Innovation & Forschung

Aquakulturen zwischen Offshore-Windparks

Eine Forschungsgruppe der Juristischen Fakultät an der Universität Rostock unter Leitung von Professor Detlef Czybulka berät das Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) am Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven in rechtlichen Fragen. Es geht bei dem gemeinsamen Projekt um Neuland, der Entwicklung von Marikulturanlagen. In Bremerhaven entwickeln Wissenschaftler seit mehr als zehn Jahren Offshore-Aquakulturtechnik. Hinter diesem Begriff verbergen sich verschiedene Projekte und Methoden, die es ermöglichen sollen, die vor den Küsten gelegenen Windkraftanlagen der Nordsee nicht nur als „Windfarm“ zu nutzen, sondern in der Tiefe, zwischen den Standbeinen der Windräder auch Fische, Muscheln oder Algen im kommerziellen Stil zu züchten und aufzuziehen. Das AWI ist in diesem Forschungsgebiet weltweit führend.

06.03.2013

Prof. Dr. Detlef Czybulka (li) und Rechtswissenschaftler Arkadiusz Mochtak verständigen sich über rechtliche Fragen zu einem überregionalen Forschungsprojekt, Foto: ITMZ/Julia Tetzke
Prof. Dr. Detlef Czybulka (li) und Rechtswissenschaftler Arkadiusz Mochtak verständigen sich über rechtliche Fragen zu einem überregionalen Forschungsprojekt, Foto: ITMZ/Julia Tetzke
„Für solch ein Projekt gibt es noch keine rechtlichen Erfahrungen“, sagt der Rostocker Rechtswissenschaftler Arkadiusz Mochtak. Die Herausforderung für die Rostocker Juristen besteht darin, in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee, wo sich mehrere Rechtsordnungen überschneiden, das Völker- und Europarecht sowie nationales Recht unter einen Hut zu bringen. Im aktuellen Kooperationsprojekt „Offshore-Site-Selection“ sucht das Forscherteam um den AWI-Offshore-Experten Prof. Bela H. Buck nach den besten Standorten für Zuchtanlagen und nach geeigneten Zucht-Kandidaten. „Die Offshore-Windanlagen werden oft weitab der Küste errichtet. In diesen Gebieten weht der Wind viel stärker und die Strömungen unterscheiden sich deutlich von denen im Küstenbereich. Nicht jede Fisch-, Muschel- oder Algenart ist diesen rauen Lebensbedingungen gewachsen. Ein Beispiel: Manche Algenarten sind viel zu filigran. Sie würden bei einem Sturm auf offener See schlichtweg zerreißen“, sagt Prof. Bela H. Buck.

Prof. Buck und sein Team haben eine Kandidatenliste erstellt und für jede Art beschrieben, wie warm, salzig oder nährstoffreich das Wasser sein muss, damit sich Fisch, Muschel oder Alge wohlfühlen. Diese Wohlfühl-Kennzahlen haben Wissenschaftler des Johann Heinrich von Thünen-Institutes anschließend mit Bojen-Messdaten aus der Deutschen Bucht verglichen und Karten erstellt, die zeigen, welche Arten sich für welche geplanten oder bereits errichteten Windkraft-Standorte in der AWZ Deutschlands in der Nordsee am besten eignen. Parallel dazu hat das AWI-Team eine Testanlage mit zehn großen Becken aufgebaut, in der in Kürze ein bisher einmaliger Laborversuch beginnt. „In den ersten zwei Becken werden Fische leben, deren Ausscheidungen über den Wasserkreislauf in die Becken mit Braun- und Rotalgen gelangen. Wir wollen untersuchen, welchen Anteil des Fischkots die Algen wieder aus dem Wasser filtern. Vielleicht erweist es sich ja als gute Idee, Aquakulturen von Fisch und Muscheln in Reihe zu schalten und so den Nährstoffeintrag so gering wie möglich zu halten“, sagt Prof. Bela H. Buck. „Bei rechtlichen Fragen zu Offshore-Anlagen gibt es sehr
unterschiedliche Zuständigkeiten. Deshalb muss nun erst einmal geklärt werden, wen potenzielle Aquakultur-Betreiber fragen und welche Anträge sie wo stellen müssen, wenn sie in einem Windpark eine Fisch- oder Muschelfarm eröffnen wollen“, skizziert Prof. Bela H. Buck die Herausforderungen.

Die Rostocker Juristen lassen sich davon nicht schrecken. „Bis 2015 wollen wir alle juristischen Voraussetzungen und Anforderungen geklärt haben, damit dann die Wirtschaftlichkeit von Marikulturen in der AWZ der Nordsee beurteilt werden kann“, sagt Jurist Arkadiusz Mochtak. Es ist unter anderem auszuloten, welche umwelttechnischen und weitergehenden Standards an Zuchtanlagen unter Wasser und den dort lebenden Organismen gestellt werden und unter welchen Voraussetzungen die Produkte verkauft werden dürfen. „Uns beschäftigt auch die Frage, ob Betreiber von Windkraftanlagen in dem relativ geringen Platz im Nordseeraum angehalten werden können, eine multifunktionale Nutzung der Anlagen zu dulden“, benennt Mochtak ein Kernproblem. „Schädliche Einflüsse auf das marine Ökosystem müssen dabei so gering wie möglich gehalten werden“. Professor Czybulka macht deutlich, was da zu leisten ist; „Es geht nicht nur darum, dass die Anlagen möglichst nahe an eine “Zero-Emission“ herankommen, sondern dass auch die Risiken für die Biodiversität, etwa bei unfreiwilligen Freisetzungen, minimiert werden. Das ist insbesondere bei Fisch-Aquakulturen schwierig.

Der „Anti-Verschmutzungsansatz“ ist durch einen Ökosystemansatz zu erweitern, das schreibt die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie vor. „Die europäische Schutzgebietskulisse Natura 2000 in der AWZ der Nordsee darf auf keinen Fall nachteilig betroffen werden“, verdeutlicht Professor Czybulka. „Das ist durch entsprechende Standortwohl auch ohne weiteres möglich, da sich die Windfarmen ohnehin außerhalb der Schutzgebiete befinden“, skizziert der Rostocker Professor die Lösung.
Quelle: UD / fo
 
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