum in der Lampingstraße: Gegenüber der Kleiderstange hängt das „Visionboard“ von Anne-Marie Sust mit Fotos von Kleidungsstücken, Farbpaletten und Laboren. Dazwischen der Spruch „Good Design grows better with Age“ (Gute Designentwürfe werden mit der Zeit besser). Ein wichtiger Ansatz für die Arbeit.
Die Mikroalgen, die Sust und Homburg für den Farbstoff verwenden, sind getrocknet, leben also nicht mehr. Daher können einmal durch Licht zerstörte Moleküle nicht neu produziert werden – die Farben verschwinden bei Sonneneinstrahlung. Sust: „Ziel meiner Arbeit ist es, den Betrachtenden für Vergänglichkeit und Nachhaltigkeit der Kleidung zu sensibilisieren. Die Entscheidungen, wie der oder die Tragende mit den lebenden Mikroalgenprints umgeht, liegt an ihr oder ihm selbst. Dadurch werden organische Prozesse und deren Vergänglichkeit zur Ästhetik erhoben.“
Viel Forschungspotential für nachhaltigere Verfahren
Übrigens, für Sust sind die blauen Farbtöne der Kollektion ein bewusster Hinweis auf die Wassermengen, die für die Produktion von konventioneller Kleidung benötigt werden. Allerdings sind mit dem entwickelten Verfahren auch andere Kolorierungen möglich, denn Mikroalgen gibt es in den unterschiedlichsten Farben. Sust und Homburg haben sich bei dem Projekt zunächst auf Mikroalgen beschränkt, die bereits für den Einsatz in Lebensmitteln zugelassen sind und daher auch in einem größeren Maßstab hergestellt werden können.
Spannend ist die Frage, ob das Verfahren auch für eine Massenproduktion geeignet ist. Dr. Vanessa Homburg: „Dafür stellt die große Menge der benötigten Mikroalgen-Pigmente noch eine Herausforderung dar. Auch muss noch untersucht werden, ob eine technische Qualität der Mikroalgen anstelle der von uns verwendeten Lebensmittel-Qualität ausreichend ist. Dies wäre nötig, um den Preis der Farben zu senken.“
Viel (Forschungs-)Potenzial also für alternative und umweltfreundlichere Druckverfahren. Für Anne-Marie Sust sind diese in der Modebranche allerdings unverzichtbar: „Wir müssen sowohl mit unseren Kleidungsstücken als auch mit unseren Ressourcen viel bewusster umgehen.“ Einen ersten Schritt in diese Richtung hat sie gemeinsam mit Vanessa Homburg mit ihrer Modekollektion getan.