Wie Volkswagen zum größten deutschen Automobilhersteller aufstieg
Major Hirst - dieser Name ist mit dem Aufstieg von Volkswagen zum größten deutschen Automobilhersteller untrennbar verbunden und doch nicht jedem bekannt: Major Ivan Hirst trug als Senior Resident Officer der britischen Militärregierung zwischen August 1945 und April 1949 Verantwortung für Volkswagen. Er stellte die Weichen für die rasante Entwicklung der Volkswagenwerk GmbH im Wirtschaftswunder und machte die Briten zu Mit-Vätern des heutigen Automobilkonzerns.
16.03.2016
Ivan Hirst wurde am 1. März 1916 in Greenfield nahe Manchester in eine Unternehmerfamilie hineingeboren. Bereits als Kind atmete er die ölhaltige Luft der elterlichen Fabrik für feinmechanische Geräte, Messapparate und Uhren. Während des Studiums der optischen Ingenieurswissenschaften in Manchester stellten sich entscheidende Weichen für den jungen Ivan Hirst: Er besuchte militärische Ausbildungslager, und durch ein studentisches Austauschprogramm kam er Mitte der 1930er-Jahre das erste Mal nach Deutschland.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Hirst als Captain einberufen und kam 1940 nach Frankreich, wo er mit nur 24 Jahren ein Bataillon kommandierte. Mit der Schaffung des „Corps of Royal Electrical and Mechanical Engineers" (REME), das mit der Instandhaltung der komplexen Militärtechnik beauftragt war, ergaben sich für ihn neue Möglichkeiten in der British Army. Hirst war ab 1943 als Major in der Panzerreparatur eingesetzt. Insbesondere bei der Etablierung einer REME-Großwerkstatt in der Nähe von Brüssel konnte er 1944 wertvolle Erfahrungen für seine spätere Tätigkeit in Wolfsburg sammeln.
Von der Rüstungsruine zu einer funktionierenden Fabrik
Als britische Offiziere aufgerufen wurden, sich für den Einsatz in der britischen Militärverwaltung in Deutschland zu melden, zögerte Hirst nicht. Sein erster Auftrag führte ihn 1945 nach Wolfsburg, wo das Volkswagen Werk mit dem Eintritt der Briten in ihre Besatzungszone von US-amerikanischen Truppen in deren Treuhandschaft übergeben worden war. Mit Pragmatismus, Umsicht und Gespür für das Notwendige etablierte er im Werk eine zentrale REME-Reparaturwerkstatt. Der am 22. August 1945 ergangene Produktionsauftrag über 20.000 Volkswagen Limousinen ließ ihn aus der Rüstungsruine eine funktionierende Fabrik machen. Das Anlaufen der Serienproduktion am 27. Dezember 1945 war das sichtbare Zeichen des Neuanfangs. Trotz immenser Probleme bei der Versorgung der Belegschaft mit Nahrungsmitteln und Wohnraum sowie unzureichender Transportmöglichkeiten und Materiallieferungen lief der „Käfer" vom Band.
Hirst sorgte für Qualitätsverbesserungen am Fahrzeug, für den Aufbau eines Händler- und Servicenetzwerks. Er brachte den Deutschen eine gehörige Portion Vertrauen entgegen, als er im November 1945 erstmals Wahlen für einen Betriebsrat anordnete. Demokratie und Entnazifizierung hielten Einzug. Als die ersten Fahrzeuge 1947 in die Niederlande exportiert wurden, hatte Hirst ein florierendes Unternehmen aufgebaut, für das nun ein deutscher Verantwortlicher gesucht wurde. Mit Heinrich Nordhoff, dem ehemaligen Opel-Manager, fanden die Briten den Mann, der das Unternehmen nach der Übergabe in deutsche Hände im Oktober 1949 in den Nachkriegsaufschwung führte.
Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort
„Ivan Hirst war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort", fasst Dr. Manfred Grieger, Leiter der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft, seine Stärken zusammen. „Mit seiner Begeisterung für Technik und Autos und seiner Fähigkeit zur Improvisation, aber auch durch seine den Menschen zugewandte und konsequente Art des Umgangs mit den Deutschen trug Hirst entscheidend dazu bei, dass es einen Neuanfang für die von den Nationalsozialisten gegründete und zunächst auf der Demontageliste der Briten stehende Fabrik gab."
Hirst verließ Wolfsburg im August 1949, als sein Auftrag erfüllt war und übernahm andere Aufgaben in der britischen Militärverwaltung. Ivan Hirst starb am 9. März 2000. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Saddleworth, in der Nähe seines Geburtsorts. Die Historische Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft vergibt seit seinem Todesjahr den nach ihm benannten Ivan-Hirst-Preis an herausragende Nachwuchswissenschaftler.
Mittlerweile ist die entscheidende Rolle der Briten und Ivan Hirst für die heutige Volkswagen Aktiengesellschaft bekannt. Die bedeutende Phase wurde durch die Veröffentlichung einer Hirst-Biographie und der Würdigung der britischen Zeit im Volkswagen Werk dokumentiert. Der Besuch, den Major General Henderson als oberster Repräsentant der britischen Streitkräfte in Deutschland im Sommer 2013 mit einer Gruppe hochrangiger deutscher und britischer Militärangehöriger dem Werk abstattete, war ein sichtbares Zeichen der engen Verbundenheit zwischen dem Unternehmen und seinem britischen Mit-Vater.
Lesen Sie hier die Publikation "Ivan Hirst. Britischer Offizier und Manager des Volkswagen Aufbaus" aus der Schriftenreihe der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft