So ergreifen wir die Chancen der Digitalisierung
Deutschland könnte 2030 zum Leitmarkt und Leitanbieter für Industrie 4.0 werden. Die industrielle Produktion und die Ausbildung von Facharbeitern und Ingenieure sind Weltklasse. Doch es fehlt an Wagniskapital, Internettechnologien und innovativen Geschäftsmodellen, konstatiert die Projektgruppe Internationaler Benchmark, Zukunftsoptionen und Handlungsempfehlungen für die Produktionsforschung (INBENZHAP). Auf dem Kongress für Produktionsforschung Ende Juni überreichte die acatech Arbeitsgruppe Forschungsstaatssekretär Georg Schütte 44 Handlungsempfehlungen für den Sprung an die Weltspitze.
05.07.2016
Werden menschliche Arbeiter zu Handlangern intelligenter Maschinen? Nimmt die Dominanz globaler Internetriesen weiter zu? Scheitert die Idee einer vernetzten Wirtschaft an Sicherheitslücken und mangelnder Kooperation? Oder gelingt es Deutschland mit technischen Innovationen, internationaler Zusammenarbeit und staatlichem Engagement Industrie 4.0 so zu gestalten, dass Beschäftigte und Firmen gleichermaßen profitieren?
„Wir erleben eine Zeit einmaliger Chancen“
In vier alternativen Szenarien für das Jahr 2030 beschreiben Fachleute von acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften mögliche Auswirkungen der Digitalisierung. Darauf aufbauend formuliert die Arbeitsgruppe 44 Handlungsempfehlungen, um Deutschlands digitale Souveränität zu wahren und das Land neben China und den USA zum Leitanbieter und Leitmarkt für Industrie 4.0 zu machen. Auf dem Kongress für Produktionsforschung Ende Juni in Berlin überreichte die Arbeitsgruppe nun ihre Ergebnisse Forschungsstaatssekretär Georg Schütte.
„Wir erleben eine Zeit einmaliger Chancen“, erklärte Georg Schütte im Vorfeld. „Unsere Vorstellung von vernetzter Produktion und produktionsnahen Dienstleistungen kann zu einem weltweiten Standard werden. Deutschland als führender Produktionsstandort und zugleich Industrie-Ausrüster wird so weiter an Kraft und Stärke gewinnen.“
Handlungsempfehlungen für den Produktionsstandort Deutschland
Neben technischen Problemen adressiert die Arbeitsgruppe um die Projektleiter Jürgen Gausemeier (Universität Paderborn) und Fritz Klocke (RWTH Aachen) auch organisatorische und gesellschaftliche Herausforderungen. So müsse etwa die Akzeptanz der Bevölkerung für neue Technologien gefördert werden. Datentreuhänder könnten dazu über die Nutzung personalisierter Daten wachen. Auch sollte das Bildungssystem konsequenter neue Kompetenzen vermitteln, etwa in den Bereichen Datenschutz oder Datenanalyse. Gefordert seien digital mündige Bürgerinnen und Bürger, die die Vorteile und Risiken der Digitalisierung erkennen und bewerten können. Angesichts der demografischen Entwicklung müssten auch die 50-Jährigen stärker eingebunden werden, die dank digitaler Assistenzsysteme länger als bisher am Berufsleben teilhaben können.
Notwendig seien auch neue Formen der Zusammenarbeit über Firmengrenzen hinaus, etwa offene Schnittstellen und Kollaborationsplattformen für den sicheren Austausch industrieller Daten. Empfohlen wird auch eine Reform des Schutzes von geistigem Eigentum mit klaren Richtlinien für den Anteil an Erfindungen in Crowdsourcing-Netzwerken und an automatisch generierten Daten.
„Industrie 4.0 hat das Potenzial für radikale Veränderungen und könnte zum Schlagwort des Jahrzehnts werden“, sagt Projektleiter Jürgen Gausemeier vom Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn. „Aber viel zu wenig wird die Frage gestellt, wie sich mit Industrie 4.0 Geld verdienen lässt. Deshalb wollten wir den Leistungsstand von Industrie 4.0 im Vergleich mit anderen Industrienationen realistisch abbilden und die künftige Entwicklung des globalen Wettbewerbs vorausdenken.“
Um Deutschlands technologische Souveränität zu sichern, sollten Schlüsselkomponenten von Industrie 4.0 wie Sensorik oder Internettechnologien auch in Deutschland entwickelt werden. Auch müssten die Stärken Deutschlands international besser vermarktet werden. In vielen asiatischen Märkten stehe die Marke „Industrie 4.0“ bereits für hochwertige und innovative Produktionstechnologie. Ein Label, das den sehr guten ökologischen Fußabdruck von Industrie 4.0 Made in Germany dokumentiert, könnte weitere Wettbewerbsvorteile schaffen.
Industrie 4.0 Strategien weltweit unterschiedlich
„Wenn alle Stakeholder in Deutschland ihre Einflussmöglichkeiten nutzen und gemeinsam an der Balance von Mensch, Technik und Staat arbeiten, kann Industrie 4.0 zu einem Exportschlager Made in Germany werden“, erklärt Projektleiter Fritz Klocke von der RWTH Aachen.
Basis der Prognose ist ein internationaler Vergleich sieben führender Industrienationen. In rund 150 Interviews mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Unternehmen und anderen Stakeholdern untersuchte die Arbeitsgruppe die Umsetzung von Industrie 4.0 in weltweit 13 Ländern und der Europäischen Union. Die Gespräche zeigten, dass regional ganz unterschiedliche Strategien für die vernetzte Zukunft existieren.
Während Deutschland unter der Marke „Industrie 4.0“ auf innovative und intelligente Produktionstechnologien vor allem für industrielle Kunden setzt, konzentrieren sich US-amerikanische Firmen auf disruptive Geschäftsmodelle und die Bedürfnisse der Konsumenten. Chinesische Unternehmen setzen pragmatisch auf die Anwendung ausgereifter Technologien und auf strategisch wichtige Schlüsseltechnologien. Japan und Südkorea wollen möglichst schnell neue Märkte erobern und bauen bereits heute große Smart Factories auf.
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