Bestandsaufnahme Digitalisierung - Wie weit sind wir wirklich?
Seit einigen Jahren beeinflusst die Digitalisierung bereits zahlreiche Lebens- und Arbeitsbereiche. Flexiblere Prozesse, Automatisierungen und intelligente Produktionen ermöglichen vielfältige neue Chancen. Moderne Kommunikationsmittel und -formen, autonomes Fahren, Online-Shops, bargeldloses Bezahlen und erleichterter Zugang zu Informationen sind hier nur einige Beispiele.
27.11.2017
Von Martin Beims, aretas GmbH
Wie komplex die Veränderungen wirklich sind, lässt sich nur schwer greifen. Auch IT-Services betrifft der Wandel. Immer wieder kommen neue Herausforderungen und Anforderungen auf Unternehmen zu. Doch wohin geht die Reise der Digitalisierung noch? Was ist bereits geschafft und was muss noch geleistet werden? Worauf müssen Unternehmen verstärkt achten? Und inwieweit ist die Digitalisierung schon ein Teil dieser Welt? Eine Bestandsaufnahme.
Stand der Digitalisierung in Deutschland
Der digitale Wandel schreitet unaufhörlich voran. Auch Unternehmen in Deutschland entwickeln sich stetig weiter, schöpfen das Potenzial allerdings noch nicht vollständig aus. Im weltweiten Digitalisierungsgrad-Vergleich liegt Deutschland auf Platz 17, im europäischen auf Rang elf hinter Dänemark (Platz 1), Finnland (Platz 2) oder auch den Niederlanden (Platz 4). Vor allem Großunternehmen und Kleinstbetriebe weisen ein positives Niveau an Digitalisierung auf, während mittelgroße Unternehmen häufig noch vor großen Herausforderungen stehen. Oftmals fehlt eine einheitliche Digitalisierungsstrategie. Auch die Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern, allen voran im Gesundheitswesen, hat noch viel Potenzial.
Die Digitalisierung betrifft zahlreiche Segmente, die die aufkommenden Anforderungen und Chancen in unterschiedlichem Ausmaß tangieren. Im Bereich Konnektivität ist Deutschland gut aufgestellt und entwickelt sich stetig weiter. Dennoch gibt es noch immer Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. „Das Ziel, ein flächendeckendes Gigabit-Netz aufzubauen, verfolgt die Regierung bereits seit einigen Jahren“, so Martin Beims, Service-Experte, Gründer der aretas GmbH und Autor des Fachbuchs „IT-Service-Management in der Praxis mit ITIL“. „Um das zu erreichen, muss beispielsweise gezielter in Glasfaserinfrastrukturen investiert werden. In diesem Zusammenhang ist die Verstärkung der Kooperation von Bundesregierung und Wirtschaft unabdingbar.“
Auch in Bezug auf das Humankapital, beispielsweise Internetnutzung und digitale Kompetenzen, ist Deutschland bisher gut aufgestellt: Fast 90 Prozent der Bevölkerung nutzen das Internet regelmäßig, besitzen demnach mindestens Grundkompetenzen. Zwar nutzen junge Deutsche das Internet privat, bei der institutionellen Vermittlung der entsprechenden Kompetenzen hinkt Deutschland jedoch hinterher. Einer der Gründe: In den Schulen fehlen häufig noch die dafür benötigten Breitbandanschlüsse.
Baustelle: öffentlicher Dienst
Auch die deutsche Wirtschaft muss sich mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen. Allen voran der Online-Handel entwickelt sich für die Unternehmen immer mehr zu einem Muss. „Bisher verfügen nur 26 Prozent der KMUs über einen Onlineshop. Dabei steckt hier viel Potenzial“, weiß Beims. Denn: Rund 82 Prozent der Internetnutzer in Deutschland kaufen regelmäßig via Internet ein. Weit abgeschlagen bei der Transformation sind die digitalen öffentlichen Dienste. Bisher machen nur 19 Prozent der Bevölkerung von elektronischen Behördendiensten Gebrauch. Im europäischen Vergleich bedeutet das nur Rang 23 von 28. Flächendeckendes E-Government-Angebot? Fehlanzeige. Der Service-Experte hat eine mögliche Lösung parat: „Ein Lösungsansatz ist das Programm ‚Digitale Verwaltung 2020’. Dieses soll sicherstellen, dass die öffentliche Verwaltung in Zukunft für die Bevölkerung auf elektronischem Wege erreichbar ist. Das beinhaltet unter anderem elektronische Akten, eID-Dienste oder auch Zahlungsverkehrsplattformen sowie öffentliches Auftragswesen.“
Veränderter Servicegedanke
Bereits frühzeitig war allen Beteiligten bewusst, dass die Digitalisierung die Lebens- und Arbeitswelt beeinflussen würde. Die Auswirkungen werden jedoch erst jetzt deutlich. Kommunikation, Buchungs- sowie Bestellvorgänge oder die Art, wie Menschen sich ineinander verlieben, haben sich bereits verändert. Auch Smart Home, Wearables und E-Health sind seit dem digitalen Wandel in der heutigen Welt zu Hause. Was anfangs stets mit großem Interesse betrachtet wurde, stellt vor allem Unternehmen vor neue Herausforderungen und Fragen. Begriffe wie Big Data, Internet of Things, Industrie 4.0 oder Cloud-Computing sind aus den Diskussionen über die digitale Transformation nicht mehr wegzudenken. Auch auf den Service hat die Digitalisierung großen Einfluss: Galt die IT lange Zeit lediglich als Unterstützer der Automatisierung bestehender Geschäftsprozesse zur Erfüllung der Anforderungen der Kunden, liegt der Fokus nun verstärkt auf dem Nutzeffekt für den Anwender. Technische Komponenten spielen nur noch eine beiläufige Rolle.
Smart Services
Durch den digitalen Wandel entstehen zahlreiche Daten, die analysiert und zu Smart Data verarbeitet werden können. Diese bilden die Grundlage für den modernen Servicegedanken: Sogenannte Smart Services rücken in den Vordergrund. „Durch die Nutzung der intelligenten Dienste ergeben sich Produkte, die individueller auf Kundenwünsche zugeschnitten werden können“, erläutert der aretas-Gesellschafter. „Das eröffnet neue Chancen wie die Bereitstellung digitaler Zusatzleistungen der Produkte. Ein Mehrwert, der sich sowohl für Unternehmen als auch für Kunden auszahlt.“
Bereiche, in denen das bereits Anwendung findet, sind der Paketversand (Tracken von Paketen) oder die Buchung von Autos (Carsharing-Apps). Auch für das Gesundheitswesen halten Smart Services neue Chancen bereit: Das Sammeln der Daten kann in Kombination mit einer App und dem Weiterleiten an die jeweiligen Ärzte dazu beitragen, die Behandlungsqualität zu verbessern. In diesem Zusammenhang kann die Zusammenarbeit auf Krankenversicherungen ausgeweitet werden. Das Ergebnis sind flexiblere Versicherungsprogramme für Kunden. Ganz gleich, welche Herausforderungen die digitale Transformation mit sich bringt: Neben den Nutzeffekten müssen auch Datenschutz, Transparenz und Sicherheit im Umgang mit den wichtigen Daten im Blickfeld sein.
Neu orientieren
Für Unternehmen gibt es kein Vorbeikommen mehr an der digitalen Transformation. Die Auswirkungen sind spürbar und beeinflussen zahlreiche Geschäftsprozesse. Zusätzlich steigt der Druck, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um auch zukünftig im Wettbewerb bestehen zu können. „Damit Unternehmen auch in Zeiten des digitalen Wandels erfolgreich sind, müssen sie die IT stärker in die Entwicklung des Unternehmens einbeziehen. Das zieht grundlegende Veränderungen nach sich – auch für IT-Organisationen.“ Diese müssen ihre Sicht auf das Business neu überdenken, um die moderne Rolle der IT als Innovationstreiber effektiv in den eigenen Reihen zu etablieren. Sie wird ein zentraler Bestandteil der Wertschöpfung und entwickelt sich von ihrer unterstützenden Funktion hin zu einem Kernprozess des Unternehmens. Eine innovative, agile und gleichzeitig zuverlässige IT wird in Zukunft mehr als heute ausschlaggebend für den Erfolg des gesamten Betriebs sein.
Effektives IT-Service-Management
Kein modernes Unternehmen verzichtet im digitalen Wandel auf wirksame IT-Systeme: Mittlerweile existiert kaum ein Unternehmensprozess, der ohne Unterstützung von IT-Services bewerkstelligt wird. Denn: IT-Systeme sorgen für die optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen und gewähren so eine möglichst hohe Produktivität. Allerdings ergeben sich aus dieser Situation neue Abhängigkeiten. Die Geschäftsprozesse verlassen sich immer mehr auf die IT-Services. „Hieraus erwächst eine paradoxe Situation: IT-Services sollen leistungsfähiger werden, und das bei immer geringeren Kosten. Gleichzeitig steigt durch die Bedeutungszunahme von IT-Services der mögliche Schaden bei auftretendem Systemausfall enorm an. Während die sinkenden Kosten für die Bereitstellung der Services positive Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen haben, stellen sich Schäden oder Störungen der IT als immer bedrohlicher heraus“, so Beims. Zusätzlich gewinnt ein weiterer Faktor derzeit enorm an Bedeutung: IT-Services werden immer öfter als komplette Leistung von Cloud-Anbietern beschafft und nicht mehr selber betrieben. Die IT entwickelt sich von einer IT-Fabrik zu einer unternehmensinternen Plattform für die Bereitstellung von Automatisierung sowie Innovation - und steht so vor einer teilweise völlig neuen Aufgabenstellung. Effektives IT-Service-Management, dass sich kontinuierlich weiterentwickelt und an neue Rahmenfaktoren anpasst, ist deshalb in Zeiten des digitalen Wandels unabdingbar.
Ressourcen-Verteilung
Effektives Service-Management orientiert sich immer an definierten und messbaren Zielen. IT-Services sind nur sinnvoll, wenn sie die Geschäftsprozesse des jeweiligen Kunden bestmöglich und effizient unterstützen. Der optimale Einsatz der vorhandenen IT-Ressourcen und deren sinnvolle Weiterenentwicklung sind die klassischen Aufgabenstellungen hierfür. Hinzu kommen heute zunehmend die Steuerung der wachsenden Anzahl der durch Dritte angebotenen Services sowie das Management der explodierenden Datenmenge. Um das leisten zu können, müssen die klassischen Aufgaben, wie die Bereitstellung anwendergerechter und zuverlässiger Unternehmens-IT, weiter standardisiert und optimiert werden. ITSM-Methoden wie ITIL bieten Unternehmen bereits entsprechende Möglichkeiten, die heute schon weitgehend etabliert sind. Dennoch haben zahlreiche Unternehmen noch Entwicklungspotenzial: „Gerade der Aspekt, die IT als Innovationstreiber im Unternehmen zu integrieren, wird von den Führungsetagen noch nicht ausreichend genutzt.“
Digitalisierung to go
Befasst sich die Unternehmensführung explizit mit dem Thema Digitalisierung und ihrer Integration, steht als Erstes eine genaue Überlegung der nächsten Schritte an. Dabei ist es wichtig, alle Ebenen mit einzubeziehen. Manager dürfen die Aufgabe nicht einfach an die IT-Abteilung übergeben, sondern müssen sich selbst auch in die Pflicht nehmen, die anstehenden Herausforderungen anzugehen. Denn nur wenn alle Beteiligten die Digitalisierung umsetzen, können die Unternehmensprozesse sinnvoll weiterentwickelt und zukunftssicher gestaltet werden. Sind hier nur einzelne Abteilungen verantwortlich, fehlt es zum einen an der für innovative Prozesse unabdingbaren Ende-zu-Ende Betrachtung und zum anderen leidet die Effizienz in der Umsetzung. Die Vielfalt der neuen Technologien und Hypes macht es jedoch nicht leicht, die richtigen Trends zu erkennen und für den Erfolg des Unternehmens nutzbar zu machen.
Zwischen Themen wie Industrie 4.0, Digitalisierung, Big Data, Cloud, Mobility und vielen weiteren Möglichkeiten müssen die Verantwortlichen die richtigen Szenarien finden, um das Unternehmen durch die Untiefen möglicher Fehlentscheidungen zu navigieren. Diese Herausforderung zu meistern, erscheint als unlösbare Aufgabe, wäre der CIO auf sich allein gestellt. Ein guter Chef macht nicht alle Fehler selbst, sondern gibt auch seinen Mitarbeitern Gelegenheit dazu: Es ist daher seine wichtigste Aufgabe, eine starke Führungsmannschaft aufzubauen und sie mit den nötigen Kompetenzen auszustatten. Dabei muss er sich als starker Leader seiner Rolle bewusst sein. Jegliche Form von Mikromanagement ist kontraproduktiv, denn Schnelligkeit gilt als ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Ein kurzer Blick
In Zeiten der Digitalisierung benötigen Unternehmen stabile IT-Services, agile Veränderungsprozesse und stetige Innovationen. Dies ist jedoch nur mithilfe einer effizienten Verknüpfung von Betrieb und Entwicklung möglich. „Die Richtung, in die sich die deutsche Unternehmenslandschaft in Sachen Digitalisierung bewegt, stimmt – hat aber noch Entwicklungspotenzial. Durch den stetig steigenden Anteil cloudbasierter Lösungen und die resultierenden Multisourcing-Umgebungen ergeben sich neue Perspektiven und Handlungsfelder. Diese vollständig zu greifen und alle Auswirkungen vorhersehen zu wollen, ist kaum machbar.“ Genau wie die Entwicklung neuer Produkte muss daher auch die Digitalisierungsstrategie täglich auf den Prüfstand gestellt und bei Bedarf nach agilen Prinzipien angepasst werden. Wo Gewschwindigkeit sich zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor entwickelt, ist das Prinzip „Versuch und Irrtum“ zwar kein Allheilmittel, aber durchaus ein Weg, um die Chancen an einem digitalisierten Markt zu bestehen signifikant zu verbessern. Es gilt, Herausforderungen und Bedürfnisse zu erkennen, Prototypen zu deren Lösung zu entwickeln, diese (auch mit späteren Anwendern) zu testen und schnell anzupassen, um sie weiter zu verbessern.