Sturm im Becherglas - wie Biodiversitätsforscher die Welt und ihren Wandel simulieren
Globale Erwärmung, Ölkatastrophen, Entwaldung, Überfischung - wie viel Belastung durch die menschliche Lebensweise erträgt die Natur? Wie lange Ökosysteme stabil bleiben und uns mit den nötigen Diensten und Produkten versorgen, wann sie kippen und was das für uns bedeutet, kann kaum vorhergesagt werden. Leipziger Biodiversitätsforscher simulieren deshalb unsere Welt mit Pantoffeltierchen, Amöben und Bakterien aus dem Teich und prüfen, wie sich Ökosysteme durch Störgrößen wie Klimawandel, Nährstoffüberschuss u.a. verändern.
26.05.2010
Voraussagen zum globalen Wandel, welche Ökosysteme und ihre Artengemeinschaften sich wie durch menschlichen Einfluss verändern werden, basierten bisher vor allem auf Beobachtung der Veränderung von natürlichen Systemen. Forscher versuchen, das Zusammenspiel von natürlichen Systemen und ihrer Umwelt zu verstehen. Doch die Natur als Untersuchungsobjekt ist oftmals viel zu komplex und die Evolution zu langsam, um Entwicklungen vollständig beobachten und beschreiben zu können.
Dr. Ingo Fetzer und seine Kollegen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig bauen sich deshalb eine exemplarische Welt - mit ein paar Mikroben. Anhand von so genannten Modellorganismen, Pantoffeltierchen, Amöben und Bakterien aus dem Teich, simulieren sie natürliche Systeme im Reagenzglas und prüfen so, wie sich Ökosysteme durch Störgrößen wie Klimawandel, Nährstoffüberschuss u.a. verändern. Dabei stellen sie fest, dass gerade komplexe Systeme sich bei Veränderung ihrer Umwelt nicht graduell anpassen sondern gerne schlagartig und unerwartet einen anderen Zustand einnehmen, und sich damit unberechenbar wandeln.
Das Phänomen der so genannten Kipp-Punkte sollte bei politischen Entscheidungsträgern Gehör finden. "Denn bisher handelt die Menschheit nach wie vor so, als könnte sie die Natur kontrollieren", meint Fetzer. Dabei zeige auch die Physik, dass nach einem Kippen eines Systems von einem stabilen Zustand in den anderen deutlich mehr Energie notwendig sei um den alten Zustand wieder zu erreichen, als das Kippen zuvor benötige. Oft sei der Wandel auch irreversibel. Für die Gesellschaft bedeutet dies evtl. der Wegfall lebensnotwendiger Ökosystemdienstleistungen wie Wasser, fruchtbare Böden, Nahrung etc., sicher aber vor allem sehr viel Geld für Renaturierungsmaßnahmen. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der Emscherrenaturierung im Ruhrgebiet für rund 4,4 Mrd. Euro.